Italien Italien: Unterwegs zum unbekannten Sporn des Stiefels
Vieste/dpa. - Als Vorgebirge mit weißen Felsen, dichten Wäldern, Dünen und Sümpfen durchbricht der Promontorio Garganico die flache Küste Apuliens und überrascht nach jeder Biegung mit neuen Eindrücken.
Rosmarin, Thymian und Lavendel liegen in der Luft, Zikaden zirpen ein Crescendo. Aleppo-Kiefern klammern sich mit ihren Wurzeln an die weißen Kreideklippen, die steil in die azurblaue Adria abfallen. Mit waghalsigen Kehren und Kurven schwingt sich im Süden des Gargano die Küstenstraße von Bucht zu Bucht. Im Norden ducken sich Campingplätze hinter den Dünen am mehr als 30 Kilometer langen Sandstrand.
Die touristische Entdeckung der Halbinsel verdankt der Gargano, Jahrhunderte lang völlig isoliert, einem einzigen Mann: Enrico Mattei. «Ma questo è il paradiso» - Dies ist das Paradies - soll der Präsident der Ölfirma Eni in der Bucht von Pugnochiuso im Jahr 1959 ausgerufen haben. Mattei ließ dort ein Hotel errichten.
Immer wieder ragen im Gargano wuchtige Kalksteinfelsen aus dem Meer. Der 26 Meter hohe Pizzomundo wurde zum Wahrzeichen von Vieste, dem touristischen Zentrum der Halbinsel. Die weiß geputzten Häuser der Altstadt drängen sich rund um die Kathedrale auf einem Felsdorn hoch über dem Meer. Die Treppenwege sind eng, die Häuser verwinkelt, Balkone und Bögen ragen in die Gassen. Wäsche flattert im Wind, Geranien blühen auf Brüstungen, laut plärrt irgendwo ein Fernseher.
Zwischen Vieste und Pèschici sind noch 36 «Trabucchi» erhalten, alte Holzgerüste auf steilen Felsen, mit denen in Küstennähe einst zentnerweise Fisch gefangen wurde. Mimí und Lucietta gehören zu den letzten sechs «Trabucchisti», die noch nach Art der Vorväter fischen. Ihren Tagesfang servieren sie im «Trabucco-Restaurant Da Mimí».
Zu den «Besucherpflichten» im Gargano gehört eine Fahrt zu den Höhlen, Bögen und Felslabyrinthen entlang der Küste. Vor der Grotta delle Ondine konkurrieren Ausflugsschiffe mit Urlaubern im Seekajak, Kindern im Schlauchboot und Badenden mit Tauchermaske und Schnorchel um Einlass. Flora und Fauna der Grotten und Klippen, Sümpfe und Seen, Berge und Täler schützt seit 1995 der Gargano-Nationalpark. Sein Herz ist die Foresta Umbra – «ein Wald des Südens mit Bäumen des Nordens», wie es Nationalpark-Sprecher Saverio Serlenga ausdrückt.
Buchen, Eichen und Ahorn wachsen in dem Wald. 60 Prozent der europäischen Orchideenarten gedeihen im Schatten der Baumriesen - so viele wie nirgends sonst. In Gehegen werden die letzten 100 Garganischen Rehböcke vor dem Aussterben bewahrt. Wildschweine und Wildkatzen jagen im Unterholz, Turmfalken, Mäusebussarde, Sperber und Spechte schwingen sich durch die Lüfte. Wer nicht allein auf einem von 14 Wanderwegen diesen Märchenwald entdecken will, kann die Nationalpark-Ranger auf 24 verschiedenen Themen-Touren begleiten.
Ziel des Nationalparks ist nicht nur die Erhaltung der Artenvielfalt, sondern auch die Bewahrung der traditionellen Aktivitäten seiner 200 000 Bewohner. Auf einer Viehfarm aus dem Jahr 1860 produzieren zum Beispiel Antonio und Pietro de Vita den berühmtesten Käse des Gargano: Caciocavallo Podolica, über dem offenen Feuer aus der Milch der Podolica-Rinder gerührt.
Der Hartkäse in Tropfenform ist eines der fünf Produkte, die als gastronomisches Erbe des Gargano geschützt werden. Die anderen sind das Rindfleisch der vom Aussterben bedrohten Podolica-Rasse, die Aale aus dem Lésina-See, die Saubohnen von Carpino sowie die Zitrusfrüchte von Rodi Garganico.
Bereits vor 1000 Jahren wurden zu Füßen der Kleinstadt, die sich an einen 90 Meter hohen Felsdorn klammert, Zitronen und Orangen angebaut - anfangs nur Bitterorangen, seit dem 17. Jahrhundert auch süße Varianten. Im 19. Jahrhundert waren die Sorten La Dureta, La Bionda und Il Melangolo so gefragt, dass sie nach Amerika exportiert wurden - eine Tradition, die heute wieder belebt werden soll.
Das Benediktinerkloster Santa Maria di Pulsano war eine wichtige Station der Kreuzritter auf dem Weg ins Heilige Land. An der «Via Sacra Langobardorum», die die Pilger von einem Heiligtum zum nächsten führt, liegt auch San Giovanni Rotundo, wo bis 1968 der wohl populärste italienische Mönch des 20. Jahrhunderts lebte: Padre Pio. Seine Heiligsprechung im Jahr 2002 verwandelte das Bergdorf in den größten Wallfahrtsort Europas: Binnen zwei Jahren entstanden 120 neue Hotels für die jährlich acht Millionen Pilger, die seit Sommer 2004 im größten Sakralbau der Neuzeit beten - der Chiesa Padre Pio, entworfen vom Stararchitekten Renzo Piano.
Die Heilige Straße endet am Monte Sant'Angelo. In einer Grotte neben dem 800 Meter hohen Berg soll am Ende des vierten Jahrhunderts der Erzengel Michael erfolgreich mit dem Teufel gekämpft haben. 493 nach Christus wurde daher die Basilika San Michele Archangelo mit einem achteckigen Glockenturm dem Gottesritter geweiht. Auf einer breiten, ausgelatschten Marmortreppe strömen täglich Tausende Gläubige zur Grotte hinab, entzünden eine Kerze, murmeln Gebete und lauschen den Predigten der Franziskanermönche. Vor dem Gotteshaus pulsiert im Junno-Viertel der Alltag von heute im Ambiente von einst.
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