Interview Interview: Steffi Graf wird 40

Hamburg/Las Vegas/dpa. - Am Sonntag (14. Juni) feiert die Jahrhundertsportlerin ihren40. Geburtstag. Eine große Feier wird es nicht geben, sagt diesiebenmalige Wimbledonsiegerin. Im exklusiven Interview mit derDeutschen Presse-Agentur dpa erzählt Steffi Graf vom normalen Alltagfern des Ruhms, einer Reise in die Vergangenheit, Dingen, die sie aufdie Palme bringen, und warum ihr bei Rafael Nadal die Worte fehlen.
Was bedeutet Ihnen die Zahl 40?
Steffi Graf: «Unglaublich wenig.»
Aber Sie feiern 40. Geburtstag. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?
Graf: «Ich kann mit großer Freude auf die ersten 40 Jahrezurückblicken. Vor allem bin ich glücklich über meine Familie. Ichbin stolz auf meine beiden Kinder und auf meinen Mann. Und ich habeeine tolle Karriere hinter mir. Besser als es gelaufen ist, kann manes sich eigentlich nicht wünschen.»
Sie wirken immer sehr ausgeglichen. Bringt Sie überhaupt etwas aufdie Palme?
Graf: «Oh ja. Aber ich habe früh gelernt, meine Emotionen zukontrollieren und zu beherrschen. Es hat mich auf dem Tennisplatzstärker gemacht. Natürlich gibt es Dinge, die mich aufregen und aufdie Palme bringen. Ungerechtigkeit zum Beispiel, Böswilligkeit unddie Machtlosigkeit, wenn man Ungerechtigkeit sieht.»
Was macht Sie nervös?
Graf: «Große öffentliche Auftritte waren noch nie meine Sache.»
Wenn Sie zurückblicken, was bereuen Sie?
Graf: «Da gibt es immer etwas, was man hätte anders machen könnenoder sollen. Aber ich bin so glücklich an dem Punkt, an dem ich jetztbin, dass es keinen Grund gibt, mit Dingen in der Vergangenheit zuhadern.»
Sie gehören also nicht zu den Menschen, die sagen: Ich würde allesnoch einmal genauso machen?
Graf: «Nein.»
Denken Sie manchmal daran, was vor 30, 20 und 10 Jahren war?
Graf: «Mit Kindern bleibt einem gar nicht soviel Zeit, an dieVergangenheit zu denken oder in der Vergangenheit lange zu verweilen.Ich lebe gerne in der Gegenwart und schaue nach vorne. Das schließtnatürlich nicht aus, dass man immer wieder schöne Erinnerungen hat.»
So wie Mitte Mai bei der Reise in die Vergangenheit, als Sie bei derEröffnung des neuen Center Courts in Wimbledon mit Ihrem Mann AndreAgassi auf dem Heiligen Rasen spielten?
Graf: «Ich habe das Gefühl, als wäre meine Tennis-Karriere schonunheimlich lange her. Unser Tag in Wimbledon war daher schon wie einekleine Reise in die Vergangenheit. Als ich mit meinem Mann dann aufden Center Court gegangen bin und die vertraute Kulisse um unswahrgenommen habe, wurden viele Erinnerungen in mir wach. Und dannfängst du an zu spielen und kannst dir nicht vorstellen, dass deinletzter Auftritt hier schon zehn Jahre zurückliegt.»
Welche Rolle spielt der Sport heute in Ihrem Leben und wie sieht IhrSportprogramm aus?
Graf: «Ein Leben ohne Sport ist für mich kaum vorstellbar. Ichtrainiere noch mehrere Male die Woche und suche meine Freiräume, ummit dem Sport etwas für mich zu tun und meine Gedanken zu ordnen. Aufdiese Weise kann ich entspannen und wieder Energie auftanken.Außerdem habe ich mit meiner Fitnesskette «Mrs. Sporty» einEngagement entwickelt, um auch andere Frauen mit meinerSportbegeisterung anzustecken und zum Sport zu bewegen. In vierJahren haben wir immerhin schon 75 000 Mitglieder gewonnen.»
Und wie hält es Ihr Mann Andre Agassi mit dem Sport, nachdem auch erseine Karriere vor knapp drei Jahren beendet hat?
Graf: «Mein Mann sieht das ähnlich. Wir sind beide mit dem Sport großgeworden.»
Welchen Sport trainieren Ihre Kinder Jaden Gil (7) und Jaz Elle (5)?
Graf: «Beide bewegen sich sehr gerne und nehmen den Sportspielerisch. Unser Großer spielt besonders gerne Baseball. Die Saisongeht über zweieinhalb Monate und seine Mannschaft hat gerade ihrgroßes Playoff-Spiel gewonnen: 11:10. Die Kleine macht Gymnastik,spielt auch ab und zu mal Tennis, sie probiert alles so ein bisschenaus. Sie haben beide auch eine Begeisterung für Musik entwickelt.»
Welche Ziele, Träume, Wünsche haben Sie?
Graf: «Wenn ich in die Zukunft schaue, denke ich in erster Linie anmeine Kinder, wie sie aufwachsen und sich entwickeln. Hierum drehensich meine Hoffnungen und Wünsche. Ich möchte sie glücklich sehen undihnen zur Seite stehen.»
Träumen Sie noch auf Deutsch?
Graf: «Mittlerweile verschiebt sich alles mehr ins Englische.Natürlich spreche ich mit den Kindern auch Deutsch. Aber ich bemerkeselbst, dass ich immer häufiger auf Englisch denke und träume.»
Wie und mit wem feiern Sie Ihren Geburtstag?
Graf: «Bei uns in der Familie werden Geburtstage nicht so großgeschrieben und haben weniger Bedeutung. Ich bin vor einer Wochemit einer kleinen Geburtstagsfeier vorab überrascht worden. Da kamendie Familie und einige Freunde zusammen, weil wir in den nächstenWochen einen rappelvollen Terminkalender haben.»
Welches Geburtstagsgeschenk macht Sie glücklich?
Graf: «Wenn es meiner Familie gut geht, bin ich glücklich. AufGeschenke kommt es mir nicht an. Für mich ist es wichtiger, mit allenzusammen sein zu können.»
Wie wichtig ist Ihnen ein normales Familienleben?
Graf: «Das steht über allem, keine Frage. Die Familie ist meinLebensmittelpunkt. Einige Leute haben sich gefragt, wie das in LasVegas funktionieren kann? Ich kann nur sagen, es klappt, und darüberbin ich sehr froh.»
Welche Projekte planen Sie mit Ihrer Stiftung «Children ForTomorrow»?
Graf: «Neben unseren Projekten in Hamburg, im Kosovo, in Südafrikaund Eritrea haben wir ein neues Projekt im Uganda in Planung. Auchdort wollen wir gewalttraumatisierten Kindern helfen. In Nordafrikawollen wir unser Engagement erweitern, und auch der Bau eines neuenTraumazentrums in Hamburg wird uns dieses Jahr stark beschäftigen.»
Beängstigt Sie die weltweite Finanzkrise?
Graf: «Natürlich. Wir nehmen die Probleme auch in der unmittelbarenNachbarschaft wahr. Die kleinen Geschäfte sind fast alleverschwunden. Viele Menschen sind arbeitslos. Und auch in der Schuleerzählen die Eltern von ihren Schwierigkeiten. Es ist überall zuspüren und zu sehen.»
Glauben Sie, dass die Politiker das in den Griff bekommen?
Graf: «Ich habe sehr große Hoffnung, dass die richtigen Lösungengefunden werden. Man hat ja schon gute Ansätze gesehen und man hörtvon den ersten positiven Nachrichten. Ich hoffe, dass sich in drei,vier Monaten alles ein bisschen stabilisiert hat.»
Welche Hoffnung verbinden Sie mit US-Präsident Barack Obama?
Graf: «Er hat die Gabe, Menschen zusammenzubringen. Das hat man jaauch in seinem Wahlkampf gesehen. Das ist, was wir alle hoffen undbrauchen. Er steht für Stabilität und einen Weg der Kommunikation.Aber er steht vor so vielen Herausforderungen in einer Welt, diegroße Schwierigkeiten hat.»
Welcher Sportler begeistert Sie momentan am meisten?
Graf: «Man kann nur mit großem Staunen und mit Bewunderung reagieren,wenn man Rafael Nadal beim Tennisspielen zuschaut. Er ist einunglaublicher Athlet mit so viel Disziplin, so konzentriert und mitso viel Leidenschaft bei der Sache. Es fehlen mir die Worte, seinSpiel treffend zu beschreiben. Ich habe selten jemanden gesehen, derjeden Ball mit einer solchen Aufmerksamkeit angeht. Mit einerLeidenschaft und Freude, dass es einfach Spaß macht ihm zuzuschauen.Mit ihm kann man alles verbinden, was Tennis so schön macht.»
Vor 22 Jahren haben Sie Ihren ersten Grand-Slam-Sieg bei den FrenchOpen gefeiert. Ihre Erfolge haben den Tennis-Boom in Deutschland mitausgelöst. Denken Sie manchmal noch an den Hype?
Graf: «Es war eine tolle Zeit. Und es ist schön, in einem Sport großgeworden zu sein, dem man geholfen hat, ein bisschen bekannter zuwerden. Es war ein gutes Gefühl, in einem Sport aktiv zu sein und zuerfahren, wie vielen Leuten es Spaß gemacht hat, dabei zuzuschauen.»
Tut es Ihnen weh, dass es nicht mehr so ist?
Graf: «Natürlich ist es schade, dass Tennis derzeit nicht mehr soviel Aufmerksamkeit findet, wie früher. Aber das kann sich mit neuenSportlern und Spielertypen auch wieder ändern.»