Haltet die Welt an
Berlin/dpa. - Für Eltern ist es der schlimmste Alptraum. Ein Kind verschwindet, nach wochenlanger Suche wird es tot gefunden. Ermordet.
Das hat Anja Wille durchstehen müssen, nachdem ihr acht Jahre alter Sohn Felix im Herbst 2004 in der Nähe von Bremerhaven zum Bolzplatz radeln wollte und nicht nach Hause kam. Sie hat ein Buch darüber geschrieben. Der Mörder hat auch die kleine Levke aus Cuxhaven auf dem Gewissen und sitzt im Gefängnis. Um den Täter und das Verbrechen geht es im ARD-Film «Haltet die Welt an» am Karfreitag (20.15 Uhr) nicht. Im Mittelpunkt steht das Leid der Mutter, die um ihr Kind bangt und es verliert.
Nach dem von Regina Ziegler produzierten Film ist eine Sonderausgabe von «Beckmann» mit Wille und Hauptdarstellerin Christine Neubauer geplant. Es ist ein bedrückendes, leises Drama, bei dem von Anfang an feststeht, wie es ausgeht. Warum dieser Film? «Weil sich nichts verändern wird, solange wir das Thema totschweigen und nicht darüber reden», sagt Wille, der es nicht leicht gefallen ist, sich das Ganze anzusehen. «Aber das Thema ist mir zu wichtig. Wenn nur ein anderes Kind überlebt, dann ist Felix nicht umsonst gestorben.»
Der Junge heißt im Film (Regie: Hartmut Griesmayr) Tobias, auch die Zahl der handelnden Personen wurde verkleinert. Aber vieles dürfte der Wirklichkeit entsprechen: die Großfahndung, der Lebensgefährte, der in der Kinderporno-Szene unterwegs ist (aber nicht der Täter ist) und ein einfühlsamer Polizist (Filip Peeters), der zum Rettungsanker wird. «Das Leben geht weiter», sagt eine Freundin im Film. «Wer sagt das?», entgegnet die Mutter. Sie muss sich auch noch Vorwürfe anhören, dass sie ihren Jungen mit dem Rad alleine auf der Landstraße fahren ließ. Vor ihrem Haus lauert die Presse. Ihren Job als Krankengymnastin kann sie nicht mehr ausüben.
Beklemmend ist, wie die Mutter den Nikolausstiefel für den Jungen füllen lassen will, in der Hoffnung, dass er doch wiederkommt. Der Täter wird nur kurz gestreift und ist eine Karikatur: Er sei Legastheniker und habe eine schwere Kindheit gehabt, jammert er beim Verhör. Der Vorwurf der Sensationslust soll nicht aufkommen: Was dem Kind passiert, sieht man nicht. Der Film verzichte auf Effekthascherei, sagt Hauptdarstellerin Neubauer («Schaumküsse», «Die Landärztin»). Sie hat am Set Felix' Mutter ein bisschen unter ihre Fittiche genommen. Die beiden kannten sich schon, bevor sie den Part annahm, aus einer «Beckmann»-Sendung, in der Wille ihr Buch vorstellte und wo die beiden von Mutter zu Mutter sprachen.
An den drehfreien Wochenenden brauchte die Schauspielerin ein Kontrastprogramm, sie fuhr nach Spanien und auf eine Skihütte. Sie hat den Mordfall damals in der Presse verfolgt. Einfach war die Rolle sicher nicht für sie. Was kann dieser Film bewirken? «Im besten Fall ein Aufmerksam-Machen, ein Nachdenken und eine Möglichkeit, dass die Hinterbliebenen der Opfer ihre Seele zeigen können. Diese fallen - im Gegensatz zu den Tätern - durch jedes Raster. Für die Hinterbliebenen gibt es gar nichts.»