1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Weingenie aus Wittenberg: Weingenie aus Wittenberg: Christian Wilhelm ist der beste Sommelier Deutschlands

Jetzt einschalten

Weingenie aus Wittenberg Weingenie aus Wittenberg: Christian Wilhelm ist der beste Sommelier Deutschlands

Von Magdalena Kammler 17.12.2017, 11:00
Sommelier Christian Wilhelm
Sommelier Christian Wilhelm Andreas Stedtler

Leipzig - Ein Restaurant. Zwölf Gäste. 1.000 Euro. Pro Person. In der Leipziger Gourmet-Küche wird an diesem Abend ein besonderes Essen vorbereitet - dazu besonderer Wein, unter anderem zwei Flaschen Château Lafite-Rothschild aus dem Jahr 1959. Christian Wilhelm ist nervös. Wie wird sich der Pauillac’sche, franzözische Rotwein an der Luft entfalten? Gegen 18 Uhr öffnet der ausgebildete Weinkellner die Flasche. Er probiert einen Schluck und hält inne. Es ist nicht das, was er für einen 1959er Jahrgang erwartet hat. 4.500 Euro kostet eine Flasche. Wird der Abend ruiniert sein? Der Abend lief gut. Der Wein: besser als erwartet, und für Christian Wilhelm war es das überraschendste wie auch prägendste Weinerlebnis. Der Geschmack, unerwartet jugendlich für seine Zeit.

Ehrung vom Restaurantführer Gault-Millau: Christian Wilhelm aus Wittenberg ist der besten Weinkellner Deutschlands

Das war vor rund fünf Jahren. Momente wie diese sind selten, und doch ist jeder Tag für Christian Wilhelm eine Überraschung. Er weiß nie, welche Gäste kommen. Trotzdem scheint er immer den richtigen Geschmack zu treffen. Dafür wurde der 35-jährige Wittenberger vom Restaurantführer Gault-Millau zum besten Weinkellner deutschlandweit gekürt. In der Fachsprache ist er nun Sommelier des Jahres 2018.

Es ist ein grauer Mittwochnachmittag. Im Erdgeschoss des 27-stöckigen Westin-Hotels am zentralen Tröndlinring in Leipzig herrscht Hektik. Polizeibeamte säumen die Eingangshalle, Einsatzwagen stehen vor dem hohen Gebäude bereit. Vorbereitungen für die Innenministerkonferenz.

Bester Sommelier Deutschlands: Christian Wilhelm serviert nicht nur Wein, er verkauft auch Emotionen

Im obersten Stockwerk bekommen die Angestellten von all dem nichts mit. In wenigen Stunden öffnet hier das Restaurant „Falco“. Es ist ruhig. Zum frühen Abend beginnen die Lichter der Stadt zu leuchten. Die großflächige Glasfassade lässt den direkten Blick über Leipzig schweifen. Man kann sich gut vorstellen, wie hier in den weißen Cocktailsesseln an der holzvertäfelten Bar Angestellte oder Firmeninhaber ihren Tag hinter sich lassen. Oder wie an den weißen Tischen Paare am Wochenende das Gourmet-Angebot für 88 Euro pro Person ausprobieren. Der renommierte Koch Peter Maria Schnurr ist bekannt für seine ausgefallenen Kreationen und die kohlenhydratarme Zubereitung. Dazu vielleicht ein Glas halbtrockenen Riesling.

Neben diversen Rieslingsorten kennt Christian Wilhelm 1.300 Weinpositionen, die er jeden Abend theoretisch aufzählen könnte. Welcher Wein zu welchem Essen passt und welche Vorlieben der Gast dazu hat, das ist für den Sommelier Alltag. Ihm gehe es vor allem um die Geschichte hinter dem Wein, wie er sagt: „Ich verkaufe Emotionen.“

Der Restaurantführer Gault-Millau gehört seit 1969 zu den renommiertesten Expertenempfehlungen in der Gastronomie-Szene. Seit 1983 erscheint er auch in Deutschland. Der Ursprung des Gourmet-Buchs liegt im Französischen, wie auch der Name. Dieser ist auf die Begründer zurückzuführen, die Journalisten Henri Gault und Christian Millau.

