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StudieRB Leipzig vermittelt neues ostdeutsches Selbstwertgefühl

Von Ullrich Kroemer 26.01.2017, 10:00
"Im Herzen der Stadt die Fahne gehisst, weil hier unsere Heimat ist" - unter diesem Motto zeigten die RB-Fans eine sehenswerte Choreographie.
"Im Herzen der Stadt die Fahne gehisst, weil hier unsere Heimat ist" - unter diesem Motto zeigten die RB-Fans eine sehenswerte Choreographie. imago sportfotodienst

Leipzig - Die gewaltige Fahne, die die aktiven Fans von RB Leipzig am Samstagabend kurz vor Anpfiff der Partie gegen Eintracht Frankfurt im Fanblock entrollten, ist auch als Statement zu verstehen. Abgebildet waren historischen Flaggen von Leipzig und Sachsen sowie eine rot-weiße RB-Fahne in der Hand des berittenen Schweden-Königs Gustav Adolf. Der fiel im Dreißigjährigen Krieg im sachsen-anhaltischen Lützen im Kampf gegen die kaiserlichen Truppen – und wurde auch im verbündeten Kurfürstentum als Märtyrer verehrt.

Darunter dichteten die Fans in Bezug auf die Stadionentscheidung: „Im Herzen der Stadt die Fahne gehisst, weil hier unsere Heimat ist.“

Das mag einem für ein Fußballspiel zwar etwas überladen vorkommen; doch die Anhänger des neuen Bundesligisten mögen es lokalpatriotisch – und bezogen auf die Leipziger Historie auch geschichtsbewusst. Die Liebe zu Messestadt und Umland ist zentrales Element der Fankultur von Rasenballsport.

Was macht RB Leipzig wertvoll für die Gesellschaft?

Warum der Reizklub überregional vielerorts skeptisch beäugt, abgelehnt, in Ultra-Szenen teils gehasst wurde und wird, lokal aber mittlerweile unumstritten ist, kann Professor Timo Meynhardt erklären. „Das 2009 gelandete Raumschiff RB entpuppte sich als etwas, was die Leipziger und die Menschen in Mitteldeutschland lieben gelernt haben und ein Stück weit für sich vereinnahmen in einer Weise, wie es in anderen Regionen nicht denkbar gewesen wäre“, sagt der Wirtschaftspsychologe von der renommierten Handelshochschule Leipzig (HHL).

Gemeinsam mit Mitarbeiter Eduard Frantz hat er in einer Studie den sogenannten Public Value von RB Leipzig erforscht – den Gemeinwohlbeitrag für die Gesellschaft. Also die Frage untersucht: Was macht RB Leipzig wertvoll für die Gesellschaft?

Dabei geht es weniger um konkrete Zahlen wie neu geschaffene Arbeitsplätze und Mehreinnahmen durch Steuern oder Ausgaben der Stadionbesucher. Vielmehr interessiert Meynhardt der ideelle Wert, den Rasenballsport für Leipzig, Mitteldeutschland und in Teilen gar für die gesamten neuen Bundesländer besitzt – nicht nur für das Portemonnaie der Einwohner, sondern auch für das eigene Selbstverständnis.

„RB Leipzig ist ein Motor des Gemeinwohls“, der die Sozialverhältnisse in der Region in Bewegung versetze und „unheimliche Kraft“ ausstrahle, sagt Meynhardt, „das ist ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges.“

"RB ist mehr als ein Tabellenplatz"

Der Bundesliga-Überraschungsklub bringe die Gesellschaft nicht nur voran, „sondern das geht viel tiefer. RB ist mehr als ein Tabellenplatz, RB spricht nicht nur den Bauch, sondern den kollektiven Unterleib der Region an.“ Oder anders: „RB Leipzig ist kein One-Night-Stand, keine Affäre“, sagt Meynhardt, sondern da wachse eine echte, tragfähige Beziehung zwischen den Menschen hier und dem Verein heran.

Ein von einer österreichischen Weltmarke ursprünglich zu Marketingzwecken installierter Fußballklub, den die RB-Anhänger aus Leipzig und Mitteldeutschland nicht nur rational absegnen, sondern emotional verehren?

