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Frankreich Frankreich: Dutzende Flohmärkte machen Paris zu einer Fundgrube

Von Hanns-Jochen Kaffsack 28.06.2005, 08:54
Nippes multikulturell - auf dem Marché aux Puxes ist auch moderner Trödel aus Asien zu haben. (Foto: dpa)
Nippes multikulturell - auf dem Marché aux Puxes ist auch moderner Trödel aus Asien zu haben. (Foto: dpa) Hanns-Jochen Kaffsack

Paris/dpa. - Was haben ein Singvogel aus Südamerika, eineantiquarische Ausgabe der Essays von Michel de Montaigne und Jeanszum Schnäppchenpreis miteinander gemein? Auf all das kann man beieinem Streifzug durch Paris stoßen. Wer gewillt ist, einmal einenBogen um Eiffelturm, Louvre und Notre Dame zu machen, für den tutsich oft eine Art Wundertüte auf. Denn die Weltstadt an der Seine istauch in diesem Sinne eine Fundgrube. Kein Tag ohne eine Vielzahl vonMärkten, die vom hochwertigen Stilmöbel bis zu denGesundheitslatschen alles bieten, was das Herz so begehrt. So machendie Märkte das reizvolle Durchstreifen der Hauptstadt nicht zuletztzu einer nützlichen Sache.

Durch die Marktstraßen zu schlendern, das führt auch einmal in dieabgelegeneren Stadtviertel der Metropole und zu einem Plausch mit denEinheimischen über die schon wieder gestiegenen Gemüsepreise oder dieZubereitung eines Seebarsches. Die Flaneure kommen in Kontakt mit demganz speziellen Völkchen der Kleinhändler und mit Kulturen von allenKontinenten. Paris zeigt sich hier von einer besonders lebensnahenSeite: Wie immer schon trifft man sich auf den Märkten, um zwischenden überbordenden Warenauslagen zu tratschen. Hier begrüßt der alteKäsehändler seine gutbürgerliche Stammkundin mit einem Handkuss. Dortbekommt eine Bettlerin ein etwas angeschlagenes Obst geschenkt. Undder junge Bürohengst mit Schlips kauft rasch italienische Pasta ein.

Die «Puces de Saint-Ouen», die weltweit bekannten Flohmärkte amNordrand der Hauptstadt, bleiben die Mutter aller Pariser «Marchés».Elf Millionen Besucher zieht diese größte Verkaufmanege für billigenTand wie für sündteures Kunsthandwerk Jahr für Jahr an. Klamotten,Nippes, afrikanische Masken, falsche Markenuhren und wertloserSchmuck, damit schmücken die Trödelhändler in dem Gewirr der Straßenund Gassen von Saint-Ouen schon früh am Morgen das Pflaster. Peruanermit Pferdeschwanz, Maghrebiner mit Tschapka und Senegalesen ingrellbunter Arbeitsmontur - sie alle haben dann fix ihre Deckenausgebreitet und die Ware darauf arrangiert. Der Kunde kann kommen.

Die feinen «Kollegen» vom antiquarischen Gewerbe haben mit denLumpensammler - chiffonniers - genannten Kleinhändlern nichts zu tun.Man begegnet sich also auch nicht in den efeubewachsenen Alleen der«Puces». Die 16 festen und überdachten Märkte von Saint-Ouen bildenvielmehr eine Welt für sich - 2500 «Professionelle» arbeiten hier,verkaufen keinen Trödel, sondern die speziellen Fauteuils aus densiebziger Jahren, das fein verschnörkelte Gartentor, die niedrigenSalontische aus der Kolonialzeit oder Ölgemälde bekannter Meister.

Natürlich findet man dort heute nicht mehr ganz zufällig einenRenoir oder einen Courbet für ein Butterbrot und ein Ei. Und dochsind die Antiquare auf dem Marché Paul-Bert oder Serpette innerhalbdes Flohmarktgeländes oft ein Stück weit billiger als ihre Kollegenin der Stadt. Sie bieten Teppiche, Lüster und feines Geschirr feil,ordentlich nach Stilepochen getrennt, aber auch Keramik und altePuppen, Militaria und Münzen - halt für so ziemlich jeden etwas.

Die «Puces de Saint-Ouen» gehören zu den letzten Treffpunkten inParis, wo praktisch alle sozialen Schichten der heutigen Gesellschaftaufeinander prallen: Die Konservativen und Traditionsbewussten, dieLumpensammler, internationale Händler und jene, die nur sonntags malnach dem gesuchten Stück Ausschau halten, so seziert der PariserSozialwissenschaftler Hervé Sciardet das bunte Treiben und Gewusel.

Ähnliches gilt für die typischen Pariser Lebensmittelmärkte. Inimmerhin 13 überdachten und 63 «Open-Air»-Märkten offerieren dieHändler all das, was verwöhnte Pariser Mägen mögen. «Die bestenSachen werden sowieso nach Paris verschifft», klagt die französischeProvinz gerne darüber, dass die frischesten Austern und Fische anihnen vorbei in die Hauptstadt gebracht werden. Das hat Tradition -in der Hochburg der Zentralmacht mit Versailles vor den Torenschlemmte man immer schon am besten.

