Nationalelf Nationalelf: Mainz ist kein Maßstab
BERLIN/MZ. - Vor dem Länderspiel am Freitag gegen die Türkei sprach Andreas Lesch für die MZ mit Fußball-Bundestrainer Joachim Löw.
Herr Löw, hätten Sie am Dienstag lieber auf dem Trainingsplatz gestanden, als im Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz zu bekommen?
Löw: Natürlich sind wir der Einladung des Bundespräsidenten gerne gefolgt, besonders für die Spieler war das ein tolles Erlebnis. Aber ich hätte drei Tage vor dem Spiel gegen die Türkei natürlich lieber eine Trainingseinheit absolviert.
Guus Hiddink, der Trainer der Türken, gilt als ähnlich versierter Taktiker wie Sie. Reizt Sie das?
Löw: Ich mache mir andere Gedanken: wie wir unsere Mannschaft einstellen, welche Stärken der Gegner mitbringt, was für eine Atmosphäre uns erwartet. Ich überlege mir nicht: Welche Schachzüge macht der gegnerische Trainer? Das ist doch durchschaubar. Jeder Trainer ist irgendwann berechenbar: Was lässt er für einen Fußball spielen? Wie ist seine Philosophie? Welche Grundformation bevorzugt er? Man weiß, dass Hiddink eine klare Systematik will, technisch guten Fußball.
Sind Sie auch berechenbar?
Löw: Wenn ein Trainer unsere Spiele lange beobachtet und analysiert, wird er gewisse Automatismen herausfiltern können. Ich werde jetzt nicht in der Manndeckung spielen lassen. Klar bin ich auch irgendwo berechenbar.
Wie gehen Sie damit um, dass die meisten Ihrer Nationalspieler seit der WM ein Tief durchmachen?
Löw: Wir dürfen nicht ständig über diese Situation reden oder sie als Ausrede nehmen. Die Spieler müssen ihre Leistung bringen.
Sind Sie auch wegen dieser hohen Belastung während der WM zu der Erkenntnis gekommen, dass eine Mannschaft jung sein muss?
Löw: Unsere Mannschaft war bei der WM viereinhalb Jahre jünger als die bei der EM 2008. Sie konnte mehr Tempo gehen. Junge Spieler haben eine kürzere Regenerationszeit. Deswegen ist es vernünftig, den Schnitt zu drücken.
Wie nahe kommen Mainz 05 oder Borussia Dortmund, die zurzeit bestimmenden jungen Teams der Liga, Ihrem Ideal vom Fußball?
Löw: Mein Maßstab ist die Nationalmannschaft. Das ist ein anderer. Natürlich spielen in der Bundesliga hoffnungsvolle Spieler wie Lewis Holtby oder Andre Schürrle. Aber mein Maßstab sind Spanien, Argentinien und England. Die höchste internationale Klasse. Wenn man Weltmeister werden will, braucht man die besten Spieler der Welt. Ich freue mich, dass junge Spieler in der Liga da sind. Aber beurteilen, ob diese in der Lage sind, auf dem höchsten Niveau zu spielen bei so einem Turnier, das kann ich noch nicht. Mainz spielt extrem leidenschaftlich, aber Mainz hat schon noch eine andere Spielanlage als die Nationalmannschaft. Mainz spielt gerne lange Bälle. Wir nicht. Die Mainzer haben erst drei Monate gespielt. Die Frage ist doch: Wie sieht es in den nächsten zwei, drei, vier Jahren aus in Mainz?
Wie erklären Sie, dass hierzulande so viele Offensivtalente nachwachsen? Früher galt Deutschland als Land der Abwehrrecken.
Löw: Wir haben talentierte Spieler, viel mehr als 2005 oder 2006 - weil die Vereine ein bisschen umgedacht haben. Sie lassen jetzt junge Spieler spielen, sie kaufen für diese Positionen nicht ständig ein.
Das muss Sie doch freuen.
Löw: Es ist gut, wenn ein Mario Götze bei Borussia Dortmund spielt. Früher hätte man gesagt: Na ja, der ist 18, da müssen wir mal schauen, wenn er mit 22 spielt, ist's auch gut. Dann hatte einer vier Jahre verloren. Aber es gibt nicht so unendlich viele Talente in Deutschland, wie manche glauben.Wir haben im rechten offensiven Mittelfeld Thomas Müller. Aber wer kommt danach? Götze, okay. Er ist aber eher ein Zentraler. Oder links in der Viererkette. Da fällt Marcell Jansen aus. Schon diskutiert man: Spielt da jetzt Philipp Lahm oder bleibt er rechts? Brasilien hat vielleicht acht Linksverteidiger mit einem linken Fuß. Wir weniger.
Wie lange warten Sie auf Michael Ballack?
Löw: Es ist wichtig, dass man bei ihm jetzt nicht alles überreizt. Er muss erst gesund werden. Ich traue Michael zu, dass er zurückkommt und seine Form wieder findet. Wann muss ich mich entscheiden? Drei, vier Wochen vor dem Turnier - so lange lasse ich mir möglichst viele Optionen offen. Wenn ich entschieden habe, dass ein Spieler keine Rolle mehr spielt - dann fliege ich hin zu ihm und sage Bescheid.
Das Spiel am Freitag gegen die Türkei wird 20.45 Uhr vom ZDF übertragen.