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Suizidversuch Suizidversuch: «Tief unter die Haut»

20.11.2011, 21:34

FRANKFURT MAIN/MZ. - Mit "tiefer Betroffenheit" hat am Samstagabend der Boss der niedersächsischen Schiedsrichter, Wolfgang Mierswa, auf den Selbstmordversuch von en Babak Rafati (41) aus Hannover reagiert. Mierswa kennt Rafati seit fast 30 Jahren. "Wir werden versuchen, ihm jetzt zur Seite zu stehen und alles tun, was wir können", sagte er. Rafati sei ein "hochgeschätzter Kollege" und außerdem "ein Mann, der mit dem, was er auf dem Platz leistet, immer sehr selbstkritisch umzugehen pflegt."

Grundsätzlich, so Mierswa, sei es künftig umso mehr die Aufgabe der Schiedsrichter-Kommission des Deutschen Fußball-Bundes und der Verbands-Schiedsrichterausschüsse, "dafür zu sorgen, dass unsere Schiedsrichter von uns gestärkt werden, sich nicht zu schnell aus der Fassung bringen zu lassen, wenn sie von der Öffentlichkeit respektlos behandelt werden". In Medien und von Fans werde zu wenig wahrgenommen, "wie sehr einem Schiedsrichter schon auf dem Platz ein Fehler tief unter die Haut geht".

Von der Fifa-Liste gestrichen

Rafati war in den vergangenen vier Jahren dreimal von den Bundesligaprofis bei einer Umfrage des Fachblatts "Kicker" zum schlechtesten Schiedsrichter der Saison gewählt worden. Im vergangenen Spieljahr war allerdings der Bayer Wolfgang Stark noch negativer bewertet worden. Die DFB-Schiedsrichterkommission entschied zudem erst kürzlich, dass Rafati seinen erst 2008 als Nachfolger von Markus Merk gewonnenen Platz unter den zehn deutschen Top-Schiedsrichtern auf der Fifa-Liste in der nächsten Saison gemeinsam mit dem gleichaltrigen Bayer Peter Sippel an Manuel Gräfe (30) und Marco Fritz (33) verlieren wird.

Besonders betroffen hatte Rafati zu Jahresbeginn 2011 gewirkt, als er beim Spiel 1. FC Nürnberg gegen Borussia Mönchengladbach gleich mehrfach mit seinen Entscheidungen völlig danebengelegen und so die 0:1-Niederlage der Nürnberger mitzuverantworten hatte. "Er war damals sehr niedergeschlagen", berichtet ein Szenekenner. Am Samstagabend war noch unklar, welche Motive den Bankkaufmann dazu getrieben haben, sich in der Badewanne seines Hotelzimmers im Kölner Hyatt Hotel die Pulsadern aufzuschneiden. Auch persönliche Gründe wurden nicht ausgeschlossen. Nach MZ-Informationen gehört Rafati aber nicht zu den aktuell der Steuerhinterziehung verdächtigen Schiedsrichtern. Die Ermittlungen dazu dauern an.

Der noch am Samstag nach Köln herbeigeeilte DFB-Präsident Theo Zwanziger schürte auf einer Pressekonferenz in der Kölner Fußballarena Vermutungen, die Motive für den Suizidversuch Rafatis könnten unmittelbar mit der Situation des Deutschen iranischer Abstammung als Bundesliga-Schiedsrichter zu erklären sein: "Der Druck auf unsere Schiedsrichter ist ungeheuer hoch und wir schaffen es einfach nicht, das in die richtige Balance zu bringen."

Verbände reagierten sofort

Niedersachsens Schiri-Boss Mierswa sagte: "Das war ein Alarmzeichen sondergleichen, das heute gesetzt wurde." Laut Zwanziger war der Zustand Rafatis am Samstagabend "stabil".

Rafati war von seinen Assistenten am Samstag um zirka 13.40 Uhr leblos in der Badewanne seines Hotelzimmers aufgefunden worden. Der umgehend alarmierte Chef der DFB-Schiedsrichterkommission, Herbert Fandel, benachrichtigte daraufhin sofort telefonisch Zwanziger, der sofort entschied, statt zum Besuch eines Frauen-Länderspiels nach Wiesbaden nach Köln zu fahren, um sich dort vor Ort zu informieren. Die Deutsche Fußball Liga in Person ihres Geschäftsführers Holger Hieronymus und der für die Schiedsrichter alleinverantwortliche Deutsche Fußball Bund durch deren Generalsekretär Wolfgang Niersbach entschieden dann gemeinsam, das Bundesligaspiel 1. FC Köln gegen Mainz 05 abzusagen. Beide Klubs waren einverstanden, obwohl das ausverkaufte Kölner Stadion schon zur Hälfte gefüllt war.

Um kurz vor 15 Uhr informierte Stadionsprecher Michael Trippel die Fans: "Leider ist der Schiedsrichter des heutigen Spiels kurzfristig ausgefallen. Da es nicht möglich ist, kurzfristig Ersatz zu finden, muss das Spiel leider abgesagt werden." Es gab Pfiffe, es gab Buhrufe, schließlich verließen die Besucher geordnet das Stadion.

Der Mainzer Manager Christian Heidel berichtete am Samstagabend, zum Zeitpunkt der Spielabsage sei noch nicht klar gewesen, ob Rafati überhaupt am Leben war. "Für uns stand außer Frage, dass das Spiel unter diesen Umständen nicht stattfinden kann."

"Wir müssen nun hoffen, dass das, was ihn so sehr belastet hat, dass es zur Ausweglosigkeit führte, ihm genommen werden kann", sagte Zwanziger in seiner ersten Stellungnahme. Der Niedersachse Mierswa, selbst einst Bundesliga-Schiedsrichter, ergänzte: "Ich hoffe, dass diesmal nicht, wie bald nach dem Tod von Robert Enke, wieder zur Tagesordnung übergegangen wird."