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Leichtathletik Leichtathletik: Ingrid Mickler-Becker begeht 65. Geburtstag

Von Ralf Jarkowski 24.09.2007, 15:39
Die frühere Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker hält in Berlin im Hotel Adlon die Goldene Sportpyramide in den Händen (Archivfoto vom 27.05.2005).
Die frühere Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker hält in Berlin im Hotel Adlon die Goldene Sportpyramide in den Händen (Archivfoto vom 27.05.2005). dpa

Hamburg/dpa. - Als Leichtathletin war sie immer auf dem Sprung,als Politikerin auf Draht - am Mittwoch ist Ingrid Mickler-Becker aufder Flucht. «An meinem 65. Geburtstag bin ich nicht zu Hause, dafindet mich keiner. Ich will keinen großen Rummel. Die Party wirdetwas später nachgeholt», sagt die zweimalige Olympiasiegerin ineinem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Als Mädchenträumt die gebürtige Westfälin, die heute im rheinhessischenZornheim lebt, von einer Karriere als Fußballerin oder Messdienerin.Daraus wird nichts: Das damals größte Multi-Talent der deutschenLeichtathletik ist eine Weltklasse-Sportlerin geworden.

Ein Glück, dass die Gene mitspielen, denn die Olympiasiegerin(1968 und 1972) und Doppel-Europameisterin von 1971 bezeichnet sichselbst als trainingsfaul. «Über Arbeit wäre ich im Sport sicher nichtso weit gekommen», gesteht sie. Als die Geräte «nicht mehrmitwuchsen», wechselt die Turnerin Ingrid Becker 1959 das Metier - inder Leichtathletik macht sie dann als «Zufallsprodukt» Furore. «Biszu meinem Wechsel nach Mainz 1968 habe ich nur ein Mal täglichtrainiert.»

Auch als Studentin ist die Frau mit den drei Diplomen - alsSportlehrerin, Soziologin und Pädagogin - eine Minimalistin: «Ichhabe nie ein Semester länger gemacht als nötig.» Immer will sie allesschnell zu Ende bringen: Bei einem Testlauf schlägt sie 1959 aufAnhieb die Westfalenmeisterin - der Startschuss für eine nichtalltägliche Sportlerkarriere. Ein Jahr später folgt der erste großeWettkampf: Die Olympischen Spiele 1960 in Rom. «Erst eine Wochevorher habe ich vom IOC die Sondergenehmigung bekommen. Mit 17 Jahrenwar ich die jüngste Sportlerin, die in Rom am Start war.»

Die gesamtdeutsche Mannschaft, die Stadt am Tiber, das riesigeStadion, «alles war Neuland. Mich kannte ja keiner.» Platz neun imHochsprung ist aller Ehren wert, viel spannender ist aber derWettkampf. «Ingrid», hatte ihr Trainer gesagt, «achte auf die Balas,die springt vor dir. Dann musst du dich fertig machen.» Kein guterTipp: Denn die Rumänin Iolanda Balas lässt die ersten Höhen auf demWeg zum Olympiasieg aus - und Fräulein Becker spaziert neugierigdurchs Stadio Olimpico.

«Ich habe 72 Fotos gemacht und den Film ein paar Mal gewechselt»,erinnert sie sich und schmunzelt. Eine aufmerksame und hartnäckigeKampfrichterin lotst die junge Deutsche zur Anlage zurück, auf Anhiebmeistert Ingrid Becker die Anfangshöhe von 1,65 Meter, bei 1,70 Meterist dann Schluss - und Zeit für weitere Schnappschüsse.

1968 gewinnt Ingrid Becker in Mexiko-Stadt olympisches Gold imFünfkampf. Genüsslich erzählt sie eine Anekdote, die sich drei Jahrespäter ereignet: 1971, Helsinki, Europameisterschaften. Im strömendenRegen erkämpft sie innerhalb von knapp zehn Minuten zwei Mal EM-Gold:Mitten im Weitsprung-Finale rennt sie zur Wechselmarke und führt diedeutsche Staffel über 4 x 100 Meter zum Sieg, dann schnappt sie derSchweizerin Meta Antenen im letzten Versuch den Titel weg. 6,76 Meter- mit dieser Siegweite hätte die elfmalige deutsche Meisterin noch 35Jahre später, bei der EM 2006 in Göteborg, Bronze erobert.

Dabei wären die beiden Goldmedaillen beinahe ins Wasser gefallen.«Wir wollten an diesem Tag bei den Regenfluten überhaupt nichtantreten. Ich habe den Verband erpresst», gibt die «Rädelsführerin»36 Jahre später zu. «Bezahlt uns unsere Dauerwellen - und zwar füralle sechs Staffelmädchen. Oder wir starten nicht!» Mit dieserFrechheit kommt die Rebellin beim damaligen DLV-Generalsekretär KarlBeuermann sogar durch. «Der bezahlte jeder von uns 40 Mark für dieangeblich gefährdete Dauerwelle, die aber keine von uns hatte.»

1972 setzt sie in München bei ihren vierten Olympischen Spielenden goldenen Schlusspunkt: Weltrekord mit der «Rosendahl»-Staffelüber 4 x 100 Meter, das DDR-Quartett mit Renate Stecher geschlagen.«Ich habe die Spikes ausgezogen und nie wieder angezogen», erinnertsich Ingrid Mickler-Becker, die aber noch einen großen Sprung wagt:in die Politik. Die CDU holt sie als Staatssekretärin ins rheinland-pfälzische Ministerium für Familie, Sport und Soziales. Dem NOKgehört sie als persönliches Mitglied an; 2005 wird Ingrid Mickler-Becker mit der «Goldenen Sportpyramide» ausgezeichnet. Die Familieund das Golfspiel (Handicap 11) sind heute ihre liebsten Hobbys.