Meynhardt sitzt in seinem Büro auf dem Gelände der sportwissenschaftlichen Fakultät – einst Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) – an der Jahnallee. Einst wurde hier für den DDR-Sport geforscht und gelehrt; heute erklärt ein Ostdeutscher – Meynhardt ist gebürtiger Rudolstädter – das Phänomen RB Leipzig. Dieser historische Bogen ist insofern relevant, als dass der Erfolg von RBL laut Meynhardt viel mit der ostdeutschen Vergangenheit seiner Fans zu tun hat.

Laut dem 44-Jährigen, erster ostdeutscher Professor an der HHL, vermittele RB Leipzig die zentrale Botschaft: „Der Osten kann wieder gewinnen.“ Mit dem Erfolg von RB Leipzig werde „ein ostdeutscher Traum“ wahr – der Red-Bull-Klub sei „Projektionsfläche“ für eigene Wünsche und Ziele, sagt Meynhardt. Unternehmerisches Kalkül sei auf das Leipziger Lebensgefühl mit einer seit je her starken, bürgerlichen Stadtgesellschaft getroffen, „die damit nicht nur etwas anzufangen weiß, sondern sich dadurch wieder gestärkt fühlt“.

24 Persönlichkeiten befragt

Die Fans des Tabellenzweiten könnten so auch ihre eigenen, durch die Wiedervereinigung entstandenen Identitätsdefizite kompensieren. „Das ist eine Art von Wundheilung, die Überwindung einer Opferkultur“, analysiert Meynhardt. Erfolgsfußball als Wunder-Medizin für ein über 25 Jahre währendes Unterlegenheits-Gefühls.

Für ihre Studie haben Meynhardt und Frantz 24 Wort- und Meinungsführer aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ausgewählt, die detailliert über RB Leipzig aussagefähig sind. Darunter sind Politiker wie Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, Funktionäre wie DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius, Unternehmer, Fanvertreter und leitende Angestellte von RB Leipzig sowie mit dem Klub befasste Journalisten, unter anderem der Autor. Aus den intensiven, ein- bis zweistündigen Befragungen ergab sich schließlich ein Mosaik der Ausprägung und Ursachen der regionalen Bindung zwischen den Menschen vor Ort und der neuen Fußballmacht.

Dominantester Wert dabei ist der Erfolg um (fast) jeden Preis. „Es gab in den letzten 20, 25 Jahren nicht so viele Erfolgsbeispiele, die den Menschen hier symbolisiert haben, dass man es auch mit eigenen Leistungen zu etwas bringen kann“, erklärt Meynhardt. „Die Region ist eben nicht erfolgsverwöhnt, es gibt zu wenige Vorbilder – auch in der Wirtschaft –, die dafür stehen, dass der Kapitalismus funktioniert“, argumentiert er. „Bei RB Leipzig trifft viel Geld auf fähige Leute, die etwas daraus machen – und das finden die Menschen attraktiv.“ Taten statt nur vieler Worte.

Die rigorose Art und Weise mit der der Klub dabei teilweise vorging, sei für viele regionale Anhänger nicht relevant. Eduard Frantz, der die Studie mit durchgeführt hat, glaubt, dass der „Kontrollzwang“, der den Klub umgibt sowie die „eher antidemokratischen Züge“ – rücksichtslose Kreativität heißt das in der Studie – viele Fans nicht störe, solange sie sich mitgenommen fühlten und der Klub ihre Liebe erwidere. Etwa durch direkte Ansprachen und Diskussion von Fan- und Vereinsbelangen auf Augenhöhe.

Mehr Bekenntnis zur Region

Meynhardt und Kollegen haben ihre Erkenntnisse den Leipziger Funktionären präsentiert und beraten RBL weiterhin. „Wichtig ist, dass RB sich positiv zu seiner Rolle und Funktion in der Region einstellt, bekennt und das auch öffentlich macht“, sagt Meynhardt.

„Da wünschten wir uns vonseiten des Klubs noch mehr Mut.“ Denn noch sei der komplett von Westdeutschen geführte Verein im Osten „nicht parkettsicher“, sagt Meynhardt. „Diese Sicherheit muss sich der Verein erst noch erarbeiten.“