Italien Italien: Stille Momente auf Capri
Halle/MZ. - Dampfer und Tragflügelboote streben überfallartig aus Neapel, Sorrent, Positano, Amalfi oder von der Insel Ischia auf Capris Hafen Marina Grande zu. Bald schieben sich Touristengruppen zu den wichtigsten Postkarten-Schönheiten. Ein schwacher Trost ist, dass ein Teil der Tagesbesucher ohnehin im Ruderboote-Stau vor der Blauen Grotte hängen bleibt.
Jedenfalls wundert man sich nicht, wenn immer wieder Pläne diskutiert werden, die Besucherzahlen zu begrenzen - durch üppige Eintrittsgelder für Tagesgäste. Vielen Capresen würde eine solche Einschränkung allerdings das Geschäft verhageln. Deshalb lächelt selbst im Verkehrsbüro die Dame hinterm Tresen nur milde. "Das wird kaum kommen", sagt sie. So bleiben eigentlich nur zwei Alternativen: Wegbleiben oder länger bleiben, wenigstens ein paar Tage.
Man wird Capri nur lieben lernen, wenn man sich Zeit nimmt - und ordentliche Schuhe dabei hat. Wer bereit ist, den schönen Felsklotz auf ausgedehnten Spaziergängen zu erkunden, lernt schnell, der täglichen Invasion zu entgehen. Abseits der wenigen Straßen, auf denen fast nur Linienbusse und Taxis unterwegs sein dürfen, muss sich jeder sein Capri auf aussichtsreichen Pfaden selbst erlaufen. Beginnen lässt sich die Insel-Erkundung beim Leuchtturm und der kleinen Badeanstalt an der Punta Carena, von Anacapri mit dem Bus zu erreichen. Von dort schlängelt sich der Sentiero dei Fortini, der Pfad der kleinen Festungen, an der Westküste entlang. Am Wanderweg informieren Keramikplatten über Botanik und Geologie. Der Sentiero endet an der Straße, die zur Blauen Grotte führt.
Wer morgens mit dem ersten Bus dorthin fährt, kann sich das Gewusel vor Capris Super-Sehenswürdigkeit ersparen. Also bloß nicht mit einem der Motorboote von Marina Grande zur Grotta Azzurra fahren und dort ins Ruderboot umsteigen. Einsam ist es auch auf dem Fußweg zum Belvedere Migliara. Und kaum einem Menschen begegnet man auf der Passetiello-Route, dem ältesten Verbindungsweg zwischen den Orten Capri und Anacapri. Er ist freilich eher für erfahrene Wanderer zu empfehlen.
Viel bequemer ist der an der Via Camerelle beginnende klassische Rundgang Capris. Dort herrscht natürlich mehr Betrieb - aber nur auf dem ersten Teil. Bis zur Punta Tragara schaffen es noch viele Tagesbesucher. Aber nach dem Blick auf die Faraglioni-Felsgruppe kehren die meisten um. Die Zeit ist zu knapp für die Schleife über die Via Pizzolungo, vorbei an der Villa des Schriftstellers Malaparte, Capris interessantester Bausünde, hinab zur Grotta di Matermania und dann hinauf zum Arco Naturale, einem Felsbogen hoch über dem azurblauen Meer. Rar machen sich die eiligen Capri-Gäste auch auf dem Weg durch Gärten, Wein- und Zitronenhaine hinauf zur Villa Jovis, von der aus zeitweise das Römische Reich regiert wurde. Entdecker Capris war nämlich vor über 2 000 Jahren Kaiser Augustus.
Wer einigermaßen früh aufsteht, kann sogar noch in Ruhe in Capris mondänem Salon beim Espresso die Zeitung lesen. Die Piazza Umberto I., der liebevoll Piazzetta genannte Traumplatz der Insel, gehört dann noch den Einheimischen. In den vier Cafés stehen die Kellner gelangweilt herum. Später wird es rappelvoll. Alle rennen über das "Plätzchen", ob sie nun mit der Zahnradbahn, mit dem Linienbus oder einem der kurios-teuren Cabrio-Taxis vom Hafen hinauf zum Ort Capri fahren. Da kommen dann sogar die Elektrokarren kaum durch, die in den Gassen die Esel als Transporteure von Gästekoffern und Waren aller Art abgelöst haben. Die meisten Besucher-Pulks zieht es gleich zu den aussichtsreichen Gärten des Augustus, vorbei am "Quisiana", dem ältesten und nobelsten Hotel der Insel.
Auch in Anacapri, das bis zum Bau der kühnen Straße nur über die in den Fels gehauenen Stufen der Phönizischen Treppe zu erreichen war, wird es dann lebhaft. Alles will in die Villa San Michele. Sie gehörte dem schwedischen Arzt Axel Munthe, dessen "Buch von San Michele" ab 1929 einen Capri-Boom auslöste, lange bevor Rudi Schuricke mit seiner Schnulze von den Capri-Fischern die Sehnsucht nach der Insel neu entflammte. Am späten Nachmittag sieht man von der Villa aus herrlich, wie die Ausflugsboote wieder in Richtung Festland enteilen. Noch grandioser ist dieser Rückzug zu beobachten, wenn man um diese Zeit mit dem Sessellift auf den Monte Solaro, mit 589 Metern höchste Erhebung Capris, fährt. Ein wunderbarer Anblick.