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Türkei Türkei: Der Attraktion beraubt: die antike Stadt Pergamon

Von Horst Heinz Grimm 03.01.2003, 09:47
Die Säulen des Trajan - viele Ruinen in Pergamon stammen aus der römischen Kaiserzeit (Foto: dpa)
Die Säulen des Trajan - viele Ruinen in Pergamon stammen aus der römischen Kaiserzeit (Foto: dpa) DAI

Bergama/dpa. - Auf dem Burgberg der westtürkischen Kleinstadt Bergama erheben sich heute wieder die aufgerichteten Säulen des Trajantempels. Sie sind die stummen Zeugen jenes mächtigen Pergamesischen Reiches, das hier, in der Nähe der Ägäisküste, vor rund 2200 Jahren sein Zentrum besaß. Karawanen von Touristenbussen bringen täglich Gruppen zu der Ruinenanlage des antiken Pergamon, in der deutsche Archäologen arbeiten. «Etwa 250 000 Besucher werden es pro Jahr sein», schätzt Wolfgang Radt, der die Ausgrabungen leitet.

Eine moderne Straße führt inzwischen zu der 330 Meter höher gelegenen Akropolis, wo Souvenirverkäufer und Fremdenführer auf die Ankommenden lauern. Wer gern wandert, sollte den Wagen stehen lassen und stattdessen zu Fuß dem alten Weg mit seinen steinernen Zeugen der Vergangenheit auf den Berg folgen. Für die knapp einstündige Wanderung sollte man den frühen Vormittag wählen - es ist dann noch nicht zu heiß, und die Urlauberbusse sind noch nicht angekommen.

In dieser einst mächtigen Stadt können Touristen auch die Fundamente des berühmten Zeus-Altars aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert besichtigen. Um den Altar selbst zu bestaunen, genügt allerdings eine Reise nach Berlin: Das rekonstruierte Bauwerk, das in einem Fries den Kampf zwischen Göttern und Giganten darstellt, hat dem dortigen Pergamon-Museum den Namen gegeben. Deutsche Archäologen brachten 1902 mit ausdrücklicher Einwilligung des Sultans die unersetzlichen antiken Bausteine ins kaiserliche Deutschland. Vor Ort wären sie sonst von der Bevölkerung als Baumaterial verwendet worden.

Der deutsche Ingenieur und Archäologe Carl Humann entdeckte Mitte der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts das antike Pergamon und leitete zwischen 1878 und 1886 im Auftrag der Berliner Museen die ersten Ausgrabungen. Seither gilt der Ort als Domäne der deutschen Altertumsforscher, die mit Unterbrechungen während der zwei Weltkriege bis heute hier aktiv sind. «Die Zuständigkeit liegt beim Deutschen Archäologischen Institut», erklärt Radt, der seit 1971 hier forscht. Seine Arbeit konzentriert sich auf die so genannte Stadtgrabung am Südhang des Burgbergs: «Sie soll Aufschluss geben, wie die Menschen in der hellenistisch-römischen Zeit lebten.»

Pergamon war in der Antike ein bedeutendes Zentrum von Kunst und Wissenschaft. Es verdankte seinen Aufstieg zu Reichtum und Ruhm im dritten vorchristlichen Jahrhundert dem Herrscher Philetairos, der seine Macht auf ein ihm hinterlassenes Vermögen gründete. An die Blütezeit erinnert heute noch das an den steilen Berghang gebaute Theater mit 80 Sitzreihen, das rund 15 000 Zuschauern Platz bot. Immerhin zählte die Stadt einst zwischen 160 000 und 200 000 Einwohner, Bergama in der Ebene hat heute etwa 70 000.

Aus Pergamon stammt eine bedeutende Erfindung: Hier wurde aus Tierhäuten ein Material hergestellt, das sich zum Beschreiben eignete und dem damals üblichen Papyrus Konkurrenz machte: das Pergament. Die Bibliothek der Stadt enthielt nach der Überlieferung rund 200 000 Pergamentrollen. Es war die umfangreichste Schriftensammlung der Antike neben der legendären Papyrus-Bibliothek von Alexandria. Pergament gelangte schließlich auch ins Abendland. In den christlichen Klöstern schufen Mönche daraus edle Bücher.

Die Marmorsäulen des Trajaneums von Pergamon bezeugen noch heute die römische Weltherrschaft. Der pergamesische König Attalos III. vermachte sein Reich 133 vor Christus den Römern, welche die Stadt zum Zentrum ihrer Provinz Asia erhoben. Kaiser Trajan und sein Nachfolger Hadrian wurden hier als Götter verehrt. Der in den Jahren 98 bis 117 gebaute Tempel im Ausmaß von 70 mal 100 Metern erinnert daran. Seit 1345 gehörte das Gebiet zum Osmanischen Reich. Für die Erhaltung der antiken Stadtreste zeigten die neuen Herren kein Interesse. Die Tempel wurden zum Steinbruch, aus dem Anwohner Quader für den Hausbau brachen. Die Schäden sind bis heute sichtbar.

Als die Europäer in 19. Jahrhundert auf der Suche nach den Spuren der Antike nach Kleinasien vordrangen, fanden sie geradezu ideale Bedingungen. Die Osmanen herrschten über all jene Gebiete, in denen sich einst die klassischen Kulturen erstreckten. Sultan Abdulhamid II. zeigte sich besonders großzügig. Er billigte die Ausfuhr des für ihn wertlosen Gesteins, denn Darstellungen von Menschen, wie sie Reliefs und Skulpturen zeigen, widersprechen den Gesetzen des Korans. Nur bei Gold und Edelsteinen verlangte er einen Anteil von den Archäologen.