Kurt-Weill-Festival Kurt-Weill-Festival: Ganz in politischer Tradition
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Im Normalfall spiegelt die Kunst das Leben, im Idealfall aber geht es auch umgekehrt: Als sich am Freitag Hunderte Dessauer und Roßlauer vor dem Anhaltischen Theater versammelten, um gegen den kulturellen Kahlschlag in ihrer Stadt zu protestieren, bescherten sie kundigen Gästen der Kurt-Weill-Festeröffnung ein Déjà-vu. So ähnlich hatte es nämlich auch 1927 in Baden-Baden ausgesehen, als das Mahagonny-Songspiel uraufgeführt wurde - wenngleich die Schauspieler ihre Plakate damals eher aus spektakulärem Kalkül denn aus realer Not schwenkten.
Pfeifen von der Bühne
Lotte Lenya erinnerte sich später an den Tumult: "Brecht hatte uns vorsorglich Pfeifen mitgegeben, kleine Trillerpfeifen, und so standen wir auf der Bühne und pfiffen trotzig zurück." Dass der Dichter und sein Komponist an der demokratischen Ouvertüre Gefallen gefunden hätten, darf man also getrost annehmen, zumal sich die größere Provokation dann doch im Haus ereignete. Die Idee, das 18. Kurt-Weill-Fest unter dem Motto "New Art is True Art" zum Anlass für neue Songspiel-Aufträge zu nehmen, lässt sich kaum aus einem gattungsgeschichtlichen Notstand herleiten. Schließlich haben selbst die Erfinder diese Form nicht konsequent weiter verfolgt, was wohl auch der Einsicht in deren dramaturgische Grenzen geschuldet war. Die konzeptionellen Probleme des Mahagonny-Songspiels konnte auch die Inszenierung von Stefanie Wördemann und Helmut Oehring nicht lösen: Das Sixpack der Lieder ist eben keineswegs, wie das Programmheft behauptet, theatralisch zwingend. Es wirkt vielmehr selbst bei so prominenten Interpreten wie dem Ensemble Modern eher wie ein Flickenteppich, dem auch die Bild-Assoziationen von Hagen Klennert keinen zusätzlichen Halt geben.
Insgesamt fühlte man sich so vor allem durch das wunderbare Wiedersehen mit Salome Kammer an jene konzertante Aufführung des gleichen Werkes aus dem Jahr 2006 erinnert, die stärker auf die Phantasie des Publikums vertraute und letztlich größeren Gewinn stiftete. Dass der Komponist Oehring und seine Librettistin Wördemann ihre Lesart freilich auch als Fundament für ihr eigenes Songspiel "Die Wunde Heine" begriffen, wurde spätestens beim bruchlosen Übergang in den zweiten Teil deutlich.
Die Uraufführung war nicht nur durch die um einen Gitarristen und Live-Elektronik ergänzte Besetzung mit dem Weill-Songspiel verzahnt, sie behauptete durch die Verwendung von Heinrich Heines und Rio Reisers Texten auch eine Traditionslinie politischer Poesie.
Gutmenschen gegen Zyniker
Dass die Schmerzensmänner HH und RR dem Zynismus des Herrn BB freilich energisch widersprechen, bleibt ein ungelöstes Dilemma: Der Glaube an das Himmelreich auf Erden und an das "Wann, wenn nicht jetzt?" ist mit der Negativ-Utopie von Mahagonny nicht vereinbar. In sich aber ist Oehrings Werk absolut stimmig und korrespondiert perfekt mit Klennerts Bildsprache. Der Komponist macht das Entstehen und Vergehen von Sprache und Musik hörbar, er lässt hohle Töne und einzelne Laute tropfen und türmt schroffe Klanggebirge über weiten Flächen. Deutschland ist hier ein Hochstand im Kornfeld und wird als Zauberland von beiden Dichtern verloren gegeben. Mit Jörg Wilkendorf und Salome Kammer hat diese Collage zwei grandiose Protagonisten, denen das Männer-Quartett und die Sopranistin Sylvia Nopper kongenial zur Seite stehen.
Die eigentliche Überraschung aber ist, dass sich auch dieses Stück wie ein spontaner Kommentar zur Wirklichkeit verhält: Was hier mit Gebärdensprache akzentuiert und mit Verzerrungen überzeichnet wird, ist eine knallharte kulturpolitische Ansage. Das "Macht kaputt, was euch kaputtmacht!" hätte auch auf den Transparenten vor dem Theater stehen können. Weills Erbe ist also aktueller denn je - das gilt es in den nächsten Tagen zu feiern!
Am Mittwoch um 17 Uhr laden die Stiftung Bauhaus Dessau und die Kurt-Weill-Gesellschaft zu einer Podiumsdiskussion über die Finanzkrise der Stadt ein. Ort der Veranstaltung ist die Bauhaus-Aula.