Mexiko 1986: Beckenbauer-Debüt als Teamchef
Hamburg/dpa. - Franz Beckenbauer feierte bei der Fußball-Weltmeisterschaft vom 31. Mai bis 29. Juni 1986 in Mexiko auch ohne Trainerschein ein Debüt nach Maß als Teamchef.Der «Kaiser» hatte nach allerlei Querelen den glücklosen Bundestrainer Jupp Derwall abgelöst und wurde als Retter gepriesen.
Zwar reichte es wie vier Jahre zuvor in Spanien wieder zur Vize-Weltmeisterschaft. Doch diesmal war es weit mehr, als selbst kühnste Optimisten zu hoffen gewagt hatten. Die Endrunde war kurzfristig nach Mexiko vergeben worden, weil Kolumbien das Championat aus wirtschaftlichen Gründen nicht ausrichten konnte. So wurde Mexiko nach nur 16 Jahren als erstes Land zum zweiten Mal WM-Ausrichter.
«Erstens wirst' nicht Weltmeister, zweitens wirst' in zwei Jahren auch nicht Europameister. Das kannst sowieso schon vergessen», hatte Beckenbauer vor dem Turnier provokant verkündet und den betulichen Deutschen Fußball-Bund (DFB) damit ziemlich verschreckt. Doch mit Geschick und Gespür für das Machbare stellten Beckenbauer und sein Assistent Horst Köppel ein Team zusammen, das ohne spielerischen Glanz zu versprühen zu einer großartigen Turniermannschaft wuchs.
Im Finale allerdings erwies sich Argentinien mit Diego Armando Maradona, der «Messias des runden Leders» und «Betrüger mit der Hand Gottes» zugleich war, als eine Nummer zu groß. Nach 90 Minuten stand es im Glutofen Aztekenstadion 3:2 für die Südamerikaner, die nach 1978 zum zweiten Mal Weltmeister wurden.
Mit der Entscheidung hatten Dänemark - mit dem Ex-Bremer Sepp Piontek als Trainer - und die UdSSR nichts mehr zu tun. In der Vorrunde mauserten sich beide Teams jedoch zu Geheimfavoriten. Der sowjetische Nationaltrainer Waleri Lobanowski hatte acht Spieler aus seinem Heimat-Verein Dynamo Kiew nominiert. Nur wenige Kilometer von der Hauptstadt der Ukraine entfernt war es einen Monat vor der WM zum Super-GAU im Atomreaktor von Tschernobyl gekommen. Und in Moskau schickte sich Michail Gorbatschow an, mit Perestroika und Glasnost die kommunistische Welt zu verändern.
Dänemark begeisterte mit Hurra-Fußball. Das bekam auch die deutsche Elf zu spüren. Am Ende hieß es 2:0 für «Danish Dynamite» - aber auch die Deutschen waren im Achtelfinale. Und sie kamen weiter, während die Dänen und die mit einer unglaublichen Rasanz kombinierenden Russen ausschieden.
«Wenn man Wunderdinge von mir erwartet, dann hätte man besser einen vom Zirkus Krone holen sollen. Ein Zauberer bin ich nicht», sagte Beckenbauer, der als Trainer noch gar keine Erfahrung hatte und mutig auf junge Leute baute. Auf den Frankfurter Thomas Berthold und den Schalker Olaf Thon etwa oder die Gladbacher Uwe Rahn und Michael Frontzeck. Er vertraute im Mittelfeld Felix Magath an Stelle des immer wieder mal zurückgetretenen Bernd Schuster und verstärkte die Defensive mit den Bayern Norbert Eder und Klaus Augenthaler.
Gegen die Sensationself von Marokko (1:0) reichte ein Tor des jungen Lothar Matthäus, gegen Mexiko das Glück im Elfmeterschießen (4:1), und im Halbfinale gegen Frankreich (2:0) sicherten Andreas Brehme und Rudi Völler den fünften Einzug in ein WM-Endspiel. Ein Weltrekord, wie schon die achte Halbfinalteilnahme. Gegner Argentinien hatte in Maradona einen Kapitän, der auf dem Zenit seines Könnens auch vor Dreistigkeiten nicht zurückschreckte. So erzielte er im Viertelfinale gegen England (2:1) ein irreguläres Tor und brüstete sich: «Es war ein bisschen die Hand Gottes und ein bisschen Maradonas Kopf.» Doch die Bilder bewiesen: Es war allein Maradonas Hand.
Höhepunkt der WM war das atemberaubende Viertelfinale zwischen Frankreich und Brasilien. Erst im Elfmeterschießen fiel die Entscheidung zu Gunsten des Europameisters (4:3). «Es ist unmenschlich», meinte Zico nach zwei Fehlschüssen des bis dato dreimaligen Weltmeisters. Trainer Tele Santana trat sofort zurück. Zum Sündenbock wurde jedoch Julio Cesar gestempelt, der nach Michel Platinis Fehlversuch nur den Pfosten traf. Am Boden zerstört musste er mit ansehen, wie Frankreichs Torwart Joel Bats, der den ersten Elfmeter gegen Socrates gehalten hatte, als Held gefeiert wurde.
Im Semifinale erlebten die Franzosen eine deutsche Elf, die erstmals Klasse zeigte. Das Team, das durch die Erzfeinde Harald Schumacher und Karl-Heinz Rummenigge sowie den Eklat um den Hamburger Uli Stein entzweit war, hatte sich zusammengerauft und bot beim 2:0 eine Topleistung. Stein hatte sich mit der Rolle des Ersatzkeepers nie abfinden können. Als er Beckenbauer einen «Suppenkasper» nannte, der einer «Gurkentruppe» vorsteht, musste er heimfliegen.
So konnte er nur am Fernseher miterleben, wie sein Rivale im Finale gegen Argentinien versagte. «Ich habe gehalten wie ein Arsch, sonst wären wir Weltmeister», meinte Schumacher nach seinem letzten WM-Spiel. Kapitän Rummenigge und Rudi Völler hatten zwar zum 2:2 ausgeglichen, doch Jorge Burruchaga besiegelte nach Maradonas Traumpass sechs Minuten vor Schluss den 3:2-Endstand. Demoralisiert trat Rummenigge, der seine Klasse wieder nicht beweisen konnte, nach 95 Länderspielen ebenso zurück wie unter anderen auch Dieter Hoeneß und Felix Magath.