«Weiße Folter» - Schneiders «Guantánamo» in Düsseldorf
Düsseldorf/dpa. - «Weiße Folter» nennen Verhör-Spezialisten ihre Zwangsmethode, Häftlingen ohne sichtbare körperliche Spuren durch den Entzug von Schlaf, Essen oder aller Kontakte zur Außenwelt Geständnisse abzupressen.
«WEISSE FOLTER» nennt auch der Künstler Gregor Schneider (37) seine spektakuläre Installation, die er labyrinthisch in das Untergeschoss der Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen/K21 in Düsseldorf eingebaut hat. Für das von Freitag an (bis 15. Juli) zu besichtigende jüngste Werk hat sich Schneider, Träger des Goldenen Löwen der Biennale Venedig, nach eigenen Angaben von Internet-Fotos aus Guantánamo anregen lassen.
In aseptisch weißen, neonbeleuchteten Gängen öffnen sich Schiebetüren zu Zellen mit Plastik-Pritschen und Alu-Aborten, geben Durchgänge frei in schallschluckende Dunkelräume oder Kältekammern. Schwergängige Stahlpforten lassen sich - es gibt kein Zurück mehr - nur in eine Richtung öffnen. Maximal zwei Besucher, so der derzeitige Plan der Ausstellungsmacher, sollen im Drei-Minuten-Abstand das ungewöhnliche Kunstwerk betreten dürfen, in dem es kaum etwas zu sehen, aber umso mehr zu empfinden gibt.
Mit seinem geheimnisvollen «haus ur», dem Jahre langen Umbau im Inneren eines simplen Wohnhauses im Heimatort Mönchengladbach-Rheydt, hat Gregor Schneider internationale Aufmerksamkeit erregt. Ein an die Kaaba von Mekka erinnernder schwarzer Kubus Schneiders sorgte für kulturpolitischen Streit in Venedig und Berlin und wird in Kürze in Hamburg endlich zu besichtigen sein.
Interessierte sich der Künstler zunächst mit den morbiden, abgeschabten Resten von Innenräumen für die Spuren gelebten Lebens, gab er mit den Feucht- und Schimmelflecken von «haus ur» den Assoziationen des Betrachters einen gewissen Rahmen, so geht Schneider nun einen radikal anderen Weg. Ganz und gar werden die Gedanken und Erinnerungen des Betrachters, der beklommen und immer wieder um Orientierung ringend durch die Flure des Düsseldorfer Schock-Interieurs geht, zum einzigen künstlerischen Material. Ist dies eine Intensivstation oder ein Internierungslager? Was bedeuten die schwarzen Pfeile am Boden der Einzelzellen, woher kommen die fernen Geräusche, wo ist der Durchschlupf zum Ausgang?
Ein mit Dämm-Material ausgekleideter, großer Dunkelraum in der Mitte der 600-Quadratmeter-Installation sorgt für beträchtliches Unwohlsein, eine dustere Kältezelle hinter schweren, hermetisch schließenden Türen ist mit surrender Elektronik auf fünf Grad herabgekühlt.
Keinesfalls wolle der Künstler zeigen, «so ist es in Guantánamo, das wäre Kitsch», versichern die Ausstellungskuratoren Brigitte Kölle und Julian Heynen. Beide sind sich jedoch der Gratwanderung des Projektes sehr bewusst, mit dem Schneider «den Schrecken, auf der Welt zu sein», künstlerisch formuliere. Das aufwendige Kunstwerk wirft nachhaltig Fragen nach der Berechtigung des Umgangs mit dem Grauen für Kunst-Zwecke auf.
Ob in der Szene der trendigen Kunst-Liebhaber die «WEISSE FOLTER» nicht doch eher zu wohliger Gänsehaut als zu existenzialistischer Nachdenklichkeit führt, werden die nächsten Wochen zeigen. Und anders als in den Folterlagern dieser Welt wachen hinter den gleißend weißen Holzwänden des jüngsten Schneider-Werkes aufmerksame Helfer, um bei Panik-Attacken oder Unwohlsein den Besuchern sofort zu helfen.