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Frankreich Frankreich: In den Schluchten des Tarn

Von Dirk Averesch 13.09.2005, 07:26
Geprägt von Schluchten und Flüssen - die Gegend um Aveyron und Gard in Südfrankreich ist daher reich an Brücken. (Foto: dpa)
Geprägt von Schluchten und Flüssen - die Gegend um Aveyron und Gard in Südfrankreich ist daher reich an Brücken. (Foto: dpa) Sven E. Hauschildt

Millau/dpa. - Das Viadukt von Millau ist das Tor zu einer anderen Welt. Wer sie betreten will, darf aber nicht in 343 Metern Höhe in Richtung Mittelmeer rasen. Er muss vielmehr unter der höchsten Brücke der Welt hindurch in das Tal des Tarn hineinfahren.Dort windet sich der Strom mit seinen Nebenflüssen Dourbie und Jonte an der Nahtstelle der französischen Regionen Midi-Pyrénées und Languedoc-Rousillon durch bis zu 400 Meter tiefe Schluchten.

Auf den wahnwitzig kurvigen Straßen müssen Autofahrer einemPanorama nach dem anderen widerstehen. Gotische Brücken führen von einem Steilufer zu Steilufer. Am oberen Ende der Schluchten thronen einsam die «Causses», karg-romantische Kalkstein-Hochebenen.

Rund zehn Kilometer westlich von Millau verbindet seit MitteDezember 2004 der gigantische Viadukt von Sir Norman Foster denCausse Rouge und den Causse Larzac. Die 2,4 Kilometer lange Brücke ist der letzte Baustein der Meridienne genannten Autobahn 75, die das Zentralmassiv mit dem Mittelmeer verbindet. Die von Sommerurlaubern gefürchteten Endlosstaus bei der Durchfahrt von Millau gehören damit der Vergangenheit an.

Berühmt wurde die Stadt mit feinen Lederhandschuhen. Heute ist der lebendige 20 000-Seelen-Ort im Departement Aveyron Brückenhauptstadt. Täglich kommen 4000 Menschen, um die Schrägseilbrücke in Augenschein zu nehmen, die den Eiffelturm um 22 Meter überragt. «Am Anfang hat jeder einfach auf dem Viadukt angehalten», sagt Stadtführerin Isabelle Koffi. Inzwischen wird das streng geahndet.

An den sieben V-förmigen Pfeilern aus eigens entwickeltemSpezialbeton sind sieben «Harfen» mit jeweils 22 Abspannseilenbefestigt. Daran hängt die 32 Meter breite Fahrbahn aus Stahl, die einen leichten Bogen über das Tal beschreibt. In nur drei Jahren entstand das 320 Millionen Euro teure Bauwerk – und wirkt, als wäre es schon immer da gewesen.

Tatsächlich macht das Viadukt die Dimensionen des Talkessels erst sichtbar und formt ein filigranes Portal zu den Tarnschluchten. «Die Sicht auf die Brücke ist eindrucksvoller als der Blick von ihr herunter», sagt Koffi. Denn der drei Meter hohe Windschutz erlaubt keine direkten Blicke in die Tiefe. Die beste Aussicht auf das Viadukt haben Besucher von der Aire de Vision du Causse Larzac. Ein Informationszentrum am Fuße der Brücke liefert Fakten und Zahlen.

Wer den Brücken auf der Spur bleiben möchte, sollte von Millau aus über den Causse Larzac vorbei an alten Templerorten der Hospitaliter und Malteser hinein ins Pays d[0x2019]Oc fahren. Dort liegt im Departement Hérault vor den Toren von St. Guilhelm le Désert der Pont du Diable, die älteste romanische Brücke Frankreichs und seit 1999 ein Teil des Weltkulturerbes.

Sie wurde um das Jahr 1030 von Benediktinermönchen erbaut undführt über den Hérault. Sein Flussbett lädt mit türkisfarbenem Wasser zum Baden ein. Obwohl es wegen der eng stehenden Felsen immer wieder Tote und Verletzte gibt, springen Jugendliche an Sommertagen fast im Minutentakt von der Brücke mit den zwei Bögen in die Tiefe.

