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Pro und Contra zur Debatte um Trainer Hasenhüttl Pro und Contra zur Debatte um Trainer Hasenhüttl: Spielt RB unter seinen Möglichkeiten?

Von Martin Henkel und Ullrich Kroemer 14.03.2018, 05:00

Leipzig - Die Ergebnisse? Schwach. Die Leistungen? Auch. RB Leipzig hat in den letzten vier Bundesliga-Spielen nur drei Tore geschossen und nur zwei Punkte geholt. Zuletzt gab es am Sonntag ein maues 0:0 beim VfB Stuttgart. RB verliert die Champions-League-Plätze immer mehr aus den Augen.

Zeit also für klare Worte? Nicht, wenn es nach Trainer Ralph Hasenhüttl geht.

Er bewertete die Leistung in Stuttgart als „sehr kontrollierten und souveränen Auftritt“. Überhaupt verweigert sich Hasenhüttl der Verpflichtung, RB wieder in die Königsklasse zu führen, verweist auf das schwere zweite Jahr und wünscht sich mehr Respekt für das Erreichte.

Aber hat der Trainer damit recht? Die RB-Reporter der MZ sind sich bei dieser Frage nicht einig. Ein Pro und Contra:

Pro: Martin Henkel glaubt, dass mit dem aktuellen Kader nicht mehr möglich ist.

Ralph Hasenhüttl hat Montagmittag das Spiel seiner Mannschaft beim VfB Stuttgart verteidigt. Es war ein 0:0 von der Art, dass es unter normalen Umständen in ein paar Tagen keinen mehr groß interessieren wird. Aber was ist schon noch normal bei RB Leipzig?

RB Leipzig spielt am Sonntag gegen den FC Bayern

Die unansehnliche Partie reiht sich ein in eine Serie von Spielen, die den Vorjahres-Vizemeister immer weiter von seinem Ziel fortbringen, sich wie im Vorjahr auch in dieser Saison für die Champions League zu qualifizieren.

Vier Punkte sind es jetzt schon auf die Königsklassen-Plätze und Sonntag kommt der FC Bayern. Wer wollte beschwören, dass es für die Sachsen nach dieser Partie nicht sieben Punkte Abstand sind.

Für Hasenhüttl wird es langsam eng. Seit Monaten schon muss sich der Cheftrainer der Leipziger mit dem Vorwurf herumschlagen, aus seinem Kader nicht das Maximum herauszuholen. Und das bei all dem Talent im Team!

Hier die Alteingesessenen: Guineas Nationalspieler Naby Keita, Österreichs Nationalspieler Marcel Sabitzer, Schwedens Nationalspieler Emil Forsberg, die deutschen Nationalspieler Timo Werner und Marcel Halstenberg, Dänemarks Nationalspieler Yussuf Poulsen.

Und dort: die Sommer-Zugänge, Portugals Nationalspieler Bruma, der Jungfranzose (gerade kein Nationalspieler) Jean-Kévin Augustin, der englische Nachwuchsnationalspieler Ademola Lookman.

Für Ralf Ragnick ist die Champions League das Ziel

Das muss doch reichen! – ist die Grundannahme, auf der die ganze Kritik an Hasenhüttl blüht und wächst. Außerhalb bei Fans, Experten, Berichterstattern. Und intern wohl auch, legt man den Ehrgeiz von Sportdirektor Ralf Rangnick als Maßstab an sowie die Aussage von Klubchef Oliver Mintzlaff, die Champions League sei das Saisonziel.

Nur, ist das wirklich so?

Betrachtet man sich den Kader unter der Lupe, ist der Europapokal keineswegs Pflicht, wie es den angeblichen Anschein hat. Keeper Peter Gulacsi etwa ist auf der Linie ein As, beim Herauslaufen aber Durchschnitt, womit der Ungar nicht frei ist von Schuld an der Handvoll Gegentore, die sich RB nach ruhenden Bällen eingefangen hat.

