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Heimat ist wo die Kumpel sind

Von Christian Steer 26.02.2004, 10:01

Halle/iposa. - Den Zusatz „multikulturell“ könnte der Hallesche Sportclub 96 getrost in den Vereinsnamen integrieren, da er in seinen verschiedenen Sektionen jede Menge nationale und internationale Nicht-Hallenser vereinigt. Angefangen von Sportbegeisterten aus ganz Deutschland, über europäische Vertreter aus Bulgarien, Ungarn und Belgien bis zu Erdenbürgern aus Marokko, Irak und Japan. Alle haben zumindest zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind Mitglieder im HSC und wohnen in Halle.

Der Belgier Filip van Rossem und der Bayer Stefan Urmann spielen Fußball beim HSC. Aus berufl ichen Gründen, aber auch irgendwie freiwillig nach Halle gekommen (so betonen sie), haben die beiden Neu-Hallenser mittlerweile auch ihr privates Glück hier gefunden und fühlen sich in der Saalestadt so richtig wohl. „Der erste Eindruck war dennoch recht bedrückend“, erinnert sich der 29-jährige Filip van Rossem an seinen ersten Halle-Aufenthalt Ende der 90er Jahre. Vieles empfand er als düster, grau und verfallen – und „die Bürger Halles guckten sehr mürrisch und betrübt.“ Nach einem berufl ichen Zwischenstopp in Holland wohnt der in Aalst geborene Ost-Flame nun seit letztem Jahr wieder in Halle und hat inzwischen die Stadt „auf den zweiten Blick“ kennen und mögen gelernt. „Halle ist eine Großstadt, aber in Wirklichkeit ein Dorf. Jeder kennt hier jeden und in der Altstadt gibt es kaum einen Punkt, den man nicht bequem zu Fuß erreichen kann.“

Stefan Urmann, Bankkaufmann aus Passau, hatte noch nichts von Halle gehört, als er sich 1991 aus purer Abenteuerlust entschied, von der „Stadt an drei Flüssen“ und in die ehemalige Chemiearbeiterstadt überzusiedeln. Die Entscheidung wurde ihm durch die Tatsache erleichtert, dass einstige bayrische Kollegen bereits in Halle tätig waren. Mittlerweile arbeitet er in Leipzig, wohnt aber mit seiner Freundin im halleschen Stadtviertel Büschdorf. „Halle ist seit vielen Jahren mein Zuhause, meine Heimat wird aber immer Passau bleiben.“

Bereut hat Stefan Urmann den Wohnortwechsel bisher nicht. Ganz im Gegenteil: „Ich bin der Meinung, dass ich in den alten Bundesländern – Bayern selbstverständlich ausgenommen – in der recht kurzen Zeit nicht so viele Freunde gefunden hätte wie hier. Und ein ordentliches Weißbier kann man auch in Halle bekommen.“ Das belgische Bier vermisst Filip van Rossem schon eher, obwohl er auch sehr gute deutsche Biersorten kennengelernt hat. Die Pommes Frites in Halle sind allerdings in keiner Weise mit denen aus der Heimat vergleichbar und auch das Fischangebot in den Restaurants hier lässt aus seiner Sicht sehr zu wünschen übrig. Stefan Urmann indessen scheint mit den mitteldeutschen Essgewohnheiten völlig zufrieden. Ihm fehlen in der heimatlichen Ferne lediglich die Umgebung des Bayerischen Waldes, die Nähe zu den Alpen und natürlich die Familie, die er aber in regelmäßigen Abständen besucht.

Eine Art Ersatzfamilie haben beide beim HSC gefunden, wo sie sich auch richtig gut aufgenommen fühlen. Sehr gern hat der Verein den Bayer und den Belgier in seine Reihen aufgenommen, da beide ausgezeichnete fußballerische Referenzen vorweisen konnten. Urmann spielte bis zum besagten Wohnortwechsel in der Bayernauswahl, van Rossems letzter Verein, der SV Wacker Wengelsdorf, stürmt auf Landesliganiveau. Die Lieblingsmannschaften von Urmann und van Rossem dürfte jeder halbwegs fußballinteressierte Mensch mit Leichtigkeit erraten können. Na, schon drauf gekommen? Der FC Bayern München und der RSC Anderlecht. War ja klar! Die Entwicklung des HFC verfolgen beide sehr interessiert, da sie es nur begrüßen können, wenn eine Stadt wie Halle auch einen vorzeigbaren Fußballclub aufzuweisen hat.