Zurück in Millau, geht es über le Rozier und Peyreleau hinein indie «Gorges du Tarn» des Departements Lozère. Als Ausgangspunkt für eine Wanderung auf dem vielleicht schönsten Causse, dem Causse Méjean, bietet sich St. Pierre des Tripiers an. Dorthin führt aus dem Tal der Jointe bei Le Truel eine Serpentinenstraße, auf der sich viele Besucher schwören, das nächste Mal den kleinstmöglichen Mietwagen zu nehmen. Gegenverkehr darf einfach keiner kommen.

St. Pierre des Tripiers besteht aus einer Kirche und einigenverwunschenen Häuschen mit traditionellen Dachschindeln aus Stein. Auf dem Causse offenbart sich schnörkellose Schönheit: Höhlen und Kalksteinfelsen in aberwitzigen Formen, Wiesen voll Engelshaar und weidende Schafe. «Der Großteil der Schafsmilch wird für die Roquefort-Produktion ins Aveyron gebracht», erklärt Brigitte Donnadieu vom Tourismuskomitee des Departements.

Auf dem Plateau wachsen mehr als 900 Arten von Wildblumen,darunter Orchideen und die seltene Silberdistel. Im Mittelalterherrschte eine eiserne Arbeitsteilung: Die Causse-Bauern bestellten die Felder, die Städte in den Flusstälern trieben mit dem Getreide Handel.

Beim Blick ins Tal überraschen Geier, die ihre Kreise über derJointe ziehen. Bei Le Truel ist den 1940 ausgerotteten und seit den achtziger Jahren wieder angesiedelten Vögeln das Museumsobservatorium Belvédère des Vautours gewidmet. Von der Terrasse aus können Besucher per Fernglas die faszinierenden Aasfresser mit einer Spannweite von bis zu drei Metern in ihren Nestern oder beim Fliegen beobachten. «Die Geier-Kolonie scannt gemeinsam ganze Landstriche ab, die Vögel sehen ein totes Tier selbst noch aus drei Kilometern Höhe», erklärt der Biologe Constant Bagnolini.

Während die wenig beachtete Dourbie bestens für eine Kanufahrtgeeignet ist, lassen sich Besucher der gewaltigen Tarnschlucht meist im Boot chauffieren, um keinen Ausblick zu verpassen. Ein günstiger Startpunkt für Bootsfahrten ist der kleine Ort La Malène. Unterhalb des mittelalterlichen Herrenhauses und der Tarn-Brücke liegen die Boote der «Bateliers de La Malène».

Früher leisteten die kleinen Kähne Fährdienste. Heute sticht dieBruderschaft der Flussschiffer mit Touristen in See. Im klaren Wasser tummeln sich Fische. Die Fahrt geht vorbei an kuriosenGesteinsformationen wie den «Frisierten Damen» - zwei Felssäulen, auf denen jeweils ein großer Stein ruht.

«Die Tarn hat kaum Zuflüsse, wird aber trotzdem immer breiter»,erzählt der 56-jährige Batelier Michel Fages, dessen Vater schon auf dem Fluss fuhr. Der Regen sickert in die Kalkplateaus ein und erreicht den Fluss unterirdisch. Höhepunkt der Ausfahrt sind «Les Détroits», wo sich die viele hundert Meter hohen Felswände kathedralenartig verengen.

In der Nähe schmiegt sich das Gehöft «La Croze» an die Klippen.Boote und eine Seilbahn sind die einzige Verbindung zur Außenwelt. Erst 1905 wurde eine Straße durch die rund 50 Kilometer lange Schlucht gezogen. Darin liegt auch das mittelalterliche Dorf Ste.Enimie, dessen kleine Gassen mit Flusskieseln gepflastert sind. DieFassaden der ehemaligen Handelshäuser schmückt Tuffstein.

Abenteuerlustige können vom Ort Ispagnac aus zu einemNaturerlebnis erster Güte starten - einer Canyoning-Tour durch tiefeund enge Flussschluchten. Je nach Wasserstand wählt der Führer eineKlamm, in der das Wasser nicht zu reißend ist. Sonst wäre daskombinierte Abseilen, Klettern, Springen, Rutschen und Schwimmen zuriskant. «Das ist aber auch etwas für Leute ohne Kondition», sagtValerie Philipe vom Veranstalter Bulle d'O.

