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Die Sächsische Zeitung und Pegida Die Sächsische Zeitung und Pegida: "Ich spucke Dir vor Deine amputierten Füße"

Von Bernhard Honnigfort 20.01.2015, 18:12
Viel Frust und Wut entlädt sich derzeit über der Sächsischen Zeitung.
Viel Frust und Wut entlädt sich derzeit über der Sächsischen Zeitung. imago stock&people Lizenz

Dresden - Ginge es nach einem Leser in Wehlen, einem Dorf in der Sächsischen Schweiz, Heinrich Maria Löbbers säße im Rollstuhl oder ginge an Krücken. Im November 2014 ging es los, da schrieb der Mann seine ersten Briefe. Oben stand statt einer freundlichen Anrede: „Keine Grußformel!“ Am Ende: „Ich spucke vor Deine amputierten Füße!“

In einem dieser Briefe schimpfte der Leser dann über den Schmierfinken Löbbers, einen Redakteur der „Sächsische Zeitung“, und über die „Goebbels’sche Schreiberei“ des Dresdner Blattes. Beim nächsten Montags-Umzug von Pegida, so kündigte der Mann aus Wehlen an, da werde er mal mit seinen Kameraden vorbeikommen bei der „Sächsische Zeitung“ und dem Herrn Löbbers kräftig auf die Schulter klopfen.

Über tausend Leserbriefe

Bislang war er noch nicht da. „Ein typischer Fall“, sagt er. „Viel Frust. Zuerst war er gegen die Ausbreitung der Wölfe in Ostsachsen, dann gegen die vielen Radler auf dem Elberadweg, jetzt geht es gegen Ausländer.“ Löbbers ist ein vergnügter und aufgeräumter Typ. Vor 23 Jahren kam er als Volontär aus dem Münsterland zur „Sächsische Zeitung“. Nun ist er 50 Jahre alt und leitet das Ressort Reportage, Kultur und Gesellschaft. Er lebt gerne in Dresden, schreibt gerne eher vergnügliche Dinge und gehört zu der Sorte Mensch, die sich wundern und die noch staunen können über all das, was um sie herum geschieht.

In Dresden ist das gerade eine ganze Menge eher unvergnügliches Zeug, denn die „Sächsische Zeitung“, größtes Blatt in der Landeshauptstadt mit 240.000 Auflage, steckt mitten drin im von Pegida ausgelösten Orkan schlechter Laune, Geschimpfe und gelegentlich sogar sachlich vorgetragener Kritik an Politik, Medien und sonst allem.

Auf den Kundgebungen der Pegida rückte die Zeitung schnell weit nach oben in der Hitparade des Bösen. Ein „DDR-Medium“, schimpften Lutz Bachmann und seine Mitstreiter. „Volksverräter“ und „Lügenmedium“, Teil eines Kartells zur Einlullung des Volkes. Löbbers’ Kollege Ulrich Wolf, der mit Kollegen das kriminelle Vorleben Bachmanns öffentlich gemacht hatte, wurde auf der Pegida-Kundgebung kurz vor Weihnachten namentlich beschimpft. „Ein Vergnügen ist das nicht“, sagt Löbbers.

Vielleicht auch eine Chance für den Journalismus

Über tausend Leserbriefe hat die Zeitung zu Pegida erhalten. Die Mehrzahl lehne die Berichterstattung ab, erzählt Löbbers. Sonnabends hat die „Sächsische Zeitung“ eine ganze Seite Leserforum. Seit Wochen gibt es fast nur ein Thema. Pegida und AfD würden diffamiert, um von Versäumnissen abzulenken, heißt es dort. Pegida und Dresden seien keine Schande, schändlich sei die Ignoranz der Politik und der Medien, an Lösungen zu arbeiten. Es geht um „transatlantische Hörigkeit“, heuchlerische Staatschefs und die Schmähungen der Eliten in den oberen Etagen gegen Pegida. Hin und wieder, sagt Löbbers, ist auch ein netter, aufmunternder Brief dabei.

„Eigentlich ist das ganze Durcheinander auch eine riesige Chance für den Journalismus“, findet Löbbers. Zeit zur Besinnung und Selbstreflektion. Dann formuliert er sehr vorsichtig, weil er nicht falsch verstanden werden möchte: „Prinzipiell ist es doch gut, wenn Leute, die bislang geschwiegen haben, plötzlich reden und mitreden wollen.“ Prinzipiell, sagt er. Was die Leute reden, schimpfen und an Hasstiraden ablassen, sei eine andere Sache und gefalle ihm selbstverständlich nicht.

Auch die „Sächsische Zeitung“ hinterfragt die eigene Berichterstattung kritisch. Wieso eine Reportage über eine syrische Flüchtlingsfamilie aus Aleppo, wenn sich viele Sachsen darüber aufregen, ihr Bundesland bekomme junge Männer aus Tunesien als Flüchtlinge zugewiesen? Nennt man in der Berichterstattung über Einbrüche, Raubüberfälle oder andere Verbrechen die Nationalität der Täter? Ist das Diskriminierung? „Wir nennen sie“, sagt Löbbers.

Woher Wut und Hass kommen, woher die scharfe Ablehnung und Gefühlskälte gegen Flüchtlinge? Er weiß es auch nicht. Das bunte Bild, das Dresden bislang gerne abgab – barocke Vorzeigestadt, Frauenkirche, Weihnachtsmarkt, Villen am Loschwitzer Elbhang, Semperoper und Elbdampfer – es hat wohl nicht gestimmt, es war zu ungenau. „Dresden ist eben mehr als das“, sagt Löbbers. „Leider.“