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Schwimmen Schwimmen: Die Ulrich-Zwillinge gehen getrennte Wege

Von Petra Szag 06.10.2015, 21:11
Hendrik Ulrich (links) ist eigens aus Leipzig herüber gekommen in die alte Heimat, um seinen Bruder Marek zu besuchen.
Hendrik Ulrich (links) ist eigens aus Leipzig herüber gekommen in die alte Heimat, um seinen Bruder Marek zu besuchen. Eckehard Schulz Lizenz

Halle - Die Sache mit dem Gleichschritt hat sich erledigt. Marek Ulrich hat sich jüngst den großen Zeh gebrochen. Wenn er also dieser Tage neben seinem Zwillingsbruder Hendrik läuft, wirkt er etwas unrund in den Bewegungen.

Die Sache mit dem Gleichschritt lässt sich aber auch im übertragenen Sinne verstehen. Die Wege der beiden Schwimm-Zwillinge vom SV Halle werden sich trennen. Im Wasser jedenfalls. „Ich habe mich entschlossen, mit dem Leistungssport aufzuhören“, erklärt Hendrik Ulrich. Und als er das sagt mit ruhiger Stimme, wirkt der 18-Jährige kein bisschen bedrückt. Fast kommt es erleichtert herüber.

Umzug nach Leipzig

Das Brüderpaar, von der Öffentlichkeit in den letzten Jahren nahezu immer im Doppelpack wahrgenommen, hat sich also voneinander abgenabelt. Der eine - Marek -, der im Sommer noch bei den Europaspielen in Baku mit seinem Bronzemedaillengewinn ein Erfolgserlebnis gefeiert hat, jagt weiter im Becken schnellen Zeiten nach. Der andere - Hendrik - krempelt gerade mit aller Konsequenz sein Leben um. Er trainiert nicht mehr am Bundesstützpunkt und wagt auch in der beruflichen Ausbildung einen Neuanfang - in Leipzig, losgelöst von seiner gewohnten Umgebung.

Der Einschnitt ist tief, keine Frage. Sicher auch schmerzhaft, und doch folgerichtig - zumindest für Hendrik Ulrich. „Nicht jeder wird schließlich ein Paul Biedermann oder Michael Phelps“, erklärt er. Das Schicksal teile er mit vielen anderen Talenten, die gefordert und gefördert werden - erst durch die Sportschule und dann durch eine aufs Training abgestimmte Berufsausbildung. Doch den Sprung ganz nach oben, sagt er, schaffen nur wenige.

Lange habe er mit sich gerungen, bekennt Hendrik Ulrich. Seit April hat er noch einmal versucht, Anschluss zu finden. Doch während sein Bruder für all die Trainingsmühen mit Bestzeiten belohnt wurde, wollte es bei ihm nicht mehr so recht vorwärts gehen.

Hendrik Ulrich weiß, dass das nicht allein auf die Zwangspausen wegen kleinerer Verletzungen oder Erkrankungen zurückzuführen ist. „Das war auch eine Kopfsache“, sagt er. An den fehlenden Erfolgserlebnissen hatte er schwer zu tragen. „Am Ende war ich nicht mehr ich selbst, habe keinen mehr an mich rangelassen.“ Nicht mal seinen Bruder, mit dem er doch immer ein Herz und eine Seele war.

Wie also nimmt Marek Ulrich den Entschluss auf? „Es war für mich schwierig, ihn so leiden zu sehen“, gibt er zu. Der Gang in die Trainingshalle allein sei ihm anfangs nicht leicht gefallen. Das galt auch für die Berufsausbildung. Schließlich hatten sie vorher fast alles gemeinsam gemacht. Selbst den Antrag, aufgrund der vielen Fehlzeiten durch Trainingslager und Wettkampfreisen in den letzten Monaten das zweite Lehrjahr ihrer Bürokaufmann-Ausbildung wiederholen zu können, stellten sie noch zusammen.

Und nun kommt alles doch ganz anders. „Hätte mir 2013 einer gesagt, dass ich zwei Jahre später aufhören würde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt“, sagt Hendrik Ulrich. Mit seinen 1:50,66 Minuten über 200 Meter Freistil war er schon als 16-Jähriger mit den besten deutschen Männern auf Tuchfühlung. „Olympia ist unser beider Ziel, vielleicht schon 2016, spätesten aber 2020“, hatten die Brüder da unisono verkündet.

EM 2016 als großes Ziel

Auch Marek Ulrich übt sich mittlerweile mehr in Zurückhaltung. Wenn er nächsten Sommer in Rio dabei sein will, das weiß er, muss er seine neue Bestzeit über 100 Meter Rücken von 54,99 Sekunden noch einmal gewaltig drücken, mindestens um eine Sekunde. Die EM im Mai in London gibt er deshalb vordergründig als sein Ziel an, alles andere sei Zugabe.

Nun hat auch noch die Fußverletzung seinen Saisonstart durcheinander gebracht. Ein Eck-Regal war ihm beim Möbelrücken während des Umzugs auf den Fuß gekracht. Seit mehr als vier Wochen muss er einen Spezialschuh tragen. Kraft und Ausdauer im Fitnessraum statt Kilometer schrubben im Becken war deshalb zuletzt angesagt. Jetzt hat der Arzt grünes Licht fürs Wassertraining gegeben, gerade noch rechtzeitig, denn in einer Woche geht es ins Höhencamp in die Sierra Nevada.

Spaß am Fitnesstraining und Boxen

Marek Ulrichs Umzug hatte natürlich seinen Grund in Hendriks Entscheidung. Dessen Ortswechsel nach Leipzig hieß, die gemeinsame Wohnung aufzugeben. Doch er hat die Entscheidung seines Bruders akzeptiert. Hendrik ist glücklich mit seiner neuen Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem Elektronikfachgeschäft. „Der Bürokaufmann war nicht mein Traumberuf. Doch die Ausbildung hat sich gut mit dem Training vereinbaren lassen“, erzählt Hendrik.

Und er findet nun im Boxen und Fitnesstraining seine sportliche Erfüllung. Dass es gut anschlägt, sieht man ihm an. 105 Kilo bringt der 1,96-Meter-Mann auf die Waage, das sind satte zehn Kilo mehr als sein drei Zentimeter größerer Bruder.

Nun gleichen sie sich nicht mehr wie ein Ei dem anderen. „Letztens hat mich doch tatsächlich jemand gefragt, woher ich Marek denn kenne“, erzählt Hendrik Ulrich augenzwinkernd.

Doch das sind nur Äußerlichkeiten. Innerlich fühlen sich die zwei noch immer verbunden. (mz)