Chauvinismus Chauvinismus: «Decken, decken - nicht Tisch decken!»
Berlin/dapd - Wie Verbrecherinnen standen sienebeneinandergereiht da. Doris Reeder, Veronika Kutter, SonjaSpielberger und Marliese Emig. Die eine sagte, sie habe es nurgetan, weil ihr Freund so große Leidenschaft dabei empfinde und siees auch mal habe ausprobieren wollen. Die andere rechtfertigte sich,dass sie ein Sportgeschäft habe und quasi aus ökonomischen Gründendazu verleitet worden sei. Veronika Kutter aber dürfte den Ankläger,«Sportstudio»-Moderator Wim Thoelke, mit ihrer Aussage nun wirklichgeschockt haben: «Weil es mir einfach Spaß macht.» Das Vergehen derjungen Damen: Fußballspielen.
Zuvor hatte das ZDF einen kurzen Beitrag über die inoffizielleFrauen-Nationalmannschaft eingespielt, den Thoelke mit einem Kalauernach dem nächsten untermalte. «Die Zuschauer brauchen sich gar nichtaufzuregen. Die Frauen waschen doch ihre Trikots selber, wenn sie inden Schlamm fallen», stellte er süffisant fest. Und weiter: «Decken,decken - nicht Tisch decken. Mann decken, so ist richtig.»Anschließend fragte er: «Was sind denn das für Mädchen, die dasbetreiben? Und aus welchen Gründen tun sie das?»
Die Aufzeichnung aus dem Jahr 1970 dokumentiert eindrucksvoll,wie es um den Frauenfußball damals bestellt war. Zumal Thoelke keinvom Himmel gefallener Alt-Chauvinist war. Er war nur einer untervielen. «Fußball, das war eine Männerbastion, die sich bedrohtfühlte - und das schon seit Mitte fünfziger Jahren», erklärt diePotsdamer Sporthistorikerin Carina Sophia Linne, Autorin von«Freigespielt - Frauenfußball im geteilten Deutschland». Nach demWM-Titel der Männer 1954 entdeckten auch die deutschenFußballerinnen die Sportart für sich. Was vielen nicht passte.«Plötzlich kamen die Frauen an und wollten auch mitmachen. Da habensich eben viele Männer gefragt: Was soll denn das?!», sagt Linne undfügt an: «Chauvinismus war sicher eine Form, sich dem Eindringen derFrauen in dieser Art männerbündischer Veranstaltung zu erwehren.»
Beim Verbarrikadieren half der Deutsche Fußball-Bund (DFB)tatkräftig mit. Auf dem DFB-Bundestag 1955 beschlossen dieDelegierten, Frauenabteilungen in den Vereinen zu verbieten. Esentsprach dem Frauenbild zur damaligen Zeit, und daran malten vielemit. Wissenschaftler wie der Psychologe Fred J. J. Buytendijk, derin einer Studie aus dem Jahr 1953 zu dem Ergebnis kam, dass Fußball«eine Demonstration der Männlichkeit» und das «Treten (...)spezifisch männlich», aber «das Nichttreten weiblich» sei. Und auchdie Medien. «Frauenfußball war ein schwarzer Fleck auf der Landkartedes Journalismus», sagt Linne. Wohl auch, weil Sportjournalismuslange fast ausschließlich von Männern ausgeübt wurde. «Fußball istin Deutschland aus einem besonderen Saft, gegoren aus Chauvinismus,Tradition und den Glauben an die eigene Unfehlbarkeit», schrieb der«Stern» 1975, fünf Jahre nachdem der DFB das Verbot fürFrauenfußball aufgehoben hatte.
Die Aufhebung des Verbots war aber nicht gleichbedeutend damit,dass der «Damenfußball», wie er bis Anfang der neunziger Jahrebezeichnet wurde, nun wirklich akzeptiert wurde. Immer wiedermussten sich die Fußballerinnen die Sprüche eines Berti Vogts oderRudi Assauer anhören, die der Meinung waren, dass es für dasweibliche Geschlecht doch so viele andere Sportarten gebe. «Dagegenhatten die Fußballerinnen in der DDR einen leichteren Zugang zuihrer neuen Sportart erhalten: Ohne Verbandsverbot und mit wenigerchauvinistischen Kommentaren», sagt Linne. Erst mit den großenErfolgen der bundesdeutschen Frauen-Nationalmannschaft weichte dieverkrustete Sichtweise auf. Es wurde zunehmend unschick, über dieBallkünste der Fußballerinnen zu lästern. «Ich ziehe den Hut vorunseren Mädels!», kapitulierte selbst Assauer in einem Interview mitder «Welt».
Das zeigt: Der Chauvi hat es nicht mehr leicht im Fußball, ermuss sich andere Felder suchen. Ganz besonders im Jahr derFrauen-Fußballweltmeisterschaft.