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22. Mai 22. Mai: Bert Dietz berichtet Beckmann über Doping im Radsport

22.05.2007, 14:50
Moderator Reinhold Beckmann spricht am Montag in Hamburg nach der Aufzeichnung der heutigen ARD-Sendung «Beckmann» mit dem ehemaligen Radprofi des Team Telekom, Bert Dietz. (Foto: dpa)
Moderator Reinhold Beckmann spricht am Montag in Hamburg nach der Aufzeichnung der heutigen ARD-Sendung «Beckmann» mit dem ehemaligen Radprofi des Team Telekom, Bert Dietz. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - Beckmann: «Haben Sie denn damals schon 1994 so in der Anfangszeit als Profi leistungsfördernde Mittel genommen?»Dietz: «Also beim ersten Jahr als Profi eigentlich nur vor denKlassikern wurde Kortison genommen. Ansonsten das letztens im«Spiegel» beschriebene Zaubergetränk vom Jef d'Hont - und das wareneigentlich so unsere einzigen Waffen.»

Beckmann: «Also das war im ersten Jahr 94. Was hat Kortisonbewirkt bei Ihnen?»Dietz: «Beschrieben wurde es so: Kortison setzt halt diekörpereigene Abwehr ein Stück herunter, für die Allergiker ist das jaimmer gut, wenn der Pollenflug ist, und im Radsport oder im Sportallgemein sollte halt der Effekt sein, dass man einfach ein Stücklänger an der oberen Leistungsgrenze fahren kann, bevor der Körpermit Krämpfen oder mit anderen Sachen halt anfängt zu streiken.»

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Beckmann: «Jetzt haben Sie eben den Cocktail angesprochen, den Jefd'Hont-Cocktail, von dem wir alle erfahren haben vor wenigen Wochenim «Spiegel» bei der ganz großen Geschichte. Jef d'Hont war jahrelangMasseur und Pfleger im Team Telekom. Wie war dieser Cocktailzusammengestellt?»Dietz: «Das war eigentlich jetzt bis letzte Woche immer einGeheimnis gewesen. Ich hab das auch nie gewusst, er hat's auch niegesagt. Er hat lediglich gesagt, es ist nichts, was auf der Listesteht. Und man soll es so, wenn man bis dahin kommt, 50 Kilometer vordem Ziel halt noch mal so als letzte Reserve nehmen.»

Beckmann: «Das heißt, da kam die Ampulle, wurde einem gereichtoder so?»Dietz: «Die hat man schon vor dem Start mitgehabt in derTrikottasche. Und wenn man halt bis dahin gekommen ist und noch dieChance hatte, sage ich mal so, unter die ersten 20 zu fahren, dannhat man das halt im Finale, wurde immer gesagt die letzten 50 km beimWeltcup-Rennen ist das Finale, und wenn man da noch dabei ist, dannwerden halt die harten Attacken gefahren und dort sollte das haltnoch mal so einen Auftrieb geben.»

Beckmann: «Da war also nicht nur Aspirin drin, da war einHerzmittel drin und noch ein anderes Mittel dazu.»Dietz: «Jef d'Hont hat immer gesagt, was für die Luft, was, dassdas Blut dünn macht und die Gefäße erweitert.»

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Beckmann: «Wie ist es? Waren diese Mittel alle legal, die Sie dagenommen haben oder standen die auf der Doping-Liste?»

Dietz: «Also, wir wussten ja nicht, was für Mittel in diesemCocktail sind. Insofern mussten wir uns natürlich auf die Aussageverlassen, dass sie gesagt haben, das ist nicht gefährlich und dasist nicht auf der Liste.»

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Beckmann: «Wie groß war die Gefahr, erwischt zu werden für Sie?»Dietz: «Eigentlich in den Anfangsjahren ganz Null.»

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Beckmann: «Nun haben Sie jetzt ja gesagt, dass gerade 94/95 sichbei der Telekom viele gefragt haben, warum sind die Italiener undSpanier einfach besser als wir. Die waren ja nicht zufrieden mit denErgebnissen. Wie wurde denn im Team darüber gesprochen?»Dietz: «Ja gut, man hat sich natürlich gewundert, dass jedes Jahrdort irgendwie 20 neue Spanier und 20 neue Italiener kommen, die dasJahr zuvor noch nicht einmal irgendwo erwähnt worden sind undplötzlich den Berg hochfahren können, als wäre es nichts gewesen. Dasmacht schon die Runde.»