Eingepackt in Neopren, einen Helm auf dem Kopf und einenTrapezgurt mit Karabinern um die Hüften, arbeiten sich die GruppenStück für Stück die Klamm hinunter: Waten durch schäumende Bassins,mutige Sprünge in tiefblaues Wasser oder das Rutschen durch gewundeneRinnen aus Kalk ist dann angesagt. Forellen und uralten Krebsenbegegnet, wer in der sauerstoffreichen Umgebung unterhalb einesWasserfalles taucht.

Besucher, die die römische Kultur des Wassers und 2000 Jahre alteBrückenbaukunst kennen lernen möchten, sollten den 48 Meter hohen und265 Meter langen Pont du Gard zwischen Uzès und Nimes im DepartementGard nicht versäumen. Die Leistung der römischen Baumeister beimgrößten Aquädukt der Antike ist mit jener der Ingenieure des Viaduktvon Millau vergleichbar. Die Wasserleitung war bereits aus einer ArtBeton gegossen. Tonnenschwere Steinquader wurden über einflaschenzugähnliches System, aber auch mit der Hilfe eines Heeres von1000 Sklaven bewegt. Das Viadukt von Millau haben nur rund 500Arbeiter gebaut – aus freien Stücken.

INFO-KASTEN: Tarnschluchten

REISEZIEL: Die Tarnschluchten liegen in den Departements Aveyron(Midi-Pyrénées) und Lozère (Languedoc-Rousillon) in Südfrankreich.Für den Pont du Diable ist ein Abstecher in das Departement Hérault(Languedoc-Rousillon) notwendig. Der Pont du Gard liegt ebenfallsetwas abseits im Département Gard (Languedoc-Rousillon).

ANREISE UND FORMALITÄTEN: Es gibt täglich Nonstopflüge mit AirFrance von Frankfurt/Main und München nach Toulouse. Beim Flug überParis nach Montpellier oder Rodez ist der Transfer vor Ort kürzer.Die Autobahn A75 führt von Paris direkt bis nach Millau. Die Reisemit dem TGV von Paris nach Millau dauert gut fünf Stunden. Reisendesollten an ihren Personalausweis denken.

KLIMA UND REISEZEIT: In der Regel kalte Winter mit viel Sonne undheiße Sommer. Gute Reisezeiten sind Juni bis Mitte Juli sowieSeptember und Oktober. Im Frühling regnet es viel, im August hat ganzFrankreich Urlaub – entsprechend überlaufen können touristischattraktive Gegenden dann sein.

WÄHRUNG: Euro.

SPRACHE: Französisch.

UNTERKUNFT: In den Tarnschluchten gibt es nur wenige Hotels zuPreisen zwischen 35 und 100 Euro pro Nacht. Leichter sind Gästezimmermit Frühstück zu finden. Oft gibt es dort auch Abendessen, liebevollausgestattete Zimmer und Familienanschluss. Rechtzeitig über Gites deFrance reservieren (Internet: www.gites-de-france.fr/de).

INFORMATIONEN: Comité Regional du Tourisme Languedoc-Rousillon, LeMillenaire II, 417 rue Samuel Morse, CS 79507, F-34960 MontpellierCédex 2 (Tel. von Deutschland: 0033/4/672 281 00, Fax: 0033/4/676 44748, E-Mail: [email protected]); Maison de la France,Postfach 10 01 28, 60001 Frankfurt (Tel.: 0190/57 00 25 für 62Cent/Min, Internet: www.franceguide.com).

Eine der berühmtesten Brücken der Welt - der Pont du Gard bei Nîmes wurde vor rund 2000 Jahren von den Römern als Wasserleitung errichtet. (Foto: dpa)
Eine der berühmtesten Brücken der Welt - der Pont du Gard bei Nîmes wurde vor rund 2000 Jahren von den Römern als Wasserleitung errichtet. (Foto: dpa)
Site Pont du Gard/B. Liégeois