Griechenland Griechenland: Der Mythos radelt mit

München/ddp. - Die Männer vor dem Hotel Posidón blicken auf, als wir an ihren Tisch rollen. Alte Fischer wie aus dem Bilderbuch der Klischees, mit silbernem Haar, weißen Hemden und von Sonne und Salz gegerbter Gesichtshaut. Der eine reckt seinen Finger über die in der Abendsonne glitzernde Hafeneinfahrt von Paléa Epidauros hinaus in den Horizont. Dahinter liegt unser Ziel – Athen. «Die nächste Fähre?» Die anderen schauen erwartungsvoll. «In fünf Monaten, nach der Winterpause» – jetzt liegen sie vor Lachen fast auf der Tischdecke.
Ausgerechnet zwei Tage vor dem Heimflug hat uns der Reiseführer im Stich gelassen. 1000 Kilometer sind wir ihm gefolgt, von der Insel Zakynthos im Westen über Olympia, durch das mythenreiche Arkadien und vorbei am sagenhaften Mykene nach Korinth. Einmal quer über den Peloponnes – die Halbinsel im Süden Griechenlands, die mit ihren fünf Fingern wie eine Riesenhand in die Ägäis greift.
Begonnen hat die Tour am Zakynthos International Airport. 35 Grad im Schatten hatte der Pilot angekündigt. Von Schatten aber keine Spur: Im Getümmel Pedale anschrauben, Radkartons entsorgen, Packtaschen aufsetzen und weg. Ins erstbeste Guesthouse am Strand, ins Wasser springen, und dann ein kaltes Bier. Elenis Hand auf dem Lenker stoppt die Pläne. «Warum wollt Ihr die mit aufs Zimmer nehmen?“ fragt die Vermieterin. Das Staunen ist echt, niemand würde hier auf die Idee kommen, etwas zu stehlen – schon gar kein Rad.
Früh am Morgen geht es zum Hafen, wo die »Zakynthos I« am Pier liegt. Während die Fähre Kurs aufs Festland nimmt, blinzeln wir bei Kaffee mit Bodensatz in der Morgensonne der näher rückenden Küste entgegen, über der hoch oben die Kreuzfahrerburg Kastro thront. Die Auffahrt zum Bollwerk eröffnet weite Ausblicke auf das ionische Meer. Über der Straße flimmert die Hitze und darüber verspricht ein Schild »Olimbia – 80 km“. Kurz vor Sonnenuntergang sind wir da.
Die zahlreichen Pensionen sind auch in Zeiten der Währungsunion mit 20 bis 30 Euro erschwinglich. Hinter den Ruinen, wo 776 v. Chr. die ersten Spiele stattfanden, beginnt Arkadien. Die Straße, die sich durch grüne Hügel und Olivenhaine schlängelt, ist auf der Karte in dickem Rot als Hauptstraße ausgewiesen. Doch die einzigen Weggenossen sind Ziegenherden sowie einige Hunde, die im Schatten lungern und sich teils freudig, teils verärgert, immer aber laut bellend an unsere Fersen heften.
Aus einem Flusstal steigt die Straße zum Bergdorf Stavrodomio an, die Hitze zieht die Steigung in die Länge. Immer wieder geht es vorbei an Ekllisakia, kleinen Kapellen, von denen manche einfach auf Eisenstangen montiert sind. Madonnenbilder oder vertrocknete Blumen schmücken die Heiligtümer am Wegrand.
Das Innere des Peloponnes ist gebirgig und bis zu 2000 Meter hoch. Auf der anderen Inselseite geht es in Serpentinen hinab in die Ebene von Argos, vorbei an Lerna, wo Herkules die Riesenschlange getötet haben soll. Nicht nur in Lerna war er aktiv – auf dem Peloponnes hat der mythologische Supermann angeblich die meisten seiner zwölf Heldentaten vollbracht.
Am Ende der Bucht presst sich Nafplio an den Fels, etwas weiter erreicht man den Sandstrand von Toló. Von dort lässt sich Argos erkunden und die Ruinen von Mykene. Hier wiederholte Heinrich Schliemann sein Kunststück von Troja und grub, nur mit Homers «Ilias“ bewaffnet, die Burg des Agamemnon aus. Heute weiß man, dass Mykene schon 400 Jahre vor Homers tragischem König niederbrannte, der nach der Eroberung Trojas vom Geliebten seiner Frau Klytaemnestra um 1180 v. Chr. ermordet worden sein soll.
Die Strecke fordert auch heute Opfer – die Hinternabe. Eine Werkstatt ist nicht weit: »In einer Stunde“ gibt Stavros durch Handzeichen zu verstehen und greift zu einem riesigen Hammer. Wir geben vor, etwas erledigen zu müssen, und suchen das Weite. Von Toló lässt sich – selbst mit angeknackster Nabe – an einem Tag Korinth erreichen, wo der Kanal die Halbinsel vom Festland abschneidet.
Zwei Wochen Traumstraßen und Kultur, jetzt stehen wir in Epidauros und die Fähre kommt nicht. Doch die Fischer wissen Rat: «Weiter nach Póros!» Dort komme eine Fähre. Póros ist ein Glückstreffer: Weiße Häuschen schmiegen sich an den Berghang. Am letzten Abend unter den Lichterketten der Hafenbar erfasst uns der Abschiedsschmerz. Selbst das Bier trägt hier den Namen, der den Zauber des Peloponnes so wunderbar umschreibt. Es ist – ein «Mythos».