Olympia 2008 - Tag 7 Olympia 2008 - Tag 7: Magie oder Freakshow?
Peking/MZ. - Auf ein wenig Losglück vor dem olympischen 100-Meter-Turnier hat Tobias Unger gehofft. Und darauf, dass in einem möglichen Vorlauf-Duell mit Usain Bolt oder Asafa Powell oder Tyson Gay ein wenig Aufmerksamkeit auch ihm, dem Deutschen Meister, gelten könnte. Unger schied am Freitag im Zwischenlauf aus, ohne auf einen der Großen getroffen zu sein. So blieb ihm nur die Nebenrolle in einem Spektakel, das am Samstag um 16.30 Uhr (MESZ) stattfinden wird.
Das 100-Meter-Finale gilt auch bei diesen Spielen als Höhepunkt. Bis zu einer Milliarde Menschen zu. Um was zu sehen? Einen magischen Moment? Eine Sensation? Einen Weltrekord? Eine Freakshow, kreiert in Doping-Labors?
Der Unterschied zwischen 10,0 und 9,7 Sekunden sind die Drogen." Angel Heredia DopingbeschafferVorausgesetzt, es kommt zum ersten Wettbewerb der großen Drei: Weltrekordler Bolt (9,72 Sekunden), Ex-Weltrekordler Asafa Powell (9,74 / beide Jamaika) und Tyson Gay (USA), der als erster Mensch eine Stadiongerade in unter 9,70 Sekunden zurücklegte. Die 9,68 bei den US-Trials in Eugene waren jedoch von zu starkem Wind begünstigt - zumindest dieser Beschleunigungsfaktor ist nachgewiesen. Doch auch der Verdacht eines anderen Hilfsmittels läuft immer mit.
Es gibt zahllose Indizien und Gerichtsurteile, es existieren Theorien - eine besagt, dass seit 1984 alle Olympiasieger mit Ausnahme des Kanadiers Donovan Bailey (Atlanta 1996) mit Doping zu tun hatten. Und es gibt Kronzeugen wie den Chemiker Angel Heredia (33), der soeben im "Spiegel"-Gespräch über seine Erfahrungen als weltweit operierender Drogenbeschaffer redete und die Teilnehmer des bevorstehenden 100-Meter-Finales von Peking ausnahmslos des Dopings beschuldigte. Zitat Heredia: "Es ist ohne jeden Zweifel so. Der Unterschied zwischen 10,0 und 9,7 Sekunden sind die Drogen."
Heredia bestätigt indes nur das, was man von besonders dopingverseuchten Sportarten schon immer zu wissen glaubte: dass ihre Strukturen den Geschäftsprinzipien folgen. Wer viel investieren kann, erhält die besten und vor allem nicht nachweisbaren Chemie-Cocktails: extra designte Varianten der Hausmittel Epo, Testosteron, Insulin und IGF (Wachstumshormone), und einige Spezialitäten mehr. Heredia - und er dürfte nicht der einzige Dealer sein - lieferte, und bei großen Erfolgen gab es fünfstellige Dollar-Boni.
Die Ausgaben für die Geheim-Apotheke haben sich für die Käufer noch immer gerechnet. Die schnellsten Männer der Welt kassieren seit den 80er Jahren sechsstellige Antrittshonorare - die Kettenreaktion in kombinierter Form von Weltrekorden und Dopingskandalen konnte ebenso wenig ausbleiben wie der daraus resultierende Systemzwang. Die Magie, der schnellste Mann auf zwei Beinen zu sein, drückte der überführte Doper und Ex-Weltrekordler Justin Gatlin (USA) nach seinem Athener Olympiasieg mit den Worten aus: "Ich stand allein auf dem Mond."
Ex-Weltrekordler Powell hat am Fall Gatlin die immer kritischer werdende Öffentlichkeit kritisiert: "Die Leute denken: Wenn der so schnell rennt, muss ich auch was nehmen." Der Jamaikaner ist von 2005 an Weltrekorde in Serie gelaufen, ehe Landsmann Bolt, der in einer Woche 22 Jahre alt wird, zu Beginn der Olympiasaison zwei Hundertstel schneller sprintete. Noch Fragen?
Es gibt immerhin Antworten. Das IOC, der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) und die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) haben die Kontrolldichte zumindest während der Spiele offenbar drastisch erhöht. Asafa Powell beklagte diese Woche, er sei seit seiner Ankunft in Peking viermal getestet worden: "Sie haben mir soviel Blut abgenommen, dass ich schon geschwächt bin, bevor ich ins Finale komme." Und sein jamaikanischer Teamchef Don Anderson ergänzt: "Wir hatten 32 Kontrollen in den vergangenen sieben Tagen. Dies kann die Leistung unserer Athleten beeinträchtigen."