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„So etwas mache ich nicht mit“ Forscher aus Gatersleben kritisiert problematische Anfrage in der Wissenschaft

Nicolaus von Wirén ist erfolgreicher Agrarbiologe am Leibniz-Institut in Gatersleben. Universitäten in Saudi-Arabien und China versuchen davon zu profitieren - und das gefällt ihm nicht.

Aktualisiert: 09.12.2021, 09:33
Nicolaus von Wirén  ist vor Kurzem auch als  neues Mitglied in der Leopoldina aufgenommen worden.
Nicolaus von Wirén ist vor Kurzem auch als neues Mitglied in der Leopoldina aufgenommen worden. IPK/Andreas Bähring

Gatersleben/MZ - Die Wissenschaft lebt von Veröffentlichungen, die Forscher in renommierten Fachjournalen publizieren. Davon profitieren auch Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit. Deren Ansehen steigt, je mehr wissenschaftliche Schwergewichte bei ihnen forschen. Es gibt aber eine Tendenz, sich mit fremden Federn zu schmücken, hat Professor Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben (Salzlandkreis) beobachtet. MZ-Redakteur Walter Zöller sprach darüber mit dem Agrarbiologen. Der Blick fiel dabei auch auf Saudi-Arabien und China.

Herr von Wirén, in diesem und im vergangenen Jahr gehörten Sie weltweit zu den Forschern, deren wissenschaftliche Arbeit am häufigsten von Kollegen zitiert wurde. Ende 2020 hat Ihnen in diesem Zusammenhang ein Kollege ein ungewöhnliches Angebot gemacht.

Nicolaus von Wirén: Ich bekam einen Anruf von einem renommierten deutschen Wissenschaftler. Er sagte, er habe mit einer Universität in Saudi-Arabien eine zweite Institutsadresse, die auch in seinen Veröffentlichungen aufgeführt wird, da er bei einigen Themen mit diesem Institut zusammenarbeitet. Hellhörig wurde ich, als der Kollege sagte, die saudische Universität wäre bereit, mir 140.000 Euro jährlich auf ein Forschungskonto zu überweisen. Damit hätte ich zwei Wissenschaftler anstellen können.

„Man kauft sich so eine Autorenschaft ein.“

Nicolaus von Wirén

Und das alles ohne Gegenleistung?

Im Gegenzug hätte ich bei meinen wissenschaftlichen Arbeiten mit einem bestimmten Themenbezug die Adresse der arabischen Universität mit angeben müssen. Man kauft sich so eine Autorenschaft ein. Die Publikationen gehen dann auch auf das Konto der Universität in Saudi-Arabien, obwohl der Wissenschaftler dort nicht geforscht hat.

Sind Sie auf den Handel eingegangen?

Nein. Zumal ich für die 140.000 Euro die Adresse der Hochschule in Saudi-Arabien auf einer Liste, die das internationale Ranking von Wissenschaftlern und Institutionen misst und auflistet, sogar ganz nach oben hätte setzen müssen. Das IPK würde dann nur an der zweiten Stelle gelistet - und die wird im Ranking faktisch nicht berücksichtigt.

Forscher sollten sich also nicht auf eine solche Vereinbarung einlassen?

Ich empfinde das als äußerst unfair gegenüber der eigenen Institution und auch gegenüber unserer Gesellschaft. Denn letztlich forsche ich mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers.

Warum schmückt sich die Universität in Saudi-Arabien mit fremden Federn?

Sie will im internationalen Hochschulranking nach oben kommen; damit wird sie attraktiver für Studierende aus dem Ausland. Man will vermitteln: Schaut mal, an welch toller Forschung wir beteiligt sind.

Ist das Agieren dieser Universität ein Einzelfall?

Es gibt auch in China andere Merkwürdigkeiten.

Universitäten wollen auch dort ihr Image auf diese Weise aufpolieren?

Die Ausgangslage ist komplizierter. China ist seit Jahren auf dem Feld der Wissenschaft sehr stark geworden. Das sage ich mit großem Respekt. Dort wird mittlerweile enorm viel Forschung betrieben, es gibt auch absolute Spitzenforschung, fast alle Wissenschaftler waren mehrere Jahre im Ausland und arbeiten mit den gleichen Standards wie wir. Das Land nimmt also zu Recht eine Spitzenposition in der internationalen Wissenschaft ein.

Aber es läuft offenbar nicht alles nach ihren Vorstellungen?

Man muss wissen, dass an Forschungsprojekten meistens verschiedene Hochschulen und Institute beteiligt sind. In Studien werden natürlich alle Institutionen aufgeführt. Aber die Einrichtung, an der das Projekt konzipiert und in der die meiste Arbeit erledigt wurde, wird natürlich zuerst genannt. Das steigert letztlich auch deren Bedeutung. Nun zu konkreten Fällen: Chinesische Nachwuchswissenschaftler, die am IPK waren, haben nach ihrer Rückkehr in China noch zusammengeschrieben, was sie hier zuvor erforschten. Dann kam zunächst per Mail die Bitte an mich, in der Veröffentlichung auch ihre neue Adresse in China zu nennen.