Jedes Jahr bewertet der Gault-Millau unter anderem Restaurants, Winzer und Weinkellner, die sogenannten Sommeliers. Für 2018 wurde Christian Wilhelm als Sommelier des Jahres im Leipziger Restaurant Falco gekürt. Voriges Jahr war es der Österreicher Marco Frenzelin aus Bergisch Gladbach.

Zwar kann ein Wein einer Winzervereinigung genauso gut schmecken wie der eines einzelnen Winzers. Der Unterschied liege jedoch im Detail, erklärt der Sommelier. „Der Winzer wird mit mehr Leidenschaft seinen Wein produzieren.“ Deswegen fährt Christian Wilhelm nicht selten direkt in die Weinberge, um sich vor Ort ein Bild machen zu können. Ein besonderes Augenmerk hat er in den vergangenen Jahren auf die Region Saale-Unstrut gelegt. Die Geschichten seien es letztendlich, die berühren und den Wein ausmachen. Ein Bekannter aus der Filmbranche habe beispielsweise spontan während einer Dokumentation in Italien seine Leidenschaft für die Reben entdeckt, inzwischen bewirtschaftet dieser als Winzer ein Stück Land südlich von Berlin.

Bester Sommelier Deutschlands: So kam der Wittenberger Christian Wilhelm zur gehobenen Gastronomie

Christian Wilhelm sitzt mit überschlagenen Beinen in einem der Sessel neben dem Eingang des Falco. Er trägt braune Schuhe, einen Ledergürtel in der exakt gleichen Farbnuance, eine schwarze Hose und ein hellblaues Hemd. Seine dunklen Haare sind kurz geschnitten, er trägt einen leichten Dreitagebart und eine rahmenlose Brille. Seine Art zu reden scheint gewählt und diplomatisch.

Mit den Jahren habe er gelernt, wie der Umgang in der gehobeneren Gastronomie aussehe: dezent im Verhalten, gewählt im Ausdruck. Aber er könne auch anders, so wie man eben auf dem Dorf spricht. Christian Wilhelm ist in Trebitz bei Wittenberg aufgewachsen und absolvierte eine Ausbildung zum Hotelfachmann im Wörlitzer Parkhotel. Der Einstieg in die gehobene Gastronomie begann gewissermaßen auf halber Treppe.

Seine Leidenschaft für Wein nahm später ihren Anfang. In Berlin. Im Gourmet-Restaurant Fischers Fritz, zwischen Gucci und Französischem Dom. Nachdem der dortige Sommelier Hilfe brauchte, wurde Wilhelm von ihm angesprochen, ob er ihm nicht unter die Arme greifen möchte. Später absolvierte der Wahlberliner eine Fortbildung zum Sommelier bei der Industrie- und Handelskammer. „Ein halbes Jahr Arbeiten und Lernen, ohne Pause“, erinnert sich Christian Wilhelm.

Schließlich wurde die Position des Sommeliers im Fischers Fritz frei und Wilhelm rückte nach. Es dauerte nicht lange, bis er zum Berliner Weinkellner gekürt wurde und schließlich eine Anfrage aus Leipzig bekam. Die Nähe zur Heimat und seine Freundin, die in Dresden auf Lehramt studiert, haben ihn zusammen mit dem Portfolio des Leipziger Restaurants Falco überzeugt.

Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Will er nicht bald wieder weiterziehen? Vielleicht wird es Leipzig bleiben. Denn die Welt hat er schon zwei Mal umrundet. Natürlich als Kellner, damals auf der MS Europa. Es scheint, als ob Christian Wilhelm seinen Hafen gefunden hat. (mz)