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Statt Kreuzfahrt Ernte-Kapitäne

Von Ute Otto 23.07.2006, 14:59

Gräfenhainichen/MZ. - Biermanns, die im Gräfenhainichener Ortsteil Buchholz eine Landwirtschaft betreiben, wissen, was es bedeutet, die Früchte seiner Arbeit vernichtet zu sehen. "Ein größerer Betrieb kann das noch eher verschmerzen - für uns wäre es wirklich der Ruin."

Ein verrücktes Jahr

Es ist ein seltsames Jahr, nickt Georg Biermann. Erst konnten sie im Frühjahr ewig nicht auf den Acker, jetzt werden die Früchte - Biermanns haben auf rund 140 Hektar Weizen, Roggen und Erbsen angebaut - vorzeitig reif. Doch während andere Landwirte jetzt eilen, das Getreide einzubringen, bevor die Körner ausfallen, übt sich Georg Biermann - "auch wenn es kribbelt" - in Geduld. Weil das Korn - dem Laien ist's angesichts der lang anhaltenden Hitze schwer zu erklären - doch noch zu feucht sei. 27 Prozent Wassergehalt habe am Donnerstag die Messung beim Probedrusch ergeben, 14 dürfen es sein. "Es hat halt doch mehr geregnet, als man dachte", erklärt Biermann. Er nimmt das so genau, weil der Feuchtigkeitsgehalt ein gut beeinflussbarer Qualitätsfaktor ist. Im Gegensatz zu den Agrarbetrieben, die Getreide als Futter für das eigene Vieh einlagern und demnach auch trocknen, geht Biermanns Ernte sofort in den Handel.

In dem Zwei-Mann-Familienbetrieb ist Georg Biermann Geschäftsführer und Mähdrescherpilot, seine im Amtsdeutsch "mitarbeitende" Ehefrau der Spediteur. Sie fährt die Ernte zum Agrarhandel nach Rackith, mitunter die letzte Fuhre weit nach Mitternacht.

Frau Biermann lobt die vertrauensvolle Partnerschaft mit der Raiffeisengenossenschaft Rackith. In ihrem Beisein werde dort die Ladung gewogen und beprobt. "Ein anderer Händler bietet mir vielleicht einen Cent mehr pro Kilo an, aber wenn er mir dann sagt, da stimme mit der Güte was nicht und das müsse man vom Preis abschlagen, dann muss ich das glauben. Unterm Strich mache ich damit nichts gut."

Georg Biermann ist in Schleesen mit der Landwirtschaft aufgewachsen. Heidemarie Biermann hat Elektrotechniker gelernt und frühzeitig hart arbeiten müssen, weil die Mutter schwer krank war. Mit 16 ist sie als Maschinistin in drei Schichten ins Kraftwerk Zschornewitz gegangen. "Da habe ich meine Jugend verpasst", sagt sie heute. Eigentlich wollte sie Veterinärtechnikerin werden, und so kam sie zur LPG Strohwalde, wo sie umlernte und wo auch Georg Biermann schon arbeitete - nur hat sie ihn anfangs gar nicht beachtet.

Liebe auf zweiten Blick

Gefunkt hat es auf einem Landjugendtreffen. Als sich 1969 das erste Kind - der Sohn - ankündigte, heirateten sie. Der damalige LPG-Vorsitzende verschaffte ihnen eine Neubauwohnung, das Glück war perfekt. Überhaupt, auf den Chef halten Biermanns bis heute große Stücke: "Das war nicht so einer, der auf Anweisungen von oben gewartet hat. Und er hat die jungen Leute gefördert - wer was konnte, für den hat er alles getan, ihn zu halten."

