Langstreckentörns bergen Konfliktpotenzial
Barcelona/Hamburg/dpa. - Einmal über den Atlantik - für viele Segler ist das ein Lebenstraum. Doch Langstreckentörns, bei denen tagelang kein Land in Sicht ist, sind nicht ohne. Sie fordern Segler körperlich und bergen viel Konfliktpotenzial.
«So eine Geschichte hat immer ein bisschen Expeditionscharakter», sagt Achim Dunker, der auf der Yacht «Anita» mit wechselnden Crews als Skipper unterwegs ist. Zwar sind Segler meist kompromissbereit. Doch gibt es mehrere negative Faktoren, herrscht leicht dicke Luft. Diese Erfahrung machen Segler nicht erst bei der Atlantiküberquerung. Schon eine längere Nonstop-Fahrt im Mittelmeer kann zur Herausforderung werden - selbst wenn sie wegen mäßigem Wind seglerisch keinerlei Probleme aufwirft.
Der Lärm in der Achterkoje ist ohrenbetäubend. Nebenan rumort der Schiffsdiesel - nur durch eine dünne Wand von den zwei müden Seglern getrennt. Die Koje vibriert, selbst mit Ohrstöpseln wäre an Schlaf nicht zu denken. Der würde sich ohnehin nicht mehr lohnen: Es ist kurz vor Mitternacht, gleich beginnt für die beiden die Nachtwache.
Sie haben bis 4.00 Uhr das Kommando auf der Segelyacht - wobei diese seit Tagen nur mit Motorkraft vorankommt. Nachdem am ersten Tag die Sonne untergegangen war, ließ der Wind nach. Die Crew musste die Segel einholen. Und der Skipper hat Zeitdruck: Er überführt die Yacht übers Mittelmeer nach Barcelona, bis dahin ist es noch weit.
Beim Wachwechsel fielen kaum Worte, jetzt hockt die Nachtschicht allein am Ruder - der Skipper hatte sich gleich nach dem Abendessen verzogen: «Weckt mich, wenn es was gibt.» Rundum nichts als Dunkelheit, und langsam kriecht klamme Kälte in den Seglern hoch.
«Diesen Törn hatte ich mir anders vorgestellt», schimpft der eine missmutig. Als «Power-Segeltörn» hatte er ihn gebucht, geplant waren Zwischenstopps auf den Balearen. Von Überführung auf kürzestem Wege war keine Rede gewesen. «Hoffentlich haben wir wenigstens bald wieder Wind», denkt er. Doch daraus soll die nächsten Tage nichts werden.
Bevor Segler einen Langtörn wagen, sollten sie wissen, worauf sie sich einlassen, sagt Frank Praetorius, Skipper und Vorstandsmitglied der Kreuzer-Abteilung im Deutschen Segler-Verband (DSV) in Hamburg. «Alle müssen wissen, dass Nachtfahrten dabei sind und sich je nach Wetter das Ziel auch ändern kann.» Außerdem sollte die Crew vorher einmal zusammenkommen und klären, was jeder für Vorstellungen hat.
Nur haben Chartersegler, die einen Mitsegeltörn buchen, dazu in der Regel keine Möglichkeit. Den Skipper bekommen sie meist auch vor die Nase gesetzt. Frank Praetorius rät daher, als Gruppe zu buchen. «Problematisch kann es ganz schnell bei einer zusammengewürfelten Crew werden», so Jürgen Feyerabend von der Kreuzer-Abteilung des DSV. Fremden sieht man Marotten nicht so leicht nach. Bei Nonstop-Törns kommt hinzu: Die Crew kann sich tagelang nicht aus dem Weg gehen.
Da ist es kein Wunder, dass an Bord der Überführungsyacht die Stimmung gereizter wird. Während die Crew darauf drängt, es auch bei Schwachwind mit Segeln zu versuchen, blockt der Skipper ab. Außerdem machen sich die Strapazen des Wachegehens bemerkbar. Wenn dann noch ständig jemand mit Heldengeschichten aus seinem Seglerleben prahlt, liegen schon mal Nerven blank.
Umso wichtiger ist die Rolle des Skippers. «Er muss ein Gespür dafür haben, dass es gar nicht erst zur Krise kommt», sagt Dunker. Mit dem Führungsschema «Captain's word is law» - das Wort des Kapitäns ist Gesetz - komme man oft nicht mehr weiter. Dunker setzt darauf, dass die Crew Konflikte aus sich selbst heraus löst.
Doch selbst mit einem brummigen Seebär an Bord löst sich manchmal die angespannte Stimmung wie von selbst. Nach drei Tagen und Nächten Fahrt brist es kurz vor Barcelona auf, die Überführungscrew kann endlich die Segel setzen. Ins Ölzeug eingepackt stehen sie strahlend an Deck, und der Rudergänger brüllt in den strömenden Regen: «Ich liebe Segeln!»
Zur Vorbereitung eines Langtörns gehört auch, Vorkehrungen gegen Seekrankheit zu treffen, denn sie kann jeden treffen. Zur Vorbeugung sollte einige Tage vor Törnbeginn die Ernährung auf histaminarme Kost umgestellt werden, rät Carsten Kemmling von der Zeitschrift «Yacht» in Hamburg. Studien wiesen darauf hin, dass ein erhöhter Histaminspiegel im Blut Seekrankheit auslöst. Auf geräuchertes Fleisch, Fischkonserven, gereiften Käse, aber auch Rotwein sollten Segler besser verzichten. Zu empfehlen seien Obst und Vitamin C. Die Einnahme von Vitamin-C-Tabletten kann laut Kemmling auch helfen, wenn Segler unterwegs Anzeichen der Seekrankheit spüren.