Leichtathletik Leichtathletik: Rücktritt von IAAF-Präsident Diack gefordert
Rom/Düsseldorf/dpa. - Die vehemente Kritik in dem Schreiben gipfelt in der Forderung nach dem Rücktritt von IAAF-Präsident Lamine Diack (Senegal). «Die Leichtathletik ist ernsthaft krank, vielleicht am Sterben und Sie als Führer müssen dafür die Verantwortung übernehmen», schreibt Barra, der dem Koordinationskomitee der Olympischen Spiele 2004 in Athen angehörte und auch zu den Organisatoren der Winterspiele 2006 zählte. «Man kann über den Brief heftig streiten, aber manche Kritik ist berechtigt», meinte IAAF-Vizepräsident Helmut Digel.
Barra, der viele Jahre lang die rechte Hand des Diack-Vorgängers Primo Nebiolo (Italien) gewesen ist, spart kaum einen Bereich der IAAF-Politik bei seiner Attacke aus. Dazu gehört auch der von Diack - er steht seit November 1999 an der Spitze des Weltverbandes - initiierte Athletics World Plan. Dessen Herzstück ist ein reformiertes globales Wettkampfsystem. «Ihr Athletics-World-Plan-Projekt ist nicht förderlich, die Position unseres Sports im Fernsehen hat sich verschlechtert, das Wettbewerbssystem ist ein Durcheinander und die Investition in dessen Entwicklung hat nichts genützt», so Barra.
Vielmehr sei das Interesse der Öffentlichkeit an der Leichtathletik gesunken, wie er anhand von Fernseheinschaltquoten zu belegen glaubt. So sei die TV-Quote für die dreitägigen Hallen-Weltmeisterschaften von 2003 bis 2006 von 92 auf 58 Millionen Zuschauer gesunken. Auch die Freiluft-WM habe weniger TV-Zuspruch erfahren: Während 2003 die Übertragung des neuntägigen Spektakels aus Paris 503 Millionen Menschen sahen, seien es 2005 aus Helsinki nur 498 Millionen gewesen. «Viele Fakten stimmen allerdings nicht, dazu gehören die Zahlen zu Fernsehen und Marketing», meinte hingegen Digel, der in der IAAF für diese Bereiche verantwortlich ist.
«Die Leichtathletik ist krank. Jeder weiß das», resümiert Barra, der von 1997 bis 2004 Top-Veranstaltungsmanager des europäischen Verbandes EAA gewesen ist. «Die gegenwärtigen 'Doktoren' sind nicht in der Lage, die Krankheit zu bekämpfen und deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten: sterben oder die Doktoren auszuwechseln.» Denn die wichtigen Aktivitäten der IAAF in den vergangenen Jahren hätten im Namen von Demokratie und Transparenz zerstört, was Nebiolo aufgebaut habe. Der Italiener hatte die Kommerzialisierung der Leichtathletik vorangetrieben und die Kasse der IAAF gefüllt.
Auch aus diesem Grund fordert Barra den 73-jährigen Diack auf, den Rückzug anzutreten. «Entscheide nun und gib die IAAF-Präsidentschaft auf, behalte die Ehrenpräsidentschaft», schreibt er, «aber hilf der IAAF, sich zu häuten und frisches Blut zu erhalten, um den Herausforderungen zu begegnen». Ohnehin sei die Führungsriege zu alt. «Es ist schwierig, von einem bestimmten Alter an noch Visionen zu haben und die junge Generation zu verstehen.»
Ein Jahr vor dem Wahlkongress der IAAF Ende August 2007 in Osaka ist dieser Brief von besonderer Brisanz. Zumal dem Council-Mitglied Minos Kyriakou, ein griechischer Multi-Millionär, ebenfalls Ambitionen auf das IAAF-Spitzenamt nachgesagt werden. Barra allerdings betonte, mit seinem Brandbrief keine Wahlbeeinflussung betreiben und selbst keine Position anstreben zu wollen. «Ich mache keine Kampagne für irgendjemand, sondern setzte mich für Aufklärung der Situation und für einen reibungslosen sowie respektvollen Wechsel ein», sagte Barra, der weiß: «Nach diesem Brief wird man mir keine Akkreditierung für die nächste Weltmeisterschaft geben.»