Oswalt Kolle sieht Sex im Alter als Mission
Amsterdam/dpa. - An einer Kneipentheke in Oswalt Kolles Amsterdamer Nachbarschaft hängt dieser Spruch: «Sex über 50 ist wie Billardspielen mit einem Tau.» Völliger Unsinn sei das, wettert der einstige «Bürgerschreck», der in den Sechzigern die Revolution in die Schlafzimmer trug.
«Sex im Alter» ist heute sein großes Thema - und zwar nicht als Frage, sondern als Auftrag. Demnächst wird er 80. Das Jubiläum am 2. Oktober und seine gerade veröffentlichten Memoiren («Ich bin so frei», Rowohlt-Verlag) haben dem «Aufklärer Europas» erneut eine enorme Medienaufmerksamkeit verschafft.
Der Wahl-Holländer ist deshalb jetzt wieder in der alten Heimat auf Tour. «Die Talkshows und Interviews zähle ich schon lange nicht mehr», sagt Kolle kurz vor der Abreise beim dpa-Gespräch in seiner Wohnung im gutbürgerlichen Viertel Beethovenbuurt. Vermutlich, weil er es einfach nicht lassen kann, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu: «Genau wie die Frauen.»
Er war der Sexpionier des Westens. Mit seiner Mission, die körperliche Liebe von Zwängen, Verboten und Verunglimpfungen zu befreien, kam der Journalist und Filmemacher in den Adenauerjahren Millionen wie ein weltlicher Erlöser vor - während seine konservativen Gegner ihn als «Perverser» beschimpften. Seinen selbst gestellten Auftrag - «ein Klima mitzuschaffen, in dem Anti-Sexualität nicht mehr gedeiht» - sieht Kolle als erfüllt an: «Deutschland ist ein tolerantes Land geworden. Man sieht es schon daran, dass es dort zwei Chefs von Landesregierungen gibt, die nicht nur schwul sind, sondern sich problemlos dazu bekennen können.»
Doch ein Dasein als Pensionär mag sich der gebürtige Kieler nicht vorstellen. So zieht er mit einer neuen Botschaft durch die Lande, diesmal für die Alten: «Habt Mut zum Sex, auch wenn ihr ein paar Falten mehr habt oder der Bauch dicker ist», sagt der fast 80-Jährige, der gut und gern für Ende 60 durchgeht. Dass Sex alter Menschen jetzt in dem Film «Wolke 9» von Regisseur Andreas Dresen erfolgreich auf der Leinwand thematisiert wurde, findet Kolle toll. «Das ist genau meine Richtung. Ich sage den Alten: Keine Angst, seid zärtlich zueinander, streichelt euch bis die Flammen in euch aufsteigen. Und wenn es nicht mehr so geht, wozu gibt es Viagra?»
Nicht selten werde er von weißhaarigen Damen gefragt, ob solche Mittel nicht «aus Opas unberechenbare Potenzteufel» machen. «Ich erkläre ihnen, dass diese Erektionshilfen nur bei Stimulanz funktionieren. Wenn Opi so eine Pille nimmt und dann sein Auto wäscht, passiert dabei nichts. Es sei denn, der Gute ist auf eine Art in seinen Wagen verliebt, dass dies schon wieder in eine andere Abteilung der Sexualität gehört.»
Amsterdam war für den Autor von Büchern und Filmen mit Titeln wie «Deine Frau, das unbekannte Wesen» und «Das Wunder der Liebe - Sexualität in der Ehe» Ende der 60-er Jahre eine Insel der Ruhe. Daheim war jede neue Veröffentlichung von Aufgeregtheit und Anfeindungen begleitet. Zudem fand Kolle die deutschen Achtundsechziger zwar politisch wichtig, in Sachen Sexualität jedoch langweilig: «Die glaubten, man kann hundert Jahre sexuelle Unterdrückung mit ein paar nackten Ärschen auf dem Tisch des Bürgermeisters beseitigen.» In Amsterdam hingegen «erlebte ich damals eine enorme Freiheit und Toleranz, Offenheit und Ehrlichkeit zum Thema Sexualität».
Die Holländer begegneten dem «Sex-Guru», der ihre Sprache bald fließend - wenngleich mit dem «Prinz-Bernhard-Akzent» des deutschen Gatten der damaligen Königin Juliana - beherrschte, mit freundlicher Gelassenheit. «So wurde ich ein treuer Untertan der Königin.» Treu stimmt heute im wahrsten Sinne des Wortes: Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Marlies, mit der Kolle «Freiräume in der Ehe» vereinbart hatte, verliebte er sich 2002 in die verwitwete Sprachtherapeutin Josee del Ferro. Die heute 68-Jährige halte nichts von häufigen Bettenwechseln, sagt Kolle. «Deshalb lebe ich seit sechseinhalb Jahren absolut monogam, und ich finde es wunderbar.»