Stella-Musical-Theater Stella-Musical-Theater: Die Tricks des Glöckners
Berlin/MZ. - Lilasind die Striche, manche weiß und bei 500ist Schluss. Links hinter der Glöckner-Bühnehat irgendwer angefangen, die Zahl der Vorstellungenan der Wand abzustreichen. Am 5. Juni 1999hatte der Glöckner von Notre Dame im Stella-Musical-TheaterBerlin Premiere. Der 200. Strich wurde am4. Dezember des Jahres an die Wand gekreidet,nach der 700 hatte offenbar keiner mehr Lust,die Strich-listes> weiterzuführen.
Böse Zungen hinter der Bühne meinen, jederStrich stehe für eine technische Panne, waswohl nicht sein kann, denn beim Glöckner läuftalles wie geschmiert. Nach finanziellen Turbulenzenist die Stella AG nach eigenen Angaben wiederauf Kurs. Ist der Musical-Saal zu 65 Prozentvoll, mache man Gewinne, und meist soll dieseMarke derzeit deutlich überboten werden. DerGlöckner ist in und Walt Disney ist drin.
Bevor abends die Türme von Notre Dame in denBühnenhimmel wachsen, kann man einen Blickhinter die Kulissen werfen. Für zehn Markkann man sich die Illusionen rauben lassen,je nach Neigung, bevor man das Stück gesehenhat oder danach. Tipp: besser vorher. Dannfragt man sich während der Show nicht ständig,wie machen die das bloß da vorn auf der Bühne?Wie geht das, dass aus dem Nichts das Kirchenschiffentsteht, dass Menschen in die Seine stürzen,wo keine Seine ist, dass die Sänger nie denEinsatz verpassen, obwohl sie den Dirigentennicht sehen? Leute, die Musicals nicht mögen,sagen, der Blick hinter die Kulissen war fürsie das Interessante am Glöckner von NotreDame, weil sie sich nicht verzaubern lassenkönnen von der Herz- und Schmerz-Geschichtedes hässlichen Quasimodo und der schönen Esmeralda.
8000 Leute interessierte bisher, "wie diedas machen" auf der Bühne. Der große Restwollte sich seine Illusionen bislang nichtnehmen lassen: Im Juni wird der einmillionsteBesucher seit der Premiere 1999 beim BerlinerGlöckner erwartet und damit liegt er vollim Trend. Das Geschäft mit dem Musical boomtin Deutschland. Hotels und Reiseveranstalterbefördern gemeinsam mit der Stella AG einMillionenpublikum zu Katzendamen, Rollschuhfahrern,Opernphantomen und Glockenläutern. Die Wandmit den lila Strichen entdeckt man erst amEnde der Führung, zuvor kommt der Teil mitden zerstörten Illusionen. Nirgends Pappe,nirgends Attrappe, keine Kulissenschieber.Die Berliner Musicalmacher zaubern mit Licht.Der Kirchturm kommt aus dem Projektor. Undgern erzählen die Bühnen- führer - übrigenssinnvollerweise Bühnentechniker -, dass diverseComputer 320 Scheinwerfer und sechs Hochleistungsprojektorenalles auf den Millimeter genau steuern. Dannsind da noch die 40 Dias der Show, alle 18mal 18 Zentimeter groß. Und es gibt 70 handgeknüpftePerücken und manchen Darstellern wird Blattgoldauf die Zähne gelegt und neun Nebelmaschinenmachen Nebel und im übrigen ist Fotografierenim Kostümraum nicht erwünscht.
Und wie geht das mit den Dirigenten? In denKulissen stehen Monitore, da sehen die Sänger,wenn sich der Taktstock hebt. Uff! Eine Riesenmengean Information geht auf die Bühnengäste nieder,langweilig wird es nie, man lässt sich gernverblüffen. Von den elf würfelförmigen Podestenetwa. Die fahren aus der Tiefe des Bühnenbodensnach oben, schwarz, grau, unansehnlich, abgenutzt.Abends strahlen sie in allen Farben. Auf ihregitterförmigen Flächen werden Lichtgemäldeprojiziert.
Wenn man während der Vorstellung ins Kirchenschiffvon Notre Dame blickt, weiß man dann, dassda eigentlich nur eine zehn mal zehn Metergroße Leinwand steht. Dann ist aber auch derZeitpunkt, die Techniker-Euphorie vom Mittagzu dämpfen. Alles sei so perfekt mit Lichtinszeniert, dass man glaube, da stürze "echtjemand in echtes Wasser" - mit Verlaub, dasglaubt man nicht. Das sind die technischenGrenzen der Perfektion, die gelten auch imDisney-Land des Musicals.