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Leichtathletik Leichtathletik: Heinz Fütterer stellte den Weltrekord von Jesse Owens ein

Von Ulrike John 29.10.2004, 15:00
Der Europameister über 100 Meter, Heinz Fütterer, startet bei den Europa-Meisterschaften in Bern im 200-Meter-Vorlauf, den er mit 21,4 Sekunden gewann (Archivfoto vom 28.08.1954). (Foto: dpa)
Der Europameister über 100 Meter, Heinz Fütterer, startet bei den Europa-Meisterschaften in Bern im 200-Meter-Vorlauf, den er mit 21,4 Sekunden gewann (Archivfoto vom 28.08.1954). (Foto: dpa) B0169 atp

Elchesheim-Illingen/dpa. - Er sei der Erdanziehungskraftentflohen, er habe keine Kraft gebraucht. Es habe sich angefühlt wiefliegen, und als er das Zielband durchrissen hatte, wusste er: Es istetwas passiert. Am 31. Oktober 1954 lief Heinz Fütterer, derFischersohn aus dem badischen Illingen, in Yokohama als erster Weißerdie 100 Meter in 10,2 Sekunden und stellte den Weltrekord deslegendären Amerikaners Jesse Owens ein. Heute, fünfzig Jahre später,ist der «Weiße Blitz» ein wohlhabender und zufriedener Mann. Er hatdem Glück nie nachrennen müssen, weil er es in den entscheidendenMomenten gepackt hat.

Fütterer hat eine künstliche Hüfte und seit neuestem auch einneues Kniegelenk. «Im Winter gehe ich wieder mit meinem Sohn Skifahren», sagt der 73-Jährige, und seine Augen blitzenunternehmungslustig. Mit seiner zweiten Ehefrau «Ricky» wohnt er nachwie vor in seinem Heimatort - im Olympiaweg, wie die Straße ihm zuEhren genannt wurde. Am Sonntag wird Fütterer Ehrenbürger der kleinenGemeinde am Oberrhein. Sein einstiger Sprintkollege Manfred Germarwird als Redner die 180 geladenen Gäste mitnehmen auf eine kleineZeitreise.

Vor einem halben Jahrhundert traten die deutschen Leichtathletenzu einer Wettkampfreise nach Japan an. Das Propellerflugzeug brauchtefür die Route Istanbul-Karatschi-Neu Delhi-Bangkok-Hongkong zwei Tagebis nach Tokio. In vier Wochen absolvierte Fütterer, derEuropameister über 100 und 200 m, 29 Starts und 40 Empfänge.

In jenem Jahr verlor Fütterer kein einziges Mal «und ich habemindestens 150 Rennen gemacht». Dann kam jener 31. Oktober. «BeimWarmlaufen habe ich gespürt, heute ist was drin. Dann weiß ich nurnoch, dass ich explodiert bin.» Für die Preise und Pokale musste derdamals 23-Jährige eine 2 mal 2 Meter große Holzkiste per Seefrachtaufgeben. Zu Hause angekommen, meldete er sich am nächsten Tag wiederbei den Baden-Werken in Karlsruhe. «Die Direktion hat mir einenBlumenstrauß überreicht - und dann ging's an die Arbeit», sagt er.

Der einstige kaufmännische Lehrling hatte sein Meisterstückabgeliefert. «Heinz Fütterer, der weiße Blitz» hieß das 1955erschienene Buch des Franzosen Gaston Meyer. 1954 wurde der Star vomKarlsruher SC «Sportler des Jahres» - deutlich vor Fußball-Weltmeister Fritz Walter. «Gell, sie könnet so schnell saue»,schwäbelte Theodor Heuss bei einem Empfang und nahm den Weltrekordlerbei Seite: «Wisset se. I ko net so schnell laufa, weil i Eilage hab.»Und der Bundespräsident schnürte extra seine Schuhe auf, um Füttererdie Einlagen zu zeigen.

Es gibt viele schöne Geschichten um den einstigen Europarekordler.1953 war er zum Krönungssportfest nach Edinburgh eingeladen undschlug über 100 m überraschend die Amerikaner. Königin Elizabethzeichnete die Sieger aus, konnte aber acht Jahre nach dem 2.Weltkrieg dem Deutschen nicht die Hand geben. Fütterer musste an derTreppe zur Ehrentribüne stoppen und erhielt dort «von einem Lakaien»den Siegespreis. Als er auch noch die 200 m gewann, «bin ich aberzwei Stufen hochgegangen».

Nur ein Triumph bei Olympia blieb Fütterer verwehrt. Vor denSpielen 1952 in Helsinki erlitt er einen Muskelriss. 1956 musste erer trotz einer Verletzung die 200-m-Qualifikation laufen. Dabei risserneut ein Muskel, und Fütterer kam bis Melbourne nicht mehr rechtauf die Beine. Die Bronzemedaille mit der Sprintstaffel war nur einkleiner Trost.

Im Olympischen Dorf begegnete er zum einzigen Mal Jesse Owens.Gefilmt von Kameraleuten, tauschten die beiden schnellsten Männer derWelt ein paar freundliche Worte. Nach seiner Bestzeit von Yokohama,erzählt Fütterer, habe er ein Telegramm des Amerikaners erhalten:«Herzlichen Glückwunsch. Ich kenne diese Zeit. Schön, dass sie auchein Weißer erreicht hat - und das bist Du, weißer Blitz.»

In seinem schmucken Eigenheim hängt an der Wand auch dasWeltrekord-Protokoll von Yokohama 1954. Eine der drei mit Stoppuhrengemessenen Zeit betrug sogar nur 10,1 Sekunden. «Die ganzen Sachenkommen ins Heimatmuseum», erklärt Fütterer. Seine Frau schlägt dieHände überm Kopf zusammen. «Bloß nicht! Denk doch an deine Enkel undUrenkel!»

Heinz Fütterer, Europameister 1954 über 100 m und 200 m, Europameister mit der 4x-100-m-Staffel 1958, Dritter der Olympischen Spiele 1956 mit der Sprintstaffel, wird in Berlin mit dem Georg-von-Opel-Preis «Unvergessene Meister» ausgezeichnet (Archivfoto vom 14.05.2002). (Foto: dpa)
Heinz Fütterer, Europameister 1954 über 100 m und 200 m, Europameister mit der 4x-100-m-Staffel 1958, Dritter der Olympischen Spiele 1956 mit der Sprintstaffel, wird in Berlin mit dem Georg-von-Opel-Preis «Unvergessene Meister» ausgezeichnet (Archivfoto vom 14.05.2002). (Foto: dpa)
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