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Reichsbürger-Gruppe verboten: Durchsuchungen auch im Norden

19.03.2020, 16:17
Heft mit dem Aufdruck „Deutsches Reich - Reisepass”. Foto: Patrick Seeger/dpa/Archivbild
Heft mit dem Aufdruck „Deutsches Reich - Reisepass”. Foto: Patrick Seeger/dpa/Archivbild dpa

Kiel/Berlin - Nach dem ersten bundesweiten Verbot einer Reichsbürger-Gruppierung durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sind in Schleswig-Holstein am Donnerstag zwei Wohnungen und drei weitere Objekte durchsucht worden. Sie seien zwei Personen aus den Kreisen Segeberg und Steinburg zuzuordnen, sagte Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) in Kiel. Beide seien angetroffen worden. Sie hätten sich friedlich verhalten. Es wurden vorrangig elektronische Medien zur Durchsicht auf Beweiserheblichkeit sowie Vereinsvermögen - Bargeld sowie Info- und Werbematerial - sichergestellt. Anders als in anderen Bundesländern seien keine Waffen sichergestellt worden.

Polizisten hatten in den frühen Morgenstunden in zehn Bundesländern die Wohnungen 21 führender Mitglieder des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme” und seiner Teilorganisation „Osnabrücker Landmark” durchsucht. „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft”, schrieb der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, bei Twitter.

„Jetzt gilt es, die sichergestellten Medien und weiteren Beweismittel auszuwerten und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen”, sagte Grote. „Wir werden weiterhin mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen diese Extremisten und auch andere vorgehen.” Insgesamt 40 Polizisten waren allein an den Einsätzen im Norden beteiligt.

Der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme” wird der extremistischen Reichsbürgerbewegung zugerechnet. „Seine Ideologie ist dabei besonders durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus geprägt”, erläuterte das Kieler Innenministerium. So sollen insbesondere das Wahlrecht und das Recht, Eigentum an Grund und Boden zu besitzen oder zu erwerben, von der Zugehörigkeit zum „Volk der Germanen” abhängig sein. Der Holocaust werde geleugnet, diesbezügliche Denkmäler und Hinweisschilder sollten nach dem Willen des verbotenen Vereins entfernt werden.

Sogenannte „Reichsbürger” und „Selbstverwalter” zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an und weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicherheitsbehörden rechnen aktuell 19 000 Menschen dieser Szene zu, darunter 950 Rechtsextremisten. Der jetzt verbotene Verein ist nach Angaben der Behörden seit Ende 2016 bundesweit mit mehr als 100 Mitgliedern aktiv.

Die Mitglieder der Szene gelten als waffenaffin. Seit 2016 haben die Behörden zwar 790 Reichsbürgern die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen. Da der Verfassungsschutz seine Aufklärung in diesem Bereich verstärkt und sich auch immer wieder weitere Menschen der Szene angeschlossen haben, gab es nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden Ende 2019 immer noch 530 Reichsbürger, die legal eine Waffe besaßen.

Die Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme” hat nach Angaben des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein Mitglieder im unteren zweistelligen Bereich. Man habe sich bei den Durchsuchungen auf exponierte Mitglieder konzentriert, sagte Grote. „Nach Erkenntnissen unseres Verfassungsschutzes gibt es in Schleswig-Holstein aktuell allerdings etwa 350 Personen, die insgesamt der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zugerechnet werden können.”

Durchsuchungen gab es neben Schleswig-Holstein auch in Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen.

Die „Geeinten deutsche Stämme und Völker” wollen die Bundesrepublik durch ein eigenes System „aktivierter Gemeinden” ersetzen. Bei dieser sogenannten Aktivierung eigener Gemeinden erklären selbsternannte Ortsvorsteher in Schreiben an Behörden „ihre” Regionen zu einem selbstverwalteten Hoheitsgebiet. In Schleswig-Holstein sind dies die Gemeinden Tating (Nordfriesland), Brachenfeld und Einfeld (Neumünster), Hohenwestedt (Rendsburg), Dersau und Bönebüttel (Plön), Boostedt (Segeberg) und Lübeck.

„Mit dem heutigen Vereinsverbot setzen die Innenminister ein weiteres deutliches Signal im Kampf gegen den Extremismus”, sagte Grote. „Unser Rechtsstaat geht auch in Zeiten der Corona-Krise konsequent gegen Verfassungsfeinde vor.” Bund und die beteiligten Länder hätten sich eng abgestimmt. Der Deutsche Richterbund begrüßte das Verbot: „Reichsbürger überziehen die Justiz mit Drohschreiben und frei erfundenen Schadenersatzforderungen, beschimpfen Richter, stören Gerichtsverhandlungen und attackieren Gerichtsvollzieher.”

Seehofer hatte 2019 mehrere Verbotsverfügungen angekündigt. Ende Januar verbot er dann die rechtsextreme Gruppe „Combat 18”. (dpa/lno)