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Beckmann: «Wann fiel denn zum ersten Mal der Begriff EPO, dasHormon EPO?»Dietz: «Eigentlich bei mir das erste Mal '95, als ich mehr oderweniger, als ich über die Freiburger Ärzte die Sache angebotenbekommen hatte.»

Beckmann: «Die Freiburger Ärzte des Teams Telekom?»Dietz: «Ja.»

Beckmann: «Und wie ist das abgelaufen?»Dietz: «Es war im Trainingslager, auf Mallora, was im Frühjahrimmer als gemeinsames Trainingslager abgehalten wurde.»

Beckmann: «1995, Trainingslager Mallorca.»Dietz: «Die Ärzte wurden dann halt auch immer mehr in dieTrainingsplanung mit einbezogen, auch auf Wunsch von Telekom, dassdas halt alles zentral gesteuert wurde. Bis dahin hat halt jeder imTraining die Inhalte selber bestimmt und musste einfach nur zu denWettkämpfen fit sein. Und die Freiburger Ärzte hatten sich halt dannda ein bisschen mehr mit reingehängt. Und so wurde halt so ein Planbesprochen, welche Rennen jetzt wichtig sind, welche Vorbereitunggemacht wird usw. Und in diesem Zusammenhang halt mit diesemindividuellen Gespräch, was halt jeder dort geführt hatte, wurde haltdie Gesamtsituation im Radsport erst einmal beschrieben - wie gesagt,Italiener fahren schnell und da und so -, und dass es halt damitzusammenhängen könnte, dass es halt da ein neues Mittel gibt, washalt das EPO ist. Und in dem Zusammenhang habe ich es eigentlich daserste Mal gehört.»

Beckmann: «Wie lief das ab? War das eine Empfehlung oder wie habendie Ärzte mit Ihnen persönlich darüber geredet?»Dietz: «Wie gesagt, es wurde sehr weit ausgeholt. Also dieGesamtsituation im Radsport, dann halt immer mehr spezifisch auf dasTeam Telekom, dass wir natürlich Druck haben im Frühjahr. Wir müssenim Frühjahr bis Henninger Turm unsere Ergebnisse bringen. Und wennwir vorne mitfahren wollen, müssten wir wahrscheinlich auch maldieses Mittel probieren. Es wurde dann groß erklärt, welche Wirkung,welche Nebenwirkungen, welche Risiken bestehen. Und dann war dieEntscheidung im Prinzip, dass wir das machen.»

Beckmann: «Das heißt, haben die Ärzte, die Telekom-Ärzte, dieFreiburger Ärzte also den Gebrauch von EPO angeordnet oderangeboten?»Dietz: «Sie haben es angeboten, aber natürlich in so einer Form,wo eigentlich jeder wusste, wenn ich es jetzt nicht nehme, bin ichwahrscheinlich am Jahresende mit so schlechten Ergebnissen in derMannschaft, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Also, es warschon eindeutig eigentlich, ja.»

Beckmann: «Was haben die zu den Nebenwirkungen gesagt?»Dietz: «Dass, wie gesagt, das Blut dick werden kann, dass es zuVerklumpungen kommen kann von den Blutplättchen. Das wurde dannallerdings sofort revidiert, wenn er sagt, okay, wir nehmen dafürAspirin, dass das Blut dünn bleibt, wir nehmen Persantin, dass dieBlutplättchen nicht zusammenkleben, wir machen regelmäßigeBlutkontrollen alle 14 Tage. Auch wenn ihr zu Hause seid, müsst ihrhalt zum Hausarzt gehen, dass wir das kontrollieren können.»

Beckmann: «Also noch mal die Frage. Wer sind die Ärzte, mit denenSie diese Gespräche geführt haben?»Dietz: «Der Lothar Heinrich und der Andreas Schmid.»

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Beckmann: «Nun, die Ärzte bestreiten dies ja nach wie vor. SindSie der einzige im Team gewesen, dem man EPO angeboten hat?»Dietz: «Na, die Frage will ich jetzt hier nicht beantworten.»