Ist ein solches Vorgehen ungewöhnlich?

Nein, das ist in Ordnung, schließlich soll der Forscher in seinem neuen Institut leicht erreichbar sein. Aber etwas später sollte, um daheim den nächsten Karriereschritt machen zu können, das neue Institut sogar als erstes genannt werden. Und das entspricht nicht mehr den wissenschaftlichen Gepflogenheiten.

Wie gehen Sie mit solchen Wünschen um?

Ich sitze zwischen zwei Stühlen: Einerseits möchte ich meine früheren Mitarbeiter bei ihrer wissenschaftlichen Karriere fördern. Andererseits bin ich natürlich meiner eigenen Institution verpflichtet. Im Endeffekt würde der Spitzenplatz an eine Institution vergeben werden, die mit dem konkreten Forschungsergebnis nichts zu tun hat.

Wie reagieren Sie auf solche Bitten chinesischer Forscher?

Jetzt sage ich ihnen schon während ihres Aufenthalts am IPK: So etwas mache ich nicht mit.

Sind das Einzelfälle oder lässt sich ein bestimmtes Muster erkennen?

Junge Wissenschaftler stehen in China unter enormem Druck. Erst kürzlich hat mir ein Nachwuchswissenschaftler, der nun seine erste Professur in China innehat, erzählt, was in den ersten fünf Jahren seitens der Universitätsleitung von ihm erwartet wird. In einer Art Zielvorgabe wird festgelegt, dass er in dieser Zeit eine Publikation mit einem Impact Factor von zehn und zwei mit dem Impact Factor sechs vorlegen muss.

Das müssen Sie näher erläutern.

Der Faktor beschreibt letztlich die Bedeutung der Entdeckung, die ein Forscher in einem Projekt gemacht hat. Beim Impact Faktor zehn muss man in unserem Forschungsfeld schon exzellente Ergebnisse abliefern, um das zu schaffen. Wir arbeiten meistens vier bis fünf Jahre an einer solchen Studie. Werden noch zwei mit dem Faktor sechs gefordert, dann ist der Erfolgsdruck schon extrem hoch.

Also ist das eigentlich nicht zu schaffen?

Das würde ich so nicht sagen. Aber junge Forscher, die um ihre Karriere kämpfen, könnten verleitet werden, alle möglichen Hilfsmittel zu nutzen, und sich dann möglicherweise nicht mehr wissenschaftlich korrekt zu verhalten.

Kann Wissenschaft überhaupt mit Druck funktionieren?

Druck aufzubauen, macht eigentlich keinen Sinn. Zu wissenschaftlichen Forschung gehört, dass man erhoffte Ergebnisse nicht vorherbestimmen kann. Insofern sind erfolgsorientierte Vorgaben Gift für die wissenschaftliche Integrität.

Wie kommen chinesische Wissenschaftler zum IPK nach Gatersleben?

Der gängige Weg ist, dass wir Forschungsstellen ausschreiben und dann Bewerbungen aus aller Welt erhalten. China vergibt für solche Stellen auch Stipendien, was natürlich zu begrüßen ist. Auch das IPK profitiert enorm von der Zusammenarbeit mit ausländischen Forschern, das gilt ausdrücklich auch für Wissenschaftler aus China. Aber auch hier gab es zuletzt Irritationen.

Was meinen Sie damit im Detail?

Das China Scholarship Council, also die Organisation, die den akademischen Austausch in China organisiert, hat vor Kurzem den Antragstext für ein Stipendium in Deutschland geändert. Die Doktoranden müssen unter anderem eine Projektskizze einreichen. Neu ist, dass nun am Ende des Textes auch die herausragende Rolle der kommunistischen Partei und von Staatspräsident Xi Jinping ausdrücklich gewürdigt und bestätigt werden muss.

auch die herausragende Rolle der kommunistischen Partei bestätigt werden muss.

„Neu ist, dass nun am Ende des Textes auch die herausragende Rolle der kommunistischen Partei bestätigt werden muss.“

Nicolaus von Wirén

Das muss der Stipendiat unterschreiben?

Mehr noch: Das soll jetzt auch ich als Betreuer unterschreiben.

Was passiert, wenn Sie dies nicht tun?

Ich bin in einem Konflikt. Ich habe ein großes Interesse daran, dass gute Nachwuchswissenschaftler zu uns kommen. Wenn ich nicht unterschreibe, wird der Antrag abgelehnt. Natürlich können die Chinesen machen, was sie wollen. Aber diese persönliche Würdigung des Staatspräsidenten in den Antrag so einzufügen, dass die Gastgeber - also wir - auch unterschreiben müssen, ist schon eine neue und aus wissenschaftlicher Sicht problematische Entwicklung. Denn so wird ein wissenschaftlicher Forschungsantrag mit politischen Zielstellungen vermischt.

Wissen Sie, ob es Kollegen anderer Forschungseinrichtungen ähnlich geht?

Dazu kann ich nur so viel sagen: Bei den Anträgen handelt es sich um ein Formblatt, das mit Sicherheit nicht nur für das IPK formuliert wurde.