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Der mit der Post: Franz Josef Wagner wird 65

Von Martin Bialecki 06.08.2008, 15:24

Berlin/dpa. - Gibt es Briefe mit mehr Lesern als die «Post von Wagner»? Er hat Harald Schmidt geschrieben, dem FC Bayern, Happy Deutschland, dem schönen Wetter, Eisbär Knut, den Dicken, dem NDR, der Tankstelle, dem Papst, dem Osterhasen - und vielen Hundert mehr.

Am 7. August wird Franz Josef Wagner, Kolumnist der «Bild»-Zeitung, 65 Jahre alt und findet das nur mittellustig: «Dass ich jetzt dann 65 sein soll, ist völlig absurd. Ich fühle mich wie 40 oder so. Und das, obwohl ich mich jeden Tag sehe.» Zum Feiern sei das sicher nicht, sagt er im Gespräch und sticht mit der Gitanes in die Luft.

Wagners «Post» bei «Bild» gibt es seit 2001, gerade eben wurde sein Vertrag mit dem Springer-Verlag um zwei weitere Jahre verlängert, bis Ende 2010. «Der Verlag probiert an mir die Rente mit 67. Gut.» Es gibt allerdings nachweislich eine ganze Reihe von Menschen, die darin keine gute Nachricht sehen. Porträts zum einen, Internetforen und Blogs zum anderen sind voll mit oft geharnischter, manchmal wütender Kritik («Volksverhetzung für zwölf Millionen Leser», «Wagner ist das Schlimmste am Leben in Deutschland, schlimmer als die Berliner U- Bahn»). Wagner gilt vielen als gnadenlos, als Polarisierer und Scharfmacher, ihm wird Ausländerhass ebenso unterstellt wie ein eindimensionales Frauenbild.

«Ich gehe jeden Tag das Risiko ein, auf der Rasierklinge zu schreiben, ich mache mich ja total öffentlich», sagt Wagner. Er kennt die Kritik, behauptet aber, sie nicht nah an sich ranzulassen. «Sie dürfen sich da keinen Riesen vorstellen, der an vielen Stellen blutet. Kritik verletzt mich nicht bis zum Wehtun.» Bis zur Grenze der Bewusstwerdung aber wohl schon, denn: «Ich bin ja kein Ritter mit einer Maske. Das Visier ist offen.»

Franz Josef Wagner, geboren in Olmütz im Sudetenland. In Regensburg aufgewachsen, dort Sänger bei den Domspatzen, ohne Abitur von der Schule gegangen. Möbelpacker in Paris, Bademeister in Genf. 1966 zu Springer, in den 70ern Ghostwriter für Franz Beckenbauer und Udo Jürgens. 1988 Chefredakteur von Burdas «Bunte», 1991 Chefredakteur von «Super», dem rasch eingestellten Versuch einer Ostkonkurrenz zu «Bild». 1998 zurück zu Springer, dort Chef der Boulevardzeitung «B.Z.». Abgang im Jahr 2000 nach einem Titel über die Schwimmerin Franziska von Almsick («Franzi von Speck - als Molch holt man kein Gold»).

In seiner Zeit an der Spitze von Redaktionen galt Wagner manchen als Chef mit fragwürdigen Führungsmethoden. Das Arsenal seiner Formulierungen ist voller Barschheiten, Vereinfachungen und knallender Überschriften. Beispiele: «Der Wirt mit den besten Kohlrouladen der Stadt vom letzten Gast erschlagen», «Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen - ganz Bernau freut sich», «Liebe Hillary Clinton, wer ist Schuld daran, dass Sie aussehen wie eine Schüssel Haferschleim?» Eine Lieblingskolumne aus all den Jahren hat Wagner nicht, würde lieber eine neue aus vielen als gelungen empfundenen Nebensätzen basteln. Was fand er misslungen? Er streicht sich die langen Haare aus der tief zerfruchten Stirn und sagt verwundert: «Ja meinen Sie, ich ärgere mich nicht jeden Tag, an dem meine Kolumne mal nicht so geworden ist, wie ich das wollte? Warum habe ich denn keine bessere Idee gehabt in dem Moment?» Sonnenbrille aufsetzen, absetzen, noch ein Espresso.

Was bedeutet Wagner seine Kolumne? «Abgesehen davon, dass sie mir mein Leben bezahlt, ist es ein Geschenk, öffentlich zu sprechen, meine Meinung zu sagen. Wenn man stumm bliebe, das wäre die Höchststrafe.» Florett und kleine Münze sind seine Sache nicht, Wagner teilt eher beidhändig aus, greift immer wieder zum schweren Säbel. «Gut, es gibt schon Filter, wo ich dann denke: Da würde ich ja selber die Wand hochgehen, wenn ich das über mich läse.»

Wagner lebt allein («Deswegen geh' ich ja immer essen») im Herzen Westberlins. Seine Wohnung liegt fünf Minuten von der «Paris Bar» entfernt, ohne jede Übertreibung sein zweites Wohnzimmer, und sieben Minuten von «seiner» Kirche, die er so oft wie regelmäßig besucht. Wagner liebt Sprache und Musik über alles. Raucht unverdrossen Kette («Jede 1. Zigarette am Morgen ein Gottesgeschenk»), spielt Tennis («außer bei dieser Hitze»), geht zum Physiotherapeuten («man muss sich auch mal dehnen»). Sein Tag sei «völlig normal strukturiert». Morgens zunächst die elektronischen Medien («mein Starter»), danach «FAZ», «Süddeutsche», «Welt» («meine Erklärer, meine Lese-Inseln»). Ab 13.00 Uhr versinke er dann in der Welt seiner Kolumne. «Ich fange so spät an wie es geht, ich brauche den Druck. Bis Abends wird es oft total eng. Auf Halde schreibe ich nie.»

Auf Wagners Journalistenleben wurden viele Labels und Begriffe geheftet, manche mit Wucht: «Gossen-Goethe», «gedruckter Stammtisch», «Sprecher des Kleinbürgertums», «irrlichternder Witzbold», «Der Irre von der Seite 2», «Zentralorgan des Neo-Dadaismus». Andererseits findet sich jede Menge Anerkennung, manchmal Begeisterung für Ausdrucksform, Gedankenschärfe und Poesie. Aus der Berliner Latte- Macchiato- und Bussi-Gesellschaft will er sich raushalten, sagt er, wenigstes meistens: «Triffst ja doch manche öfter. Gibt eine zwangsläufige Nähe im Krabbelgarten Berlin. Viele teilen die gleichen Tränken.» Nebenher schreibt Wagner derzeit wieder ein Buch, einen Roman über seine vergangenen 40 Jahre. Auch wenn, durchdringendes Lächeln aus hellen Augen, «kein Buch es einem ersetzen kann, immer neu den täglichen Roman des Lebens zu schreiben.»