RB Leipzig RB Leipzig: Die Analyse des Scheiterns

Leipzig - Thierry Henry stand in den Katakomben der Leipziger Arena und schaute irritiert drein. Der Welt- und Europameister aus Frankreich war von RB Leipzig vor Wochen gebucht worden, um den RB-Kickern im möglichen Aufstiegs-Endspurt eine Extramotivation zu geben. Doch die „Roten Bullen“ spielten im vorletzten Heimspiel der Saison gegen den SV Sandhausen nicht etwa beflügelt, sondern wie gelähmt. So wurde Thierry Henry Augenzeuge der höchsten Niederlage in der Ära von Sportdirektor Ralf Rangnick.
Hilf- und kopfloser hatte sich RB Leipzig seit Rangnicks Amtsantritt im Sommer 2012 nicht präsentiert. So wurde der Motivationstrick angesichts der desolaten 0:4-Pleite gegen Sandhausen zur deplatzierten Lachnummer. Nur die euphorischen Sandhausener Spieler fragten sich ungläubig, ob ihnen da tatsächlich gerade Thierry Henry im Kabinengang entgegengekommen war.
Es läuft dieser Tage wahrlich nicht wie geplant beim Leipziger Klub. Vor dem Saison-Endspurt hatte Rangnick noch selbstbewusst und hoffnungsfroh verkündet, die letzten vier Spiele allesamt gewinnen zu wollen. „Wenn wir tatsächlich noch die kleine Chance auf den Aufstieg nutzen wollen, müssen wir voll punkten“, hatte der Schwabe gefordert. Doch die Euphorie hielt nur einen Spieltag lang an. Bei Abstiegskandidat FC St. Pauli unterlagen die Leipziger weitgehend wehrlos mit 0:1 – der Traum vom Durchmarsch war endgültig ausgeträumt.
So musste sich Rangnick plötzlich nicht mehr mit möglichen Aufstiegschancen beschäftigen, sondern mit der Analyse des Scheiterns. Denn während das peinliche 0:4 gegen Sandhausen laut Sportdirektor ein „Negativausrutscher“ war, ist die Pleite bei Pauli symptomatisch für die fehlende Aufstiegsreife des millionenschweren Leipziger Teams.
Extrem auswärtsschwach
Da ist vor allem die fehlende Präsenz in der Fremde. Gerade elf Tore hat RB in dieser Spielzeit auswärts geschossen und nur drei Siege geholt. Ein Auswärtspunkt im Schnitt ist zu wenig, um im Aufstiegskampf mitzumischen. Warum das so ist, versuchen Rangnick und Interimstrainer Achim Beierlorzer dieser Tage zu analysieren. Der Sportdirektor sieht dabei auch ein „Kopfproblem“ seines Teams. Gegen Pauli habe nicht etwa der abstiegsbedrohte Gastgeber, sondern RB so gespielt, „als würden wir in Abstiegsgefahr schweben“. Auf fremden Plätzen lässt sich RB zu leicht den Schneid abkaufen und findet nicht zu seinem laufintensiven Gegenpressing-Spiel. Gegen Pauli hatte Trainer Beierlorzer seine Spieler aufgefordert, wie ein Hornissenschwarm aufzutreten. „Bestenfalls habe ich brave Schmetterlinge gesehen“, sagte Rangnick.
Warum auch über die Führungsstärke des Personals diskutiert wird und welcher Grund noch für das aus im Aufstiegskampf genannt wird, lesen Sie auf Seite 2.
So wird bei RB Leipzig auch über Führungsstärke des Personals diskutiert. „Wir müssen erzeugen, dass es Leader auf dem Platz gibt, die das unbedingte Sieger-Gen haben und die anderen mitreißen“, sagte Achim Beierlorzer.
Ein dritter maßgeblicher Grund für das Aus im Aufstiegskampf ist die Flaute der Neuzugänge. Die wird vor allem an den Stürmern Emil Forsberg und Omer Damari festgemacht, die im Winter nach Leipzig kamen. Beide deuteten ihre Klasse bislang nur an, haben noch keinen Treffer in der Liga erzielt. Ebenso wie der Kroate Ante Rebic, bei dem sich Rangnick völlig verspekuliert hat. Etliche altgediente Spieler wie Kapitän Daniel Frahn, Sebastian Heidinger oder Niklas Hoheneder bekommen unter Beierlorzer kaum Einsatzzeiten.
Diese Gesamtkonstellation hat eine Unwucht im Kader bewirkt. „Wir stehen in dieser Saison im Umbruch, es müssen viele Spieler integriert werden. Das hat auch ein wenig den Verlust des Mannschaftsgefüges zur Folge“, gibt Beierlorzer zu.
Nun will Rangnick in der kommenden Saison Lösungen entwickeln, dass RB so spielerisch dominant auftritt wie zuletzt bei vielen Heimspielen. Ob Achim Beierlorzer dafür verantwortlich sein wird, ist noch immer unklar. Dass Rangnick trotz der inzwischen geklärten Tabellensituation so lange in der Trainerfrage zögert, stärkt die Position von Interimscoach Beierlorzer nicht gerade. Nachdem Rangnick in der vergangenen Woche immerhin verkündete, dass er den Job nicht selbst übernehmen wolle, fahndet er offensichtlich noch immer nach einem Chefcoach, der mehr Erfahrung mitbringt als Beierlorzer.
Ähnlich wie bei Star-Neuzugang Davie Selke will Rangnick wohl am liebsten einen Trainer präsentieren, der neben passendem Stil und Philosophie auch Strahlkraft für das Aufstiegsprojekt mitbringt. Die Schmach gegen Sandhausen solle zwar nicht mit in die Trainerfindung einbezogen werden. Doch neben Thierry Henry wirkte auch Achim Beierlorzer enttäuscht und ungewohnt ratlos ob des Auftritts seines Teams. „Ich kann mir das nicht erklären“, sagte der 47-Jährige und verschwand in der Kabine.
Rangnick übte sich derweil an wortgewaltigen Vergleichen: Die „mental und körperlich müden“ Spieler hätten gewirkt, als kämen sie gerade aus einem „Militärcamp“. Oder: „Wir waren heute ein Papiertiger auf dem Platz. Wir hatten keine Wettbewerbsfähigkeit.“
Nach einem Plädoyer für Achim Beierlorzer klang das nun wirklich nicht. (mz)
