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Freizeit Freizeit: Hamburger Kickboxer entpuppen sich als Gentlemen

07.11.2005, 15:11
Lokalmatador Lok Vibol (l) kämpft in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh gegen seinen japanischen Kontrahenten Masakatsu Nomura (Archivfoto vom am 09.01.2000). Kickboxen als Breitensport findet in Deutschland immer größeren Zuwachs mit Trainingsstunden, die «Box-Workout», «Kick'n Punch» und «Manager-Boxen» heißen. (Foto: dpa)
Lokalmatador Lok Vibol (l) kämpft in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh gegen seinen japanischen Kontrahenten Masakatsu Nomura (Archivfoto vom am 09.01.2000). Kickboxen als Breitensport findet in Deutschland immer größeren Zuwachs mit Trainingsstunden, die «Box-Workout», «Kick'n Punch» und «Manager-Boxen» heißen. (Foto: dpa) AFP

Hamburg/dpa. - Kampfpause in der Sporthalle St. Pauli auf demHamburger Heiligengeistfeld. Der Ring in der Hallenmitte ist leer. Anden Ringpfosten klebt Werbung für Burger King. Der eine oder andereGast ist bereits da, denn in Kürze wird es in der Halle brodeln, imRing heiß hergehen: Unter dem Motto «Fight Force» treten Kick- undThaiboxer aus ganz Deutschland gegeneinander an. Die aggressiveHipHop-Musik wird leiser, der Moderator kündigt zwei Kämpfer vom«Kwan Hamburg» und vom «Major Gym» an.

Die Kontrahenten mit nacktem Oberkörper klatschen sich fastfreundschaftlich mit den Boxhandschuhen ab - dann gehen sie nachFreigabe des Kampfes wie die Lokomotiven mit geballter Energieaufeinander los. Fußtritte und Faustschläge wechseln mit wuchtigenKnieangriffen im Clinch, - einer der beiden landet in der erstenRunde zwei Mal krachend auf dem Rücken. Der Ringrichter, eingemütlicher Glatzkopf mit Bauchansatz, die Hände in Gummihandschuhen,muntert den Umfaller freundschaftlich auf: «Na, wollen wir noch einbisschen fighten?» - und gibt den Kampf wieder frei.

Im Publikum beobachtet Tom Ngue aufmerksam den Fight. Der 30-Jährige passt gerade so in den weißen Plastikstuhl, die Oberschenkelragen nach links und rechts weit in den Fußraum der Nachbarn. Er istSchwergewichtler im Thaiboxen, das Boulevardmagazin «Coupé» hat schonüber ihn geschrieben, sagt er. «Für mich geht es beim Kämpfen um dieÜberwindung, gegen einen Zweimeter-Typen zu stehen, der 120 kg wiegt,das ist eine Herausforderung.» Privat sei er dagegen ein «Teddybär»,brummelt er gemütlich und bittet seine Frau neben ihm, das zubestätigen.

Vertrauensarbeit, die ist hier nötig, denn das Image der Kick-Boxsportarten ist immer noch mies - im Gegensatz zum klassischenBoxen. Im Publikum rund um den Ring sitzen auf Plastikstühlen undTurnhallenbänken Leute, denen man beim Bummel über die Reeperbahnlieber aus dem Weg geht: fast ausnamslos rasierte Nacken, Camouflage-Klamotten und T-Shirts mit aller Art grobschlächtiger Kampf-Prosa.Weit entfernt vom Volkssport. Aber Tom Ngue gibt zu bedenken: Thai-und Kickboxen sind im Kommen, dazu hat auch das DeutscheSportfernsehen (DSF) mit seinen Übertragungen beigetragen.

Rund 2000 ausgewiesene Kick- und Thaiboxclubs gibt es inDeutschland. Die Zahl der Aktiven wird auf etwa 40 000 Fightergeschätzt. Mitgliederzahlen für die Boxart als Breitensport gibt esnicht, da viele ambitionierte Leute mittlerweile auch in Fitnessclubstrainieren. Hier dürfte die Teilnehmerzahl in die Hunderttausendegehen.

«Es kommen immer mehr "normale" Leute zu uns», bestätigt TillGörres. Eben stand er noch als Trainer am Ring und warf für einenseiner Kämpfer das Handtuch, nachdem dieser zwei Mal hintereinanderblitzschnell mit dem Fuß am Kopf getroffen wurde. Görres ist 39 Jahrealt und hat kurze graue Haare. Er hat das, was man einen«ordentlichen» Beruf nennt und eine Leidenschaft: Zusammen mit zweiFreunden gründete der Medienkaufmann den Boxclub «Thaiholics» an derschönen Alster. 1989 trainierte er dagegen noch im Ring unter demlegendären Hamburger Halbweltlokal «Ritze» auf dem Kiez.

