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So lief der Wahltag in Halle Es ging um vier Kreuze: Schlangestehen für die Demokratie

Lange Schlangen vor den Wahllokalen: Politikverdrossenheit sieht anders aus. Warum eine Hallenserin seit 20 Jahren ehrenamtlich hilft und ein 91-Jähriger früh den Wecker stellt.

Von Dirk Skrzypczak und Robert Horvath Aktualisiert: 10.06.2024, 00:45
Bettina Thörmer arbeitet seit 20 Jahren als ehrenamtliche Wahlhelferin – und hat nach wie vor Spaß.
Bettina Thörmer arbeitet seit 20 Jahren als ehrenamtliche Wahlhelferin – und hat nach wie vor Spaß. Foto: Schellhorn

Halle (Saale)/MZ - Bettina Thörmer braucht am Sonntag keinen Wecker. Um 4 Uhr ist sie munter, wie sie erzählt: „Ich war aufgeregt.“ Das mag verwundern, schließlich ist die 54-Jährige zum 20. Mal als Wahlhelferin im Einsatz, leitet in der Grundschule Hanoier Straße auf der Silberhöhe die Geschicke im Wahllokal „46104“. „Jede Wahl ist anders. Natürlich kennt man die Abläufe. Und doch lässt sich so ein Tag nur bis zu einem gewissen Teil planen.“ Was auf der Silberhöhe wie überall in der Stadt auffällt: Vor den Lokalen bilden sich lange Schlangen. „Das hatten wir so schon lange nicht mehr“, sagt Thörmer. Aus der Warteschlange hört man immer wieder, dass sich etwas ändern müsse. „Wir haben die Schnauze voll“, sagt ein Mann.

Thörmer, Mitarbeiterin im Bau- und Liegenschaftsmanagement des Landes, kümmert sich mit ihrem Team um die Wähler. Gehbehinderten wird geholfen. Kaffee und Getränke werden angeboten, Süßigkeiten für die Kinder. „Eine Wahl wird nur dann eine gute Wahl, wenn das Team funktioniert“, meint Thörmer. Sie selbst sei politisch „normal“ interessiert. „Die Arbeit als Wahlhelferin macht mir aber seit jeher großen Spaß. Das ist besser, als zu Hause auf der Couch zu liegen.“

Der Erste kontrolliert die Urne

Szenenwechsel. Vor dem Bürgerhaus „alternativeE“ im Stadtbezirk Süd stehen vor 8 Uhr schon die ersten Wähler. Der Erste in der Schlange ist 91 Jahre alt. Er habe sich extra den Wecker gestellt, erklärt der Rentner sein frühes Kommen. Außerdem erwarte er gleich noch Besuch. Zusätzlich zum Wählen hat der erste Wähler noch eine andere Aufgabe. Er soll überprüfen, ob die Urnen vorher auch leer sind. Er sieht nach und antwortet auf die Frage, was drin sei: „Luft.“ Dann werden die Urnen versiegelt und mit Schlössern verriegelt. Der 91-Jährige wirft seine Stimmzettel ein.

Das könnte am Wahlsonntag die längste Schlange vor einem Wahllokal in Halle gewesen sein: In der Liebenauer Straße war Geduld gefragt.
Das könnte am Wahlsonntag die längste Schlange vor einem Wahllokal in Halle gewesen sein: In der Liebenauer Straße war Geduld gefragt.
Foto: Horvath

Später kommt es zu einem vermeintlichen Zwischenfall. Eine Frau zeigt sich verwundert. Ein parteiloser Kandidat stehe nicht auf der Liste. Die Wahlvorsteherin Heike Karow nimmt sich des Falls an, ruft im Wahlamt an. Es stellt sich heraus: der Parteilose kandidiert für einen anderen Wahlbereich, kann deshalb gar nicht auf der Liste stehen. Ab neun Uhr wächst die Schlange der Wähler und mit ihr die Wartezeit. Nicht nur, weil nun viele Leute auf einmal kommen. Sondern auch, weil die Wahlzettel auf eine derartige Größe angewachsen sind, dass man die gewünschten Kandidaten und Parteien mitunter suchen muss. Bis zu 30 Minuten stehen draußen die Wähler nun an, um ihre Stimme abzugeben.

Pech durch Umzug

Einer von ihnen ist Andreas Zimmermann. Der 62-Jährige ist vor etwa drei Wochen von Halle nach Sennewitz in den Saalekreis gezogen. Nun hat er ein Problem: Er kommt gerade von seinem neuen Wohnort Sennewitz. Dort durfte er nicht an der Kommunalwahl teilnehmen. „Meine Zugehörigkeit zum Saalekreis zählt noch nicht, weil ich noch keine drei Monate dort wohne“, fasst er zusammen. Daher sei er nach Halle gekommen. In seinen alten Wahlbezirk. Doch auch hier ist ihm die Kommunalwahl laut Wählerverzeichnis nicht erlaubt. Der Grund: Er sei verzogen. „Ich kann keine Stimme in der Kommunalwahl abgeben“, so Zimmermann. „Das ist ärgerlich. Man geht ja zur Wahl, um zu versuchen, etwas zu ändern an dem, mit dem man nicht zufrieden ist.“ Das Gute: Wenigstens an der Europawahl darf Zimmermann teilnehmen. Denn dafür darf man überall in Deutschland wählen.

Vor allem ältere Menschen waren mit den ellenlangen Wahlzetteln zum Teil überfordert. Es dauerte seine Zeit, alles zu lesen und zu finden.
Vor allem ältere Menschen waren mit den ellenlangen Wahlzetteln zum Teil überfordert. Es dauerte seine Zeit, alles zu lesen und zu finden.
Foto: Schellhorn

Zurück in die Hanoier Straße. Der Andrang lässt kaum nach. Zeit für einen Plausch hat keiner im Team. Bettina Thörmer erinnert sich dennoch an eine lustige Begebenheit in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Ein Theologiestudent, als Wahlhelfer eingeteilt, wollte den Vorstand an sich reißen. „Er dachte wohl, wir packen es nicht.“ Die Revolte verlief im Sande. „So muss es sein“, sagt Thörmer: „Wir sind heute schließlich für die Wähler da.“