Besonders exotisch und kosmopolitisch, aber auch noch rechtgünstig ist der Marché d'Aligre im Pariser Osten hinter der OpéraBastille. Hier geht es laut zu wie auf einem nordafrikanischen Basar.Die Sinne sind betört, und selbst der kulinarische Kenner stößt inden überquellenden Auslagen immer auch auf Überraschendes. Währendals erstes die Farbenpracht in die Augen sticht, steigen nach undnach die Gerüche und Düfte aus Asien, Afrika und Südamerika in dieNase. Und der Gaumen malt sich bereits einen abendlichen Festschmausaus.

Jenseits der Tische mit den nordafrikanischen Oliven, Feigen undErdnüssen warten muslimische Schlachter an der Place d'Aligre in denEingängen ihrer winzigen Läden rauchend auf Kunden. Einige Franzosennutzen die Gunst der Marktstunde und verteilen Handzettel gegen denAbbau der 35-Stunden-Woche. Der urpariserische und wenig vonAusländern heimgesuchte Aligre-Markt gibt mit alldem ein immer wiederansprechendes Bild eines prallen städtischen Alltags ab.

Nicht weniger atmosphärisch und attraktiv, aber doch anders gehtes in der Rue Mouffetard im 5. Arrondissement zu, einer der ältestenPariser Marktstraßen. Weil in allen Reiseführern vermerkt, ist dieStraße vom Platz Contrescarpe bis zur Kirche Saint-Médard einTummelplatz der Weltenbummler. Und dennoch: Wenn Markt im Schattender Kirche ist und ein Musette-Chor inbrünstig die «Hymne an dieLiebe» von Edith Piaf anstimmt, fühlt sich jeder als Franzose undtanzt.

Zettel mit dem Chansontext sind verteilt, Japaner, Amerikaner undDeutsche fallen zaghaft ein. Der «Marché de la Mouffe», wie derPariser sagt, ist beispielhaft für Märkte im Herzen eines Quartiers,die dazu einladen, mit einem frischen Baguette aus der Boulangerieunter dem Arm das gesamte sehenswerte Viertel auszukundschaften.

Neben Trödelkram und Lebensmitteln wartet Paris indessen noch mitden ebenso beliebten Treffpunkten für das Spezielle auf. Da ist zumeinen der beliebte Blumenmarkt auf der Ile de la Cité. Umgeben vonkühlen Verwaltungsgebäuden aus dem Second Empire zieht der «Marchéaux Fleurs» an der Place Louis-Lépine in jeder Saison wegen seinerscheinbar unendlichen Farbpalette die Blumenfreunde an. Auch sonntagsgeht es hier bunt zu, das allerdings inmitten von Gezwitscher. Denndann werden statt der Pflanzenpracht vor allem gefiederte Freunde undauch andere Tiere aus aller Welt dort feilgeboten - samt den Käfigennatürlich, dazu das Vogelfutter und alles, was noch so dazu gehört.

Die Fans alter Bücher wiederum, die bei den Seine-Bouquinisten inder Nähe nicht auf ihre Kosten gekommen sind, strömen am Wochenendeweiter südwestlich auf den «Marché du livre d'ancien et d'occasion»im Georges-Brassens-Park, benannt nach dem schnauzbärtigen Barden ausSüdfrankreich. Stundenlang kann man in aller Ruhe in den gebrauchtenund antiquarischen Büchern schmökern, auch wenn das Werk, wonach mankramt, wieder nicht aufzufinden ist. Zum Beispiel eben die Essays desPhilosophen Montaigne. Vielleicht hat man das nächste Mal mehr Glück.

Beschaulich und bedächtig geht es auch bei den Briefmarkensammlernzu, die sich mehrmals wöchentlich an der Avenue Gabriel unweit derquirligen Prachtallee Champs-Elysées einfinden, um womöglich die eineMarke endlich zu erstehen, die in der Kollektion noch fehlt. DenKunstfreunden laufen in Paris die Objekte der Begierde sozusagenständig über den Weg, beispielsweise - immer samstags - auf einemMarkt nahe der Bastille-Oper in dem multikulturellen Pariser Osten.

Doch Wandschmuck hin und Sammlergelüste her, am wichtigsten bleibtimmer, was durch den Magen geht. So manche Pariserin sucht nochtäglich mit einer nahezu religiöser Inbrunst den günstigstenTunfisch, die fleischigsten Artischocken und die besonders feinen undkleinen «Rattes»-Kartoffeln. Und sie wird womöglich mit Küsschenlinks und Küsschen rechts auf die Wange «à la française» vom Händlerverabschiedet. Aus ihrer Tasche ragen dann schon die Lauchstangenheraus.

Für jene, die strategisch günstig wohnen, ist außer montags jedenTag Markttag - irgendwo im Viertel wird immer angeboten, was das Landvon der Normandie bis zur Provence auf den Tisch zu bringen vermag.Erst, wenn das Déjeuner oder das Dîner gesichert sind, geht es aufdie Fahndung nach dem Lampenschirm, der im Salon fehlen mag, nacheiner neuen Yucca oder nach geistiger Nahrung vom Buchantiquar.

Paris hat zahllose Märkte - Besucher der französischen Hauptstadt können an jedem Tag der Woche zu Streifzügen auf der Suche nach Kunst, Krempel, Obst und Gemüse oder frischem Fisch starten. (Grafik: dpa)
Paris hat zahllose Märkte - Besucher der französischen Hauptstadt können an jedem Tag der Woche zu Streifzügen auf der Suche nach Kunst, Krempel, Obst und Gemüse oder frischem Fisch starten. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschildt