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Motorsport Motorsport: Ton einer Tradition

Von Karin Bühler 05.07.2012, 19:53

Berlin/Hohenstein-Ernstthal/mz. - Im Rathaus von Hohenstein-Ernstthal dröhnen Motorrad-Motoren aus der Telefonanlage. Aus dem Hörer heult es, als halte jemand die Muschel direkt an den Asphalt. Es klingt nach dem Jaulen schwerer Rennmaschinen, nach Beschleunigung. "Willkommen am Sachsenring", sagt eine Stimme vom Band. Willkommen beim deutschen Motorrad-Grand-Prix. Willkommen in Hohenstein-Ernstthal. "Das machen wir halt so", sagt Bürgermeister Erich Homilius, als sei diese Warteschleife nichts Besonderes.

Vermutlich ist sie das auch gar nicht. Denn das Jaulen der Motoren ist die Musik einer ganzen Region, der Klang eines Phänomens, der Ton einer Tradition. In Hohenstein-Ernstthal feiern sie an diesem Wochenende 85 Jahre Sachsenring. Man kann in diesen Tagen die Weltmeister Giacomo Agostini, Jim Redman, Angel Nieto oder Dieter Braun in der Boxengasse treffen. Sie haben an der Legendenbildung des Sachsenrings gewerkelt.

"Dieses Mal ist die Stimmung besonders, weil wir vergangenen Herbst davon ausgehen mussten, dass es hier kein Rennen mehr gibt", sagt Homilius. Für den Erhalt der WM-Rennen auf dem Sachsenring hat der parteilose Bürgermeister energisch Partei ergriffen, nachdem der ADAC Sachsen im vorigen Jahr in Erwartung einer Etatlücke für das WM-Rennen 2012 die Brocken als Veranstalter hingeschmissen hatte. Die Dorna, der Rechtevermarkter der Motorrad-WM, hatte die Lizenzgebühren auf drei Millionen verdoppelt, der Motorrad-Weltverband eine Streckenmodernisierung verlangt.

Schon 2011 war der ADAC Sachsen trotz Zuschauerrekord (230 000 Besucher) auf einem Minus von 600 000 Euro sitzen geblieben. Mehr Risiko wollte der Regional-Club nicht tragen. "Aber den Kommunen und dem Landkreis Zwickau war klar: Die wirtschaftsfördernde Wirkung des Rennens können wir nicht einfach aufgeben", sagt Homilius.

Ein paar Monate lang war alles ungewiss, der Platz im Rennkalender leer. Die Motorrad-Fans in Sachsen demonstrierten mit Lichterketten. Der ADAC Deutschland verhandelte mit der Dorna. Der Freistaat Sachsen versprach Fördergeld über die bisher investierten 45 Millionen Euro hinaus. Und dann setzte sich Wolfgang Streubel, Bürgermeister der Nachbargemeinde Gersdorf, in Bewegung und stellte sich als Geschäftsführer der Rennstrecken-Management GmbH (SRM) und neuer Ausrichter zur Verfügung. "Unvorstellbar, was er mit seinem Team geleistet hat", meint Homilius. Denn erst im Dezember war klar: Es gibt 2012 ein Rennen am Sachsenring.

Vorige Woche kam die Nachricht: Bis 2016 ist die Motorrad-WM am Sachsenring sicher. ADAC-Sportpräsident Hermann Tomczyk freute sich, den Sachsenring als Mekka des deutschen Motorradsports erhalten zu können. Und der deutsche Moto3-Pilot Sandro Cortese, dem am Sonntag viele einen Sieg zutrauen, sagte: "Ich freue mich über diese Entscheidung, denn ich fahre gern am Sachsenring vor dieser großen Zahl an Zuschauern."

"Wir waren gewaltig unter Zeitdruck", sagt Streubel. Vieles musste er in kurzer Zeit neu organisieren, etwa den Ticketverkauf. Die Eintrittskarten sind teurer geworden. Statt 100 Euro für drei Tage auf der Tribüne bezahlen die Zuschauer jetzt 140 Euro. Wie es aussieht, kommen die meisten trotzdem. Es lockt das Rennflair mit Zeltplatz-Party, Konzertbühne am Altmarkt und Glück-Auf-Bier am Ankerberg. Der Tagesverkauf sei gut angelaufen, meint Streubel. Er rechnet mit 180 000 Besuchern.

Am Donnerstag um kurz nach elf atmete er nach der Streckenabnahme erleichtert auf: "Alles gut." Der Weltverband segnete die Umbauten ab: ein größeres Kiesbett in Kurve eins, eine neue Überwachungszentrale, Umbauten in Kurve zwei, acht und neun, versetzte Leitplanken zur Sicherheit der Zuschauer und Fahrer. Weil die Fördermittel des Landes noch nicht geflossen sind, hat der Zweckverband "Am Sachsenring", dem Homilius vorsteht, zwei Millionen Euro zwischenfinanziert.

Im Erzgebirge sind sie ins Risiko gegangen. Sie haben den Start-Ziel-Turm neu gestrichen. Aus blassgelb wurde grün, das helle Rot leuchtet jetzt kräftiger. Die Farben entsprechen der Tourismuskampagne des Freistaates, der sich mit Werbung auf dem Boxendach und in der Sachsenkurve positioniert. Einige Hotels haben versprochen, ihre Mehreinnahmen an die SRM zu überweisen.

Der Bürgermeister von Hohenstein-Ernstthal geht im September aus Altersgründen in den Ruhestand. "Ich bin zusammengewachsen mit dem Ring", sagt er. Ohne Grand Prix wäre es für ihn kein schönes letztes Jahr gewesen. "Unser schönster Lohn wäre es, wenn sehr viele Fans kämen", sagt Homilius. "Denn sie sichern direkt ab, dass der Grand Prix am Sachsenring bleiben kann."