Kulturarena Jena Kulturarena Jena: Aufstand am Fluss
Jena/MZ. - Es begab sich im Juni 1924 in der chinesischen Provinz Wanxian: In den trägen Wassern des Jangtse ankerte das britische Kanonenboot "Cockchafer", das die Geschäfte der europäischen und amerikanischen Kaufleute mit den Einheimischen sichern sollte. Als jedoch einer dieser Schutzbefohlenen beim Streit mit einem Chinesen im Fluss ertrank, verwandelte sich die Routine-Mission in einen Ausnahme-Zustand: Der Kapitän forderte ein Menschenopfer als Sühne für das vermeintliche Verbrechen und provozierte damit den Aufstand der Kulis . . .
Es ereignet sich im Juli 2001 vor dem Theaterhaus Jena: Sergej Tretjakows Revolutions-Stück "Brülle, China!", das gleichzeitig mit geballter Faust und erhobenem Zeigefinger zu drohen weiß, wird dem eigentlich verdienten Vergessen entrissen und zum Spektakel-Auftakt der zehnten Kulturarena aufgewertet.
Das exotische Unternehmen verdankt sich Gastregisseur Christian von Treskow, der seit seiner Beschäftigung mit dem Tretjakow-Partner Wsewolod Meyerhold offenbar eine Affinität für dessen vergangene Reformsprache hegt. Tatsächlich ist zumindest der Aufwand dem Gegenstand angemessen: Laien aus Chören und Spielmannszügen bevölkern die vor das Theaterhaus gebaute Hafenmole, während sich auf dem Bühnen-Deck selbst eine groteske Gesellschaft von zynischen Langnasen spreizt.
Nachdem eine Stimme aus dem Off den historischen Anlass geklärt hat, wird die Konfrontation zelebriert: Stur stampfen die Matrosen, stumm starren die Chinesen. Das Panorama füllt den Raum. Doch schon bald verspielt die Inszenierung diese Kompetenz für den Ort: Weil die Regie ihre großen Bilder immer wieder mit intimen Kammerspiel-Miniaturen kontert, kommt am Ufer des künstlichen Flussbetts schnell Langeweile auf.
Die zweifellos diskutable These, dass Tretjakows in sauberen Gegenschnitten konstruierter Text durchaus filmische Qualitäten aufweist, wird ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten vor Ort illustriert. Aber wo die Kamera den Ausschnitt verringern kann, muss das Theater den Blick behelfsweise durch Lichtwechsel konzentrieren.
Doch dieses Mittel ist nur bedingt tauglich, da die Distanz zum Geschehen stets gleich bleibt und die akustische Verstärkung die Zuordnung der gesprochenen Texte - namentlich bei den ärmlich uniformierten Chinesen - zusätzlich erschwert. So blickt man hier auf eine weitgehend amorphe Masse, während sich die mit Profis besetzte Schiffsgesellschaft immerhin in kuriosen Karikaturen profiliert - eine fatale Umkehrung der ursprünglichen Schwarz-Weiß-Malerei, die aus der Tragödie über weite Strecken eine Farce macht. Dabei hätte man Tretjakows Anweisungen für die konkrete Zeichnung des Hafen-Lebens nur ernst nehmen müssen, um ein sehenswerteres Ergebnis erzielen zu können. Doch wer das kalkulierte Chaos der Händler und Gaukler, der Garköche und Bettler auf die Lohnarbeiter-Lemuren reduziert, trübt die Tristesse zusätzlich. Und betrügt damit das Publikum auch um den für ein Spektakel unverzichtbaren Schauwert, der nun am ehesten durch das Kanonenboot befriedigt wird. Warum man also zum Abschied der erfolgreichen Theaterhaus-Saison diese revolutionäre Situation imaginiert, bleibt ein Rätsel. Brülle, China? Schlafe, Jena! Weitere Vorstellungen heute und morgen, 21.30 Uhr