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Dietz: ... Und ich will mich jetzt einfach nicht in die Eckestellen und sagen, der hat was gemacht oder ich hab gesehen, dass derusw.»

Beckmann: «Das heißt, Sie finden diese Situation ein bisschenbigott, dass da Leute sagen, Jan Ullrich, das ist das einzigeschwarze Schaf und auch die anderen Rennfahrer auf Jan Ullrichzeigen. Das gefällt Ihnen nicht?»Dietz: «Das kann man so sagen. Also, ich hab das wie gesagt dieletzten zehn Monate verfolgt, und das war eigentlich das, was michvon Anfang an richtig gestört hat, dass dort wirklich erst mal dasganze Thema auf diese Operation Puerto bezogen wurde, auf diese 50Fahrer, wo alle so froh waren, aha, jetzt haben wir endlich 50 Mann,auf die können wir zeigen. Und nicht, dass man dann einfach ruhigweiter gemacht hätte, nein, man musste halt noch drauf hauen undmusste noch sagen, die haben was Schlimmes gemacht, aber wir anderen,der ganze Radsport ist ja eigentlich sauber....»

Beckmann: «Das heißt, Sie meinen damit auch die Radrennfahrer, dieheute in wichtigen Figuren bei anderen Teams unterwegs sind, ob alssportliche Leiter, ob in anderen Funktionen. Die heute sagen, ich habja damals nichts gemacht.»Dietz: «Ja, so kann man's sagen. Man muss natürlich immer dieSituation der Leute berücksichtigen, die können im Moment gar nichtsanderes sagen. Das ist auch das, wo ich sage, ich bin jetzt weit weg,ich bin nicht im System drin. Ich verdiene nicht direkt mein Gelddamit. Dann würde ich mich vielleicht anders verhalten - müssen.Alleine der Ehrenkodex, der, wenn ich mich outen würde, sofort denVerlust des Arbeitsplatzes zur Folge hätte. So, und das sind einfachdie Dinge, die dort geändert werden müssen...»

Beckmann: «Was wäre denn Ihr Vorschlag, damit sich sozusagendieses Feld endlich mal komplett säubert?»Dietz: «...Also, das sind natürlich jetzt Politiker, Funktionäre,da ist der Weltverband gefragt. Die müssen einfach einen Weg findenoder einen Weg aufzeigen, dass es den Rennfahrern, die heute wirklichernsthaft ohne Doping auskommen wollen und ernsthaft diesen neuen Weggehen wollen, dass die einfach eine Chance bekommen, mit derVergangenheit abzuschließen.»

Beckmann: «Eine Amnestie?»Dietz: «Ja, so in der Richtung eine Amnestie. Sie müssen sichvorstellen, jeder Rennfahrer will natürlich jetzt ohne Dopingauskommen. Aber jeder wird morgens aufwachen und denken, hoffentlichwird heute nicht meine Geschichte von früher publik. Da bin ichsofort meinen Arbeitsplatz los. Ich will ja gerne ab heute ohneDoping fahren, aber wenn mich jetzt meine Vergangenheit einholt, dann...»

...

Beckmann: «Sie haben ja vorhin die beiden Ärzte angesprochen,Andreas Schmid und Lothar Heinrich. Und Sie haben die Situationbeschrieben, wie sie den Fahrern erklärt haben, was man mit EPO allesmachen kann. Heißt das, Schmid und Heinrich boten allen Fahrern desTelekom-Teams sozusagen die Benutzung von EPO an?»Dietz: «Also, ich kann das nur aus meiner Sicht erzählen. Und beimir war es so. Und bei mir hat auch dieses System, was zum Teil derJef d'Hont beschrieben hat, so funktioniert.»

Beckmann: «Hat es Sie verwundert, dass Sie gerade von Ärztendamals ein Dopingmittel angeboten bekommen haben?»Dietz: «Verwundert nicht. Gut, es waren die Team-Ärzte. Die warenfür die Gesunderhaltung oder für die Leistungssteigerung natürlichirgendwie verantwortlich und waren eigentlich unsere Ansprechpartner.Das heißt, wer hätte es sonst machen sollen?»