Bei den «Thaiholics» gibt es neben der Profiabteilung, aus derauch ein amtierender Weltmeister kommt, Boxen als Breitensport.«Box-Workout», «KickZn Punch» und «Manager-Boxen» heißen dieTrainingsstunden. Hier lassen sich, unterbrochen vom schrillenPfeifen einer Art Stechuhr und Technomusik, gutsituierte Leutescheuchen. Boxübungen am Sandsack oder zu zweit wechseln sich ab. Esgeht weniger um pure Kraft, als um Technik, Schnelligkeit undAusdauer. Ohne Rhythmusgefühl scheitert man schon beim Seilspringenzum Warmmachen.

Während klassisches Boxen mittlerweile das Straßenkampf-Imagelangsam abgelegt, sind Kickboxen und Thaiboxen nach wie vor dieSchmuddelkinder der Branche. Selten geht es um den Sport an sich.Auch in den Medien ist die Athletik Nebensache. Halbweltklischees -oft verbunden mit Brutalität - wollen bedient werden, meinen vieleder Sportler, ohne verbittert zu sein. Aber wer bei den «Thaiholics»mit dieser Vorstellung trainieren will, hat es schwer: «Viele, die zuuns kommen, haben schon mal was auf die Mütze bekommen,» sagt Görres.«Aber bis sie hier wirklich den Sport gelernt haben, legen sie esnicht mehr darauf an, sich draußen zu schlagen.» Dann hätten sienämlich verstanden, dass Kickboxen ein Sport ist.

Ein Eindruck, der sich auch in der Halle bestätigt. Die Gegnerbegrüßen sich teilweise mit traditionellen Ritualen, viele verneigensich vor dem Kampf in Richtung Publikum. Einem der Kämpfer ist essichtlich peinlich, dass er seinem Gegner versehentlich dahingetreten, wo es besonders wehtut... Er entschuldigt sich ohne Ende.Fairness gehört eben dazu. Das ist ganz offensichtlich.

«Es gibt einige, die zu den "Thaiholics" kommen und denken, siewären der Chef», sagt Görres ohne zu lächeln. «Den zeigen wir dannsehr schnell, dass sie das vielleicht auf dem Schulhof sind, abernicht bei uns.» Bei harten Fällen von Selbstüberschätzung gibt's eineganz besondere Lektion: «Wenn bei uns einer im Mercedes vorgefahrenkommt, mit 'nem Pitbull drin, dann wird das Training härter», betonter. «Die meisten kommen nicht wieder.»

Auch andere Verstöße werden geahndet: Wer zu spät kommt und damitandere warten lässt: 50 Liegestütze. Ring im Ohr oder Goldkettchen:ebenfalls 50 Liegestütze. Als Erzieher versteht sich Görres nicht.«Es sind ein paar Schubse, ich bin ja kein Pädagoge.» Sein Geschick,allerdings mehr diplomatischer Natur, war gefordert, als die«Thaiholics» vorübergehend bei Rechtsradikalen mächtig angesagt waren- wegen der harten Methoden, mutmaßt Görres. Doch die hätten ihrenIrrtum schnell bemerkt. Der Trainer grinst. Beim ihm werde hartrangenommen, wer undiszipliniert ist, egal, ob Russe, Italiener,Kasache, Türke, Deutscher oder Kroate.

Grundsätzlich ist der Ton beim Training freundschaftlich, dieTrainer sind fürsorglich. Dahinter steht eine klare Philosophie:«Die, die lange Jahre dabei sind, machen ihren Weg. Dieser Sporthilft ihnen, Disziplin im Privatleben zu haben», sagt Görres.Vielleicht wegen seines guten Rufes hat der NDR hat ihm auch ThandoWalbaum anvertraut, der in dem für 2006 angekündigten Fernsehfilm«Neger, Neger, Schornsteinfeger» nach dem großartigenautobiografischen Roman von Hans-Jürgen Massaquoi die Hauptrolle,nämlich den Autoren selbst, spielt. Der junge Schauspieler wurde beiden «Thaiholics» auf die Boxszenen im Film vorbereitet.

Unterdessen werden die Kämpfe in der St. Pauli Sporthalle gegenAbend hochklassiger. Die A- und B-Klassen fighten jetzt, teilweisesind es Halbprofis oder Profis. Im Ring zermürbt gerade ein Glatzkopfseinen Gegner mit andauernden Tritten gegen Oberschenkel undSchienbein. Dessen Unterstützer toben, Rufe wie «Hau ihn um» sind zuhören. Vergebens. Bei der Siegerehrung hebt der Ringrichter den Armdes Kahlköpfigen hoch. Aber auch hier folgt nach dem Kampf eineversöhnliche Geste zwischen Sieger und Besiegtem. Und selbst dieAnhänger des Unterlegenen klatschen widerwillig. Die Sportler sindhier die Vorbilder, - den Fans zur Nachahmung empfohlen.