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Ungarn Ungarn: Ab dem dritten Glas klappt auch die Aussprache

Von Tobias Wiethoff 21.09.2005, 13:24
«Egészségedre!» - das ungarische Wort für «Prost!» lernt man auf einer Reise in die Schwäbische Türkei in Ungarn. Bei Weinfesten wie hier in Pécs wird an der Aussprache gefeilt. (Foto: dpa)
«Egészségedre!» - das ungarische Wort für «Prost!» lernt man auf einer Reise in die Schwäbische Türkei in Ungarn. Bei Weinfesten wie hier in Pécs wird an der Aussprache gefeilt. (Foto: dpa) Ungarisches Tourismusamt

Villány/Szekszàrd/dpa. - Was erschwerend hinzukommt: Falsch betont, klingt die Vokabelin ungarischen Ohren wie der vulgäre Ausdruck für das menschlicheGesäß.

Wer diese Klippen umschiffen und dennoch dem ungarischen Wein ander Stätte seiner Erzeugung zusprechen möchte, sollte nicht nach Egeroder Tokaj, sondern in die Schwäbische Türkei fahren. Dieseliebliche, von weiten Ebenen und sanften Hügeln geprägte Landschaft,die trotz ihres Namens tatsächlich im Südwesten Ungarns liegt, istdie Heimat der Donauschwaben, und die sprechen Deutsch - zumindesteine altertümliche Abart davon. Der Wein aus dieser Gegend giltsowieso als einer der besten des Landes und lehrt neuerdings sogarprominente Tropfen aus dem Ausland das Fürchten.

Dem Winzer Attila Gere aus Villány an der kroatischen Grenze istschon bei mehreren Blindverkostungen renommierter Fachzeitschriftendas Kunststück gelungen, mit seinem Spitzenwein «Solus», einemMerlot, französische Grand Crus aus dem Feld zu schlagen. DieserErfolg erscheint um so beachtlicher, wenn man weiß, dass der51-Jährige in seiner Jugend den Beruf des Försters erlernte unddamals viel lieber Bier trank. Aber geradlinige Winzerkarrieren sindselten in einem Weinland, das in sozialistischen Zeiten für seinesüßlich-süffige Massenware mehr berüchtigt als berühmt war.

Inzwischen ist Ungarn wieder da - nicht zuletzt auf Grund desEngagements der Donauschwaben. Durch den scheinbar typischungarischen Namen von Attila Gere darf man sich nicht täuschenlassen. Sein Vater hieß noch ganz schwäbisch Gerbel, ehe ihm dieVernunft zur Umbenennung riet. «Nach dem Zweiten Weltkrieg musste manUngar sein, wenn man Beamter werden wollte», erzählt der Sohn.

Die Deutschen waren in mehreren Wellen seit dem Ende des 17.Jahrhunderts nach Südungarn gelangt. Nach rund 100 Jahren türkischerBesetzung lag das Land wüst und leer, und die österreichischeRegierung schickte Werber nach Deutschland, um nach tatkräftigerneuer Bevölkerung Ausschau zu halten. Fündig wurden sie zwarkeineswegs nur im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg, sondern auchin Bayern oder Hessen, besonders in der Region um Fulda. Da diemeisten der Neusiedler aber in Ulm über die Donau eingeschifftwurden, bürgerte sich die Bezeichnung «Schwab» für sie ein.

Auch wenn die Vertreibungen nach dem Krieg die Volksgruppe um rund200 000 Mitglieder oder ein Drittel dezimiert haben, wird die Pflegedes Brauchtums noch immer groß geschrieben - mitunter größer als imdeutschen Stammland. So gibt es in Nagynyárád unweit der Donau beiMohács neben einem Kulturverein auch einen Chor, der sich deutschemLiedgut widmet. Die größte Attraktion des 840-Seelen-Dorfes aber istder 85-jährige János Sárdi, der Touristen mit Charme und Würde in derurdeutschen Kunst der Blaufärberei unterweist. Kaum einer verlässtseine Werkstatt, ohne sich mit Tischdecken, Servietten oder Schürzenin den charakteristischen Mustern eingedeckt zu haben.

Doch die Deutschen brachten nicht nur ihre Sitten und Gebräuchemit. Sie belebten den Weinbau neu, vor allem mit dem von ihneneingeführten Blauen Portugieser. Heute ist fast die gesamte Elite dersüdungarischen Winzer deutschstämmig, so auch Ede Tiffán, 1991 ersterTräger des von der ungarischen Weinakademie verliehenen Titels«Winzer des Jahres». Wenn es diese Auszeichnung vorher nicht gab, soweil es keine Winzer gab. Im Sozialismus durften Privatleute nureinen halben Hektar Rebfläche bewirtschaften - zur Selbstversorgung.Für die Masse waren die Kombinate und Genossenschaften zuständig.

