Andreas Maier Andreas Maier: Es ist so schön in Klausens Klause
Halle/MZ. - Diesem Buch darf man auf keinen FallGlauben schenken. Kein Wort darin für bareMünze nehmen. Nichts findet sich zwischenden Buchdeckeln als Gerüchte und Mutmaßungen.Jeder Satz könnte wahr sein oder erlogen undkein Mittel gibt's, Wahrheit und Lüge voneinanderzu scheiden. Und so bleibt der, der sich dochauf dieses Buch einlässt, am Ende verunsichertzurück. Und ist trotzdem amüsiert, obwohler nicht erfahren hat, was tatsächlich geschehenist in Klausen.
Nur zwei Jahre nach seinem Erstling "Wäldchestag"legt Andreas Maier sein zweites Buch vor."Klausen" hat er es genannt nach dem SüdtirolerOrt an Brennerautobahn und Eisack, den AlbrechtDürer einst - wie kein Reiseführer für dieGegend zu erwähnen vergisst - in Kupfer gestochenhat. Bekannt wurde das Bild als "Das großeGlück", wovon in Maiers Klausen wenig gebliebenist, genau genommen gar nichts. Oder doch?Im Klitschentheater nämlich, wie die Gegendeinmal bezeichnet wird und von dem die Weltnichts mitbekommen hat, spielt jeder eineHauptrolle, und nicht nur Kati, die es zumFernsehen geschafft hat. Was ihre Mutter veranlasst,auf einem schäbigen Küchenstuhl sitzend, sichzu erniedrigen, auf dass Tochters Aufstiegzur Serienschauspielerin desto deutlicherwerde, beziehungsweise Josef Gasser, der ihrSohn ist, kundzutun, sie sei überzeugt, aucher werde eines Tages etwas leisten.
Gasser ist es, der dem "Klausen"-Leser gleichin Zeile drei des Romans begegnet. Das heißt,vermutlich, denn der Unterwirt, bei dem ereinen Wein trinkt und den bestellten Kalbskopfunangetastet lässt, kann später nicht mehrmit Sicherheit sagen, ob der Gast tatsächlichoder lediglich vermeintlich Josef Gasser gewesensei, der später, wie schon zu Beginn angedeutetwird, etwas mit dem Unglück zu tun haben könnte,das erst 200 Seiten später geschildert wirdund sich dann eher als Ereignis entpuppt dennals wahres Unglück.
Andeutungen, Mutmaßungen, Relativierungen -schon in in seinem Debütroman waren sie kennzeichnendfür Maiers Art des Erzählens: ein vielstimmigesGeschwätz in Schrift zu bannen, und zwar scheinbarmühelos, so mühelos, dass in "Wäldchestag"einem erst nach einigen Seiten Lektüre bewusstwurde: Hier erzählt jemand eine Geschichteaus der deutschen Provinz, aus Florstadt inder Wetterau (Mittelhessen), wo das Erscheineneines Südhessen schon Sensation macht, imKonjunktiv und ohne Absatz. Thomas Bernhardhabe ähnliches vorgemacht? Gewiss, allerdingsübler gelaunt.
Bei Maier indes hat die irrwitzige Banalitätdes Alltags vor allem komische Züge und bisweilensymphatische. Wieder wird ein - vermeintlich -überschaubares Provinzkaff zum Ort der Handlunggewählt, wieder treffen eine Unzahl Personenaufeinander, die oft genug aneinander vorbeireden.Und wieder verschwinden die Tatsachen hinterden Mutmaßungen. Wieder ist eine Kneipe wichtigerSchauplatz und wieder tauchen - sogar häufigernoch als in Florstadt - irritierende Fremdeauf.
Wieder hat Maier eine irrlichternde Geschichtegeschrieben, in der er den Leser mit Wonneauf Abwege lockt, das Unwesentliche in denMittelpunkt rückt und endlich gegen Ende desRomans für Stille in Klausen gesorgt hat:Der ansonsten lärmende Verkehr auf der Autobahnruht für Minuten und die Klausener - schweigen.
So kopiert Maier Maier, und zwar fraglos höchstgekonnt. Wer ihn zum ersten Male liest, dürftean "Klausen" deshalb erhebliches Vergnügenfinden. All jene aber, die "Wäldchestag" bereitskennen, sei empfohlen, auf Maiers hoffentlichdrittes Buch zu warten - oder seinen Erstlingwieder aus dem Bücherregal zu ziehen.
Andreas Maier: Klausen, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 200 Seiten, 18 Euro.