Besonders positiv an Halle empfi nden beide Nicht-Eingeborenen die Mentalität der ansässigen Bürger. Man wird von den Hallensern im Allgemeinen gut und schnell aufgenommen und trifft auf eine offene und aufgeschlossene Art, so der Tenor der Zwei. „Manchmal wird ein bisschen viel gemeckert.“ Doch hat Filip van Rossem durchaus Verständnis dafür. „In wirtschaftlich schwierigen Zeiten und bei der hohen Arbeitslosigkeit in Halle, sollen die Hallenser ihrem Unmut ruhig freien Lauf lassen. Und außerdem gibt es immer was zu meckern, auch wenn es einem gut geht.“

Sehr positiv beurteilt Filip van Rossem die hallesche Kneipen- und Clubszene. Mit Freunden sitzt er abends gern im N8 oder in der Apotheke oder geht ins Objekt 5 oder in die Palette tanzen. Urmann gefällt besonders das kulturelle Angebot der Stadt.

Besucher Halles führt Filip van Rossem zur Rabeninsel und zur Peißnitz und natürlich zu den Franckeschen Stiftungen, da er die Geschichte dieses historisch einzigartigen Gebäudes sehr interessant fi ndet – und seine Freundin dort seit einigen Jahren angestellt ist. Stefan Urmann unternimmt mit seinen Gästen einen Rundgang durch die Altstadt und die Häuserviertel der Gründerzeit wie Paulus- und Mühlwegviertel.

Auf die Frage: „Was missfällt besonders an Halle?“, fallen den beiden Hobby-Fußballern dennoch genügend Antworten ein. Van Rossem zum Beispiel fi ndet es unerträglich, dass in der ganzen Stadt Hundekot verteilt ist. Als Vater einer kleinen Tochter graut es ihm schon bei dem Gedanken, dass die Lena bei ihren ersten Gehversuchen andauernd Gefahr laufen wird, mit diesen Haufen in Berührung zu kommen.

Kritisch beobachtet er auch die Entwicklung der Konzertvielfalt in Halle. „Es gibt einfach zu wenig gute Rock & Pop-Konzerte in der Stadt. Das war früher mal ganz anders.“ Denn 1999 hatte der Belgier unter anderem das Glück, seine belgische Lieblingsband in der Easy Schorre sehen zu können. „Heutzutage muss man nach Leipzig ausweichen, um mal ein gutes Konzert zu sehen.“ Unverständlich für ihn sind auch die horrenden Immobilienpreise im Stadtgebiet, da er zeitweise mit dem Gedanken gespielt hat, mit seiner kleinen Familie ein Häuschen in Halle zu kaufen. „In den Saalkreis wollen wir nicht und in der Stadt ist alles ungerechtfertigt teuer“, so der etwas enttäuschte neue Bewohner der Saalestadt.

Die „miserable Verkehrsinfrastruktur Halles“ bekommt der Bayer Urmann tagtäglich zu spüren. „Die Stadt ist einfach nicht ausgelegt für das hohe Verkehrsaufkommen. Und sie hat nicht die richtigen Konzepte, dieses Problem zu lösen“, so der 32-jährige Vielfahrer.

Als sehr bedauerlich betrachtet er auch die „Unfähigkeit der regionalen Politik, aus Halle einen attraktiven Wirtschaftsstandort zu machen, wie es in Leipzig oder Dresden zum Teil geklappt hat.“ Als Berufstätiger in der benachbarten Messestadt sieht er, wie es auch laufen kann.

Fazit: Der belgische Neu-Hallenser Filip van Rossem und der bayrische Neu-Hallenser Stefan Urmann haben sich gut eingelebt und fühlen sich hier sehr wohl.