Geschichte Geschichte: Athleten auch früher gefeiert und kritisiert

Hamburg/dpa. - Die Emotionen auf den Rängen kochten hoch, dasStadion im griechischen Olympia brodelte, wenn in der Arena dieFaustkämpfer mit ledernen Riemen um die Handgelenke aufeinandereinschlugen. Schweiß und Blut flossen von den nackten Leibern. Undmancher Boxer verließ die Stätte nicht lebend. Wer seinen Gegner imWettkampf tötete, ging straffrei aus, wenn er nicht anderweitig gegenRegeln der Olympischen Spiele verstoßen hatte.
Anlässlich der jetzt in Athen bevorstehenden Spiele (13. bis 19.August) wird wieder einmal kritisch bemerkt, die Spiele der Neuzeitseien weitgehend zu Show- und Kommerzevents verkommen.Zeitgenössische Berichte über die mehr als ein Jahrtausend hindurchveranstalteten antiken Vorläufer, die im 4. Jahrhundert endeten,zeigen aber, dass auch damals das Spektakel eine Hauptattraktion war- beim Boxen, Ringen und Allkampf in besonders grober Form.
Auch das Geschäft hatte Konjunktur. Wenn alle vier Jahre im Sommerin Olympia 40 000 bis 60 000 Menschen zusammenströmten, dann war dasauch ein «Markt», wie der Römer Marcus Tullius Cicero (1. Jahrhundertv. Chr.) konstatierte. Die einen erstrebten dort «mit trainiertenKörpern den Ruhm und die Ehre eines Kranzes», andere wurden «mitAussicht auf Gewinn und Profit durch Kauf und Verkauf angelockt».
«Kauf und Verkauf» tätigten auch Athleten. Die einen kauften einenSieg, die anderen verkauften einen, schrieb der griechische Gelehrteund Autor Philostratos (2./3. Jahrhundert n. Chr.). Schon bei denSpielen 388 v. Chr. gab es den ersten Bestechungsfall. DerFaustkämpfer Eupolis aus Thessalien hatte drei seiner Konkurrentenbestochen, um sich den Sieg zu sichern.
Siege waren besonders begehrt, weil sie nicht nur Ruhm brachten,sondern auch materielle und andere Vorteile in den Heimatorten.Ansehen und Lohn waren die Hauptgründe dafür, dass der Sport schonvor 2500 Jahren immer mehr professionell betrieben wurde. In derantiken Literatur findet sich entschiedene Kritik daran, dass dieAthleten sich auf ganz spezifische Fähigkeiten ihres Körperskonzentrierten. Im Umfeld des Philosophen Platon (4. Jahrhundert v.Chr.) sah man die Gefahr, dass die Beschäftigung allein mit denFunktionen der Muskeln die geistige Entwicklung hemme.
Anstoß erregte auch die spezielle Ernährung. Ringer und Allkämpferversprachen sich von großem Körpergewicht Vorteile im Wettkampf.Sportler anderer Disziplinen nahmen ausschließlich eine besondereKraftnahrung zu sich. Das zwangsläufig egozentrische Leben derAthleten wurde auch als dem Gemeinwohl abträglich empfunden. Die nurauf Sporterfolge fixierten Männer waren meist nicht zu Hause, sondernirgendwo bei den unzähligen Wettkämpfen in der griechischen Welt.«Griechenland kennt viele Übel, am schlimmsten aber ist das Volk derAthleten», sagt eine Figur in Euripides' Theaterstück «Autolykos» (5.Jahrhundert v. Chr.). Die von dem Dramatiker formulierte Scheltegipfelte in der Forderung, die Olympischen Spiele abzuschaffen.
Trotz alledem waren die Wettkämpfer zu allen Zeiten beim Publikumsehr beliebt. In den letzten drei Jahrhunderten erlebten immer mehrerfolgreiche Sportler fast göttliche Verehrung. Kritik kam praktischnur von Intellektuellen. Allerdings hat Platon, einer derbedeutendsten Denker der griechischen Antike, mit seiner letztlichpositiven Einstellung zum Athletentum und damit auch zu Olympiamaßgeblich dazu beigetragen, dass die Wettkämpfe dort in derneuzeitlichen Rückbesinnung auf die Antike zu den vorbildlichenLeistungen der griechischen Kultur gezählt wurden.
Insgesamt gesehen hatten die antiken Spiele sehr viel größereBedeutung als die heutigen. Olympia war auch ein Heiligtum. Es war inseiner Gemeinsamkeit von Spielen, Götterkult und Kunst eineherausragende Manifestation griechischer Kultur. Dieser widmet sichder Archäologe Ulrich Sinn (Universität Würzburg), der dort dieAusgrabungsarbeit einer internationalen Forschergruppe leitet, inseinem aktuellen Buch «Das antike Olympia» (Verlag C.H. Beck).
Unter seinen Erläuterungen zum vielfältigen Leben und Geschehen imTal des Alpheios findet sich auch eine Erklärung für den heuteVerwunderung erregenden Ausschluss verheirateter Frauen von denZuschauerplätzen des Stadions. Dort, wo es um 700 v. Chr. entstand,hatte sich eine Kultstätte der Göttin Demeter befunden, an dermöglicherweise ein Ritual von jungen Mädchen vor ihrer Hochzeit zurKräftigung ihrer Fruchtbarkeit vollzogen wurde. Das Verbot für dieverheirateten Frauen war also vielleicht eine Art Sühne für dieBeeinträchtigung der alten Kultausübung durch das Stadion.
Den Spielen lag vom Ursprung her auch das Ideal der «Kalogathia»zu Grunde, der Vorstellung der Gemeinsamekeit körperlicher Schönheitund sittlicher Vollkommenheit. Sie spielte dann auch bei derWiederbelebung der Spiele am Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtigeRolle. Es zeigte sich jedenfalls, dass der Funke der einstigenFaszination Olympia noch nicht erloschen ist.