Anders als Attila Gere hat Tiffán vor der Wende selbst als Önologein Großbetrieben gearbeitet, doch die damalige Produktionsweise istihm nur eine schaurige Erinnerung: «Damals brachte ein HektarRebfläche rund 23 Tonnen Ertrag, heute sind es in Spitzenlagen 3 bis4.» Ihrem Wein zu altem Ansehen zu verhelfen, betrachten die Winzerder Region als gemeinschaftliche Aufgabe. Eine gewisse Rivalitätbesteht allenfalls zwischen den Weinanbaugebieten Villány undSzekszárd. Noch liegt Villány mit seinen schweren, körperreichenRotweinen vorn, aber das nördlich angrenzende Szekszárd holt auf.

Einen «Solus» von Gere oder einem «Carissimae» von Tiffán zuentkorken, gilt inzwischen unter den Schönen und Reichen des Landesals chic. Doch der Patriotismus der Ungarn hat für die heimischenWinzer auch eine Schattenseite: Da der Großteil ihrer Weine im Landgetrunken wird, und das oftmals vor dem Erreichen des optimalenReifegrades, erfahren die Ausländer wenig von ihren Fortschritten.

Wer den Ungarn zuvorkommen will, muss nach Ungarn reisen. DieWinzerfamilie Gere macht es Touristen leicht, indem sie zum Weingutauch noch eine Pension betreibt - ein Patron zum Anfassen. 35 Eurokostet das Zimmer pro Nacht. Etwa die gleiche Summe wird für einenvon Geres Spitzenweinen fällig. Verglichen mit französischen GrandCrus ist das ein Schnäppchen. Als nahezu feudaler Standort für denUrlaub empfiehlt sich Schloss Szent Gaál bei Szekszárd. Die Betreiberbemühen sich auf den umliegenden Anbauflächen, die alte balkanischeRebsorte Kadarka wiederzubeleben. Die Übernachtung in den frischrenovierten Herrenzimmern schlägt mit 60 Euro zu Buche.

Das Verkosten von Weinen kann sich in den Probierstuben der Winzerleicht zur mehr als abendfüllenden Beschäftigung auswachsen. Doch inSüdungarn bieten sich genügend Möglichkeiten, auch die Tagestimmungsvoll zu gestalten. Die Weinkultur entfaltet sich in dieserdünn besiedelten Gegend in schönstem Einklang mit der restlichenNatur. Reben wechseln sich am Straßenrand mit Sonnenblumen, Weizen,Mais und Klatschmohn ab - dazwischen immer wieder beschaulicheDörfer, die von der Liebe der Ungarn zum Eigenheim zeugen.

In ihrer urwüchsigen Form ist die wassernahe Auenlandschaft imNationalpark Donau-Drau zu erleben, einem Ökosystem, wie es in Europain dieser Konservierung nicht mehr viele gibt. Dank der reichlichenNahrung im Flutgebiet lebt hier eine der weltweit größtenPopulationen von Schwarzstörchen. Eindrucksvoll bleibt aber auch dieBegegnung mit zwei anderen Tierarten: den unvermeidlichen Stechmückenzum einen und den urtümlichen Graurindern zum anderen. Die Ungarnbrachten das asiatische Steppenvieh mit den langen, breiten Hörnerneinst auf ihrem Zug gen Westen mit. Heute beteiligt es sich grasendan der Bodenpflege des Nationalparks.

Doch Südungarn hat auch ein veritables Zentrum: dieUniversitätsstadt Pécs, die sich wegen ihres regenGesellschaftslebens nicht nur bei einheimischen Studenten großerBeliebtheit erfreut. Auf Deutsch heißt Pécs Fünfkirchen, undtatsächlich sind es Gotteshäuser, die das Gesicht der Stadt prägen -aber keineswegs nur christliche. Aus der Zeit der Türkenherrschaftsind mehrere Moscheen erhalten, die dem islamischen Teil derBevölkerung zum Teil noch heute als Gebetsraum dienen. Pécs ist diean türkischen Denkmälern reichste Stadt Ungarns.

Doch beherrscht wird Pécs vom mächtigen Dom. Er geht in seinenAnfängen auf romanische Zeiten zurück. Die vier hohen Türme und diebyzantinisch anmutende Wandbemalung stammen aber aus dem späten 19.Jahrhundert, was den kulturhistorischen Wert ein wenig schmälert.Bedeutender und von der Unesco auf die Liste des Welterbes gesetztsind die römischen Grabkammern zu Füßen der Kirche. 16 wurden bishergefunden, 8 davon sollen mit Förderung der EU bis Ende 2006 durchTunnel miteinander verbunden und zu einem unterirdischen Museumausgebaut werden.

Die wichtige Rolle der Donauschwaben in Südungarn zeigt sich auchin der Person des Bischofs von Pécs: Er ist der Spross einer armendeutschen Bauernfamilie aus der Nähe von Szekszárd. Zwar lautet seinoffizieller Name Mihály Mayer, aber es wird einem nicht alsChauvinismus ausgelegt, wenn man statt Mihály Michael sagt.

Im Winkel von Donau und Drau: In Ungarns Südwesten werden zahlreiche Spitzenweine produziert. (Grafik: dpa)
Im Winkel von Donau und Drau: In Ungarns Südwesten werden zahlreiche Spitzenweine produziert. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschildt