Internet Internet: Spaßguerilla im Netz
Halle/MZ. - Dafür aber war die Herstellung des mehr als nur leicht schlüpfrigen Untergrund-Hits günstig: Regisseurin Kathrin Fricke, nebenbei die Freundin von Christian Süß, verwendet für ihre "Synchros" genannten Neuinterpretationen der Zauber-Klassiker der Einfachheit halber die Bildspur der Originale. Und unterlegt sie mit neuen, abenteuerlichen Texten.
Drei "Harry Potter"-Filme hat die 25-jährige Studentin der Kunstwissenschaften, die sich im Internet "Coldmirror" nennt, seit 2006 bereits neu vertont. Da stammelt Schulleiter Dumbledore dann entnervt "Wo ist mein Hörgerät?", Harry Potter aber lässt alle Masken fallen und verrät, was er wirklich treibt, in seinem kleinen Zimmer unter der Treppe. Coldmirror hat 40 000 regelmäßige Zuschauer. Alle ihre Werke zusammen, sämtlichst mit wenig Aufwand am PC gebastelt, erreichten auf der Videoplattform Youtube inzwischen mehr Zuschauer als die letzte "Potter"-Aufführung im Fernsehen.
Wie schnell so etwas geht, davon können Sven Wittek und Gilbert Rödiger ein Lied singen. Eigentlich nur für den Privatgebrauch veredelten die beiden Eisleber, besser bekannt als Duo "Elsterglanz", Szenen aus einem "Rambo"-Film mit neuen, ausgesucht bizarren Dialogen im Mansfelder Dialekt. Der fünf Minuten lange Filmschnipsel landete prompt im Netz. Und wurde dort zum Selbstläufer, den bis heute mehrere Millionen Menschen bestaunten.
Inzwischen ist das Neu-Synchronisieren zum Volkssport geworden. Dank einfach zu bedienender, preiswerter Videoprogramme und leistungsstarker Rechner gehört nicht viel dazu, aus "Starwars" einen satirischen Verschnitt namens "Starwurst" zu zaubern, in dem Meister Yoda im Altersheim anruft oder Bruce Willis in "Stirb Langsam 5" schwäbeln zu lassen.
Von "Miami Vice" bis zum "Fluch der Karibik", von "Gute Zeiten, Schlechte Zeiten" bis zu "Germanys Next Top Model" - als wüste Verballhornung findet alles sein begeistertes Publikum, Hauptsache, es ist schräg und politisch nicht korrekt. Plötzlich begrüßt der neue Präsident Barack Obama dann von einer großen Rednertribüne aus die offenbar vieltausendköpfige "Eigentümerversammlung Wohnblock Wilhelmstraße 48", um dann über "granatenmäßig dreckige Reifen von denne Räder im Hausflur" zu wettern. Und Adolf Hitler zetert lippensynchron über die Schwierigkeiten, die er mit dem neuen Leasingvertrag für sein Auto und der Firma Ismayer hat. Ein Nutzer namens "ddrdieter" hat die Schwarzweiß-Bilder einer Original-Hitlerrede mit neuem Text eingestellt, die bislang mehr als vier Millionen Zuschauer fand: "Das war doch nicht meine Idee mit dem Leasingsvertrag", empört sich der erregte Reichskanzler, "das war doch die Idee dieser Firma Ismayer!"
So wie hier Führerkult und Nazi-Ideologie gründlicher entlarvt werden als in politischen Schulungsfilmen, so läuft auch die Terror-Propaganda der Al Kaida dank zahlloser Heimvideo-Bastler ins Leere. Als der marokkanische Al-Kaida-Kader "Al Talha der Deutsche" Mitte Januar ein Droh-Video namens "Rettungspaket für Deutschland" auf Youtube lud, verstanden das zahlreiche Hobby-Synchronisierer als Einladung, sich dem Original aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet mit ihren eigenen Mitteln zu nähern. "Al Habnix Abu Blahbla" platzierte sich hinter einem Hertha-BSC-Fähnchen und erzählte seine Version der Liebesgeschichte zwischen Taliban und Al Kaida. Dabei zitiert er gestenreich und vermummt wie der Originaldarsteller aus der Apothekenrundschau, erteilt Liselotte Pulver und dem BND Nachhilfeunterricht in Geheimdienstarbeit und rechnet vor, wie drei mal drei vier machen kann. Sein Kollege "Abu Silvio der Sachse" will da nicht nachstehen: Angekündigt von der Erkennungsmelodie des DDR-TV-Klassikers "Der Schwarze Kanal" schwatzt Abu Silvio über die Probleme seiner "Egon-Krenz-Brigaden" mit den Taliban, "die uns ständig unsere Rennpappen klauen".
Darf man das? Ist das erlaubt? Wird es die Terroristen nicht erst recht erzürnen? Einer der Macher antwortet mit Charlie Chaplin. "Wenn wir nicht ab und zu über das Böse lachen können, ist es noch viel schlechter um uns bestellt als wir glauben", habe der zu seiner Komödie "Der Große Diktator" gesagt. Den Propagandakrieg im Internet gewinnt die Spaß-Guerilla mit solchen Argumenten allemal: Das Drohvideo der Al Kaida sahen bis heute 30 000 Youtube-Nutzer. Die Parodien mehr als 300 000.