Lukas Klostermann und Bernardo haben Schwächen

Für Lukas Klostermann und Bernardo gilt dasselbe, beide sind im Rückwärtsgang gediegen und nach vorn kaum besser als ihre Kollegen aus den unteren Tabellenregionen. Oder wann hat es das diese Saison gegeben, ein Leipziger Tor nach Hereingabe über die linke oder rechte Flanke?

RB-Mittelfeldspieler Konrad Laimer ist anfällig

Mit Halstenberg kann Hasenhüttl das nicht auffangen, der ist kreuzbandverletzt, und mit dem eigentlichen Mittelfeldspieler Konrad Laimer auch nicht. Der ist zwar in der Vorwärtsbewegung gefährlich, so allerdings auch nach hinten anfällig.

Keita aber, der kann es doch, nicht wahr?! Kann er, aber was soll Hasenhüttl an Maximum aus einem Spieler herausholen, der schon vor der Saison verkauft wurde?

Schüsselspieler Forsberg und Sabitzer fehlten

Blieben noch Forsberg und Sabitzer. Spieler also, die so unersetzbar sind, dass jeder Ausfall kaum zu kompensieren ist - und auch nicht war, als beide sich in den Krankenstand verabschiedeten. Sabitzer Ende des Jahres, während dieser Zeit gewann RB von fünf Ligaspielen eines. Forsberg erwischte es ebenfalls, acht Partien war er unlängst im Krankenstand, Leipzig gewann davon drei.

Nationalspieler Timo Werner hat Stärke eingebüßt

Die Punkte fehlen jetzt, aber Hasenhüttl kann das kaum so verwerten, dass es nicht an ihm haften bleibt. Denn er hat doch noch Werner, den deutschen Überflieger, Sommer-Shootingstar und WM-gesetzter Stürmer, der allerdings von den zwei Stärken seines Spiels – Tempo und Nervenkälte – die eine eingebüßt hat, seit viele Gegner durch tiefstehende Fünferketten keine Räume mehr für seine Sprints anbieten.

Die zweite Qualität hat darunter ebenfalls gelitten, was auch kein Augustin ausgleichen kann, der in der Vorsaison ganze zehn Spiele für Paris St. Germain absolvierte und nur eines davon von Beginn an. Auch nicht Bruma, der vor kurzem gestand, dass ihm Fünferketten bis dato unbekannt waren, und schon gar nicht Lookman, der bestimmt vieles ist, von dem, was man ihm zugutehält – eines Tages.

Gegner wie VfB Stuttgart mit destruktiver Taktik

So ist dieser Leipziger Kader bestückt, der nicht mehr getragen wird von einer Woge des Aufstiegs und der Erfolge, der doppelbelastet ist durch Liga und Europapokal, dem sich viele Gegner wie der VfB Stuttgart mit Achtziger-Jahre-Taktiken entgegenstellen, die in der Geschichte wahlweise unter „Kick and Rush“ und „Catenaccio“ firmieren, und der  – was will man machen – in Einzelfällen vielleicht auch nicht mehr ganz bei der Sache ist, weil Spieler wie Forsberg und Sabitzer davon profitieren würden, wenn RB nicht in den Europapokal käme. Sie hätten guten Grund zu gehen.

Hasenhüttl ist trotzdem nicht raus aus der Nummer. Nur Wollen ist das Eine. Können ein anderes, und Können mit diesem Kader – da verhält es sich wie mit der alten italienischen Weisheit: Aus einer Rübe kann man kein Blut pressen!

Contra: Ullrich Kroemer findet, dass es sich Hasenhüttl zu einfach macht.

RB Leipzig befindet sich schon die gesamte Saison über im Zwiespalt. Auf vielerlei Ebenen müssen Klub und Team im aktuellen Entwicklungsstadium für Entwicklung und Perspektive grundsätzliche Fragen beantworten: Legt das Team mehr Wert auf den Europapokal oder auf die Bundesliga? Ist dominanter Ballbesitz-Fußball der Schlüssel zum Erfolg, mit dem sich die Mannschaft oft schwertut, oder rudert man lieber taktisch clever zurück, um sich wieder stärker der Waