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Anfeindungen, Zerstörung und Gegenwind aus Berlin Ampelparteien im Wahlkampf: „Man darf Angst haben, aber …“

Anfeindungen und Zerstörung – in einem rauen Klima kandidieren vier Frauen in Bad Dürrenberg erstmals für die Grünen. Auch die anderen Parteien berichten dort vom Ballast der Bundespolitik und was der „liberale Bananenindikator“ über den bisherigen Wahlkampf aussagt.

Von Robert Briest 28.05.2024, 15:24
Wahlkampf führen Petra Rehm, Johanna Michaelis, Martina Müller und Cati Wolter (v. l.) nur als Gruppe
Wahlkampf führen Petra Rehm, Johanna Michaelis, Martina Müller und Cati Wolter (v. l.) nur als Gruppe Foto: R. Briest

Bad Dürrenberg/MZ. - „Solche Anfeindungen machen einen betroffen. Man hat den Hass gesehen“, berichtet Petra Rehm über die Erlebnisse am Himmelfahrtstag. Damals war die 66-Jährige mit ihren Mitstreiterinnen unterwegs, um Wahlkampf zu machen. Erstmals treten die vier Frauen und ein Mann zwischen 50 und Anfang 70 in Bad Dürrenberg für den Stadtrat an und das – ebenfalls erstmals in der Solestadt – als Liste der Grünen. Ein Name, der den politischen Neulingen viele Ablehnung entgegenschlagen lässt. Besonders an Himmelfahrt, so berichten sie, seien sie von verschiedenen Männergruppen beleidigt und bedroht worden: „Ihr Drecksviecher“ oder „Wir zünden Euch das Auto an“, nennt Rehm Beispiele. Auch von der Zerstörung von Wahlplakaten sei man besonders betroffen: „Die hängen noch nicht mal richtig, da sind sie schon wieder abgerissen.“

Das Quintett hat aus diesen Erfahrungen Konsequenzen gezogen, wie Johanna Michaelis, als einzige Parteimitglied, erklärt: „Wir treten auf alle Fälle immer als Gruppe auf, weil wir schon Angst haben, angegriffen zu werden.“ Und sie suchen möglichst öffentliche Orte für ihren Wahlkampf.

„Wir sehen die Demokratie gefährdet“

An diesem Vormittag ist das der Bad Dürrenberger Markt. Einige Kunden schlendern an der kleinen Reihe Händler vorbei. Unter die haben sich die Parteien gemischt. CDU, FDP – und direkt daneben die Grünen, mit Pult, Fahne und frischen Erdbeeren – „Ja, es ist ein wenig klischeehaft“. Michaelis lacht, legt das Strickzeug zur Seite und erklärt, warum sie sich entschieden haben, in einer Zeit, da die Beliebtheitswerte der Bundesregierung im Keller sind – laut Umfragen ist mehr als die Hälfte der Bundesbürger sehr unzufrieden mit der Arbeit –, ausgerechnet unter dem Logo jener Ampelpartei zu kandidieren, die derzeit im Land am meisten polarisiert: „Wir machen das nicht wegen der Bundespolitik, sondern wegen der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir sehen die Demokratie gefährdet.“

Die frühere Geschäftsführerin des Zweckverbands für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung (ZWA) Bad Dürrenberg verweist auf den nach heftigen Bürgerprotesten vom Stadtrat abgelehnten Windpark südöstlich der Stadt. Die Räte hätten damals nicht frei entscheiden können. Sie sei schockiert gewesen, wie die Straße gegenüber den Kommunalpolitikern aufgetreten sei. CDU-Fraktionschef Matthias Fritsch hatte danach von Drohungen gegen sich und seine Familie berichtet und sich aus dem Rat zurückgezogen. Michaelis hat aber noch einen anderen Punkt, der sie in ihrer Heimatstadt stört: „Es gibt hier keine Willkommenskultur. Neue Bürger werden nicht willkommen geheißen. Das spaltet die Gesellschaft.“

Liberaler Bananenindikator

Nebenan hat die FDP ihren Stand schon abgebaut. Der Ortsverbandsvorsitzende Marcus Diessner berichtet später am Telefon, dass die Bundespolitik schon ein großes Thema im Kommunalwahlkampf sei: „Die Mehrheit tendiert dazu, uns hier vorzuwerfen, was im Bund nicht funktioniert. Wir werden aktiv darauf angesprochen.“ Er hat dafür durchaus Verständnis, denn den Liberalen vor Ort gehe es auch so. Die Botschaft, die sie deshalb zu vermitteln suchten, sei: „Wir sind hier für Euch und nicht für Berlin.“

Diessner nimmt einen anderen Wahlkampf wahr als in früheren Jahren. Es sei ruhiger, gleichzeitig sei ein Teil der Leute gereizter. Letzteres äußere sich etwa daran, dass Passanten vermehrt Beleidigungen wie „Volksverräter“ oder „Kriegstreiber“ riefen. Gleichzeitig gebe es weniger Besuch an den Ständen. Diessner macht das an den Bananen fest. Die Liberalen stehen traditionell freitags auf dem Markt und samstags vor der Saline-Passage – und verteilen Bananen. „2019 haben wir pro Wochenende so 40 Kilo gebraucht.“ Jetzt habe man Probleme, die Bananen loszuwerden. Der Wahlkampf habe sich in die sozialen Netzwerke im Internet verlagert.

Klaus Opitz hat über drei Jahrzehnte Wahlkampferfahrung. Seit 1990 sitzt er für die SPD im Stadtrat. In diesem Jahr hat er nur noch einen Mitstreiter auf der Liste der Sozialdemokraten. Dass es nicht mehr sind, hänge mit der Verdrossenheit der Leute über die Politik der Ampel zusammen, sagt er. „Berlin ist nicht unbedingt förderlich.“ Ihm sei deshalb geraten worden, doch auf seinen Flyern auf das Parteilogo zu verzichten. Doch Opitz sagt: „Da müssen wir durch. Ich werde mich nicht verbiegen.“ Das bedeutet, dass er damit umgehen muss, dass er mit der SPD beim Flyerverteilen auf offene Ablehnung stößt. „Ich kann mit den Leuten nur diskutieren, dass ich hier Kommunalpolitik mache.“

Nicht entmutigen lassen

Das versuchen auch Michaelis und ihre Mitstreiterinnen von den Grünen, wenn es am Stand zu hitzigen Gesprächen kommt: „Wir versuchen die Luft rauszunehmen, zu sagen: ,Ihr kennt uns, wir sind hier vor Ort’’.“ Aber die Leute kämen oft mit bundespolitischen Themen. Das sei schon eine Belastung für den Wahlkampf. Wobei, schränkt Mitkandidatin Cati Wolter ein: Viele Dinge, die in Berlin entschieden würden, seien gut.

Doch die Kommunikation und wie es aufgenommen wird, sei schwierig. Trotz der Anfeindungen, mit denen sie in ihren ersten Wochen in der Kommunalpolitik konfrontiert sind, wollen die Frauen weitermachen: „Das Pflänzchen, was wir jetzt haben, soll weiterwachsen“, sagt Michaelis und ihre Mitstreiterin Rehm erklärt: „Man darf zwar Angst haben, aber man darf sich davon nicht lähmen lassen, sonst haben die Radikalen schon gewonnen.“