1972 wurde den jungen Leuten das Neubauerngehöft in Buchholz, die LPG hatte dort unter anderem eine Erdbeerstation, angeboten. Heidemarie Biermann wollte nicht in diese Einöde ziehen. "Sechs Wochen lang habe ich nicht mit ihm gesprochen", erzählt sie. Und dann wollte sie nie wieder weg. Wie sehr ihnen das Anwesen ans Herz gewachsen ist, merkten sie kurz nach der Wende, als zunächst ungewiss war, wie mit Bodenreformland verfahren wird. Sie sehen es als gerechten Lohn für ihre Arbeit, dass sie das Grundstück zu einem geringen Preis kaufen konnten.

Im gleichen Zuge aber begann die Umstrukturierung der Landwirtschaft. Die LPG'n wurden aufgelöst, neue Unternehmensformen gegründet, Personal abgebaut, weil ja auch die Flächen weniger wurden. Mit 47 war Georg Biermann fast der Älteste, aber Arbeitslosigkeit, Umschulung - für ihn unvorstellbar. Schließlich war er Bauer mit Leib und Seele. Und sie inzwischen Agraringenieurin, im Fernstudium hat sie - Mutter zweier Kinder - den Abschluss gemacht. Allerdings: "Du kannst sechs Ingenieurtitel haben - ohne praktische Erfahrungen geht nichts", so ihre Überzeugung.

Mit diesem Unterpfand begannen Biermanns 1992 ihr Dasein als "Neueinrichter". Die von der Genossenschaft erworbenen Maschinen mussten freilich bezahlt, Flächen gepachtet werden. Sich so zu verschulden, ist ihnen nicht leicht gefallen. Zinsgünstige Kredite öffentlicher Banken und Fördermittel - alles schön und gut: "Aber da wirst du absolut gläsern", ist das für Heidemarie Biermann ein belastender Zustand. Bis heute haben sie an den Verbindlichkeiten zu knabbern, weshalb auch das Haus weiter auf eine Sanierung warten muss. Dennoch erinnert sich Heidemarie Biermann mit Glücksgefühl an den Tag, als der eigene Mähdrescher auf den Hof rollte.

Eigentlich haben sie ganz gut zu tun und deshalb schon manchmal daran gedacht, jemanden einzustellen. "Aber da hängt ja so viel mehr dran!" Und fast gesetzmäßig tut sich immer dann, wenn man meint, es geschafft zu haben, ein neues Tal auf. Zumal die Preise für alle Betriebsmittel fast unaufhörlich steigen. "Wir haben mit dem Betrieb schon viele Höhen und Tiefen durch." In ihrem Alter, er ist 63, sie 58 Jahre alt, denkt mancher schon an den Ruhestand. "Noch lange nicht", sagt sie unumwunden. Schließlich wolle man den Kindern keinen Schuldenberg hinterlassen. Die Tochter habe zwar Ambitionen zur Landwirtschaft - "Sie fährt den Trecker mit dem Grubber bald besser als ich", berichtet der Vater ganz stolz. Doch nie würden die Eltern verlangen, dass sie ihren sicheren Job aufgibt. "Aber freuen würde es mich schon, wenn sie den Betrieb übernehmen würde", bekennt Georg Biermann.

Kleine Fluchten

Das gemeinsame Mittagsmahl, das ist die kleine Flucht des Ehepaars im Alltag. Wenn sie sich eine Auszeit gönnen, nutzen sie diese für Fahrten zu Feldtagen oder Fachmessen. Ein großer Agrochemieproduzent bietet auf seien Veranstaltungen in der Region Rundflüge an. Die finden Biermanns toll. "Von oben kann man so schön sehen, wo Winterschäden sind." Und wie sich der Bauer über schnurgerade Furchen freuen kann!

Urlaub haben sie noch nie gemacht. Die Laube im Garten, als Sommerwohnzimmer hergerichtet, ist ihre Oase. "Spanien reizt mich überhaupt nicht", verrät Heidemarie Biermann am Ende doch ihren geheimen Wunsch: Eine Kreuzfahrt auf dem Rhein.