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Plattenladen Plattenladen: Hort der Nostalgie

Von Oliver Seifert 30.05.2003, 08:20

Halle/iposa. - Es ist wohl ein ganz normaler Vormittag. „Ich will CDs verkaufen“, sagt der Mann, kaum dass er den Laden betreten hat. Sein Jogginganzug ist eine einzige Knautschzone, die Haare liegen wirr. „Sind Raritäten, die siehst du nie wieder.“ „Hör auf“, schallt es ihm entgegen. Dann einigt man sich doch auf eine Summe. So oder geringfügig anders verlaufen alle Kaufgespräche in allen Second Hand-Plattenläden dieser Erde. Nur die Rollenverteilung wechselt manchmal, dann ist der Verkäufer im Zugzwang und sagt Sätze wie: „Ist ´ne Rarität, siehst du nie wieder.“ Der Preis ist heiß, und wenn er nicht stimmt – und das ist eigentlich immer der Fall – muss darüber geredet werden.

Mit René Rausch, seit 1997 Betreiber des bereits dreizehn Jahre bestehenden halleschen Plattenladens „Whispers“, kann man reden. Das Dumme ist nur: Für angekaufte Ware ist selten mehr als ein Drittel des Weiterverkaufspreises drin. Sonst macht Rausch Miese. Günstiger kommt den Anbieter da der Warentausch, diese fast vergessene Form des Handels. Durch seine Reaktivierung hat Rauschs Reich seine Komplettheit erlangt – ein hermetischer Ort des Gestern, eine angestaubte Enklave der Nostalgie, die auf 50 Quadratmetern knapp 3000 CDs und 5000 Schallplatten zwischenlagert.

In Vinyl gepresste große Kunst

Der 35-Jährige gibt den Verwalter dieses musikalischen Gedächtnisses, das sich aus nahezu allen wichtigen Genres und Stilen der letzten Jahrzehnte speist. Dass er vordem Kunstgeschichte studierte und sich eigentlich der Denkmalpfl ege widmen wollte, prädestiniert ihn noch mehr für den Job, denn um nicht anderes geht es hier: um in Vinyl gepresste große Kunst. Um Geschichten, die darüber in Umlauf sind („Haben sie dann und dort, so und so aufgenommen.“, „Die Pressung ist super limitiert“). Und um Denkmäler: Rockstars, die zu ihnen erstarrt sind; LPs als musikhistorische Zeugnisse der guten alten Zeiten, die manchmal so selten geworden sind, dass sie in den Augen von Sammlern einen unschätzbaren Wert erlangen (der sich nur schwer in Geldbeträgen ausdrücken lässt).

Nehmen wir Neil Young. Schlicht ein Monument für René Rausch. Er hat schlappe 300 Schallplatten allein von Young, verschiedenste Auflagen, Bootlegs, Promo- Pressungen, Live-Mitschnitte. Es gilt, der Originalpressung so nahe wie möglich zu kommen – das ist sozusagen der Antrieb für jeden Sammler. Ein teures Hobby. Rausch zelebriert es im Rahmen des Nötigen. Den Spleen anderer, eine Hi-Fi-Anlage im Werte eines Kleinwagens und Tonabnehmersysteme für fast vierstellige Euro-Summen besitzen zu müssen, pflegt er nicht. Sein Plattenspieler ist wenigstens 20 Jahre alt, seine Lautsprecherboxen stammen noch aus der DDR, wichtig ist ihm beim Equipment, dass „die Optik stimmt und es seinen Zweck erfüllt“. Er ist „kein Soundfetischist“, weswegen er auch vor dem Abspielen teurer Schallplatten nicht halt macht. Bei ihm werden alle Platten, wertvoll oder nicht, gleich behandelt (den Freak wird es bei soviel Nivellierung schaudern) und dem immer selben Ritual unterworfen: gewaschen, in eine nagelneue, gefütterte Papierhülle gemummelt und vor Gebrauch von einer Karbonbürste gestreichelt.

Im Trüben nach Schnäppchen fischen

Auch wenn es noch einige von seinem Schlage gibt, ist es doch schwerer geworden, von der Sammelleidenschaft anderer leben zu können. Das „Whispers“-Angebot hat sich zwar über die Jahre stetig verbessert, die Umsätze aber stagnieren bestenfalls. Der Handel mit Tonträgern hat sich teilweise zum Internet-Auktionshaus ebay verlagert, viele Musikhörer sind aber einfach nur „Konsumenten“ (so bezeichnet sie Rausch in Abgrenzung zu „Sammlern“), die sich mit einer schnöden Musikdatei zufrieden geben. Die Bedingungen der Schnäppchenjagd haben sich hingegen kaum geändert. Die Tonträger sind in den Sparten teuer („Sammlerpreis“), in denen sich der Laden-Betreiber auskennt. Das ist im „Whispers“ nicht anders. Deshalb kramt der Profi „gegen den Strich“ (René Rausch möge diese Stelle gnädig überlesen), sucht in Blues-Läden nach Pop-Scheiben oder in der Rock-Abteilung nach falsch einsortierten, somit kenntnisarm ausgepreisten Jazz- Raritäten.

Plattensammler gelten gemeinhin als mürrische, in sich gekehrte und deshalb äußerst unkommunikative Gesellen. René Rausch ist da anders. Nur in den schönsten Stunden seiner Freizeit, da lässt er die Musik Musik sein und fi scht nach – Karpfen. Nur stundenlange Stille. Schallplatten hat er sich ja eigentlich auch genug geangelt.

Whispers, Second Hand CDs und Schallplatten, Zapfenstraße 5 (Ecke Schmeerstraße), Mo–Fr 11–19, Sa 11–15)