Athen 2004 Athen 2004: Kugelstoßen in Olympia: Sünder-Disziplin im heiligen Hain
Athen/dpa. - Unheilige Allianz am heiligen Ort: Ausgerechnet dieKugelstoßer, die in der Leichtathletik als die Doping-Disziplinschlechthin gelten, dürfen am Mittwoch im antiken Olympia ihrenWettkampf austragen. Wer zu Gründungszeiten der Spiele gegen dasFairplay verstieß, musste eine Statue zu Ehren des Zeus errichtenlassen, in deren Sockel seine Missetat eingraviert wurde. «Das wäredoch etwas für Dopingsünder. Der normale Zuschauer kann sich ja kaummerken, wer schon einmal gesperrt war», sagt Astrid Kumbernuss, dieOlympiasiegerin von 1996 vom SC Neubrandenburg.
Ihr Vereinskollege Ralf Bartels beklagt sich darüber, dass voneinigen Konkurrenten vor Olympia «nichts zu sehen und nichts zu hörenist». Man könne niemanden vorverurteilen, so lange er nicht überführtsei, aber: «Es gibt halt auch einige Fingerzeige in Richtung Doping.»Der EM-Dritte selbst ist nach eigenen Angaben in der letzten Hallen-und dieser Freiluftsaison acht Mal getestet worden und wünscht sichso etwas auch für seine Rivalen: «International wird so gut wie garnicht kontrolliert. Das ist ein heißes Thema.»
Weltmeister Andrej Michnewitsch aus Weißrussland, so kritisiertBartels, «war in diesem Jahr kaum zu sehen». Überhaupt seien dieFührenden der Weltrangliste bei Meetings oft nicht dabei. Ebenso wieBartels ist die dreimalige Weltmeisterin Kumbernuss noch nie beieinem Test aufgefallen. Ihre Verdächtigungen gegenüber denKonkurrentinnen haben sich oft bewahrheitet. Zuletzt wurde ViktoriaPawlitsch, mit der sie im Dauerclinch gelegen hat, für immer aus demVerkehr gezogen: Als Hallen-Weltmeisterin war die Ukrainerin bereits1999 überführt und gesperrt worden. Bei ihrem Comeback 2001 inEdmonton gewann sie WM-Bronze. Im März dieses Jahres wurde Pawlitschin Budapest erneut Hallen-Weltmeisterin - und musste wieder wegenDopings ihre Goldmedaille abgeben.
Die Liste allein der prominenten überführten Schwergewichte istlang: Janina Koroltschik, die Olympiasiegerin von Sydney, wurde imvergangenen Jahr aus dem Verkehr gezogen - KälbermastmittelClenbuterol. Eine lebenslange Sperre erhielt Alexander Bagatsch. DerUkrainer war bereits 1989 für zwei Jahre gesperrt worden, gewann 1996in Atlanta Olympia-Bronze, wurde 1997 in Athen als Weltmeistergesperrt (Aufputschmittel Ephedrin) und drei Jahre später mitanabolen Steroiden erwischt.
Der Amerikaner C.J. Hunter, Ex-Gatte der mittlerweile auchverdächtigten Sprinterin Marion Jones, sorgte während derSommerspiele in Sydney 2000 für den großen Knall, als bekannt wurdeeine Probe aus den Monaten zuvor den Nandrolon-Grenzwert um dasTausendfache überschritten hatte. Unter heftigem Schluchzen erklärteder 149-Kilo-Koloss damals seine Unschuld. Dieter Kollark, derTrainer von Kumbernuss war damals so frustriert, dass er sogar dieAbschaffung des Kugelstoßens für möglich hielt.
Der Südafrikaner Burger Lambrechts, der Tscheche Miroslav Menc,der Slowake Mikulas Konopka, der Österreicher Andreas Vlasny sindweitere gedopte Weltklasse-Kugelstoßer aus der zurückliegendenOlympiade. Milan Haborak (ebenfalls Slowakei) war am Freitag in Atheneingetroffen, musste aber prompt wieder abreisen: Hormon-Doping.«Mein Trainer hat mal aufgelistet, dass von den achtGoldmedaillengewinnern bei Olympischen Spielen undWeltmeisterschaften seit 1996 sechs irgendwann vor oder nach ihrenSiegen des Dopings überführt worden sind», sagt Bartels.
«Schwarze Schafe», meint Olympia-Mitfavorit John Godina. Derdreimalige Weltmeister ist Botschafter der US-Antidoping-Agentur.Nachdem sein Disziplinkollege Kevin Toth im Zuge des Balco-Skandalserwischt wurde und seine Karriere für beendet erklärt hat, erklärteGodina kürzlich bei den nationalen Titelkämpfen in Sacramento, dassdas Thema Doping «unverhältnismäßig aufgeblasen wird». Vize-Weltmeister Adam Nelson (ebenfalls USA) bedauert, «dass wirgrundsätzlich verdächtigt werden, weil wir groß sind und einenbreiten Nacken haben».
Weder Sanktionen noch gesundheitliche Risiken scheinen so manchenKugelstoßer davon abzuhalten, ein schmutziges Spiel zu spielen. Inder Antike mussten Sportler bei Bestechung hohe Strafgelder zahlen.Schon für Fehlstarts gab es Peitschenhiebe. Im Vergleich dazu kommendie gedopten Kugelstoßer heutzutage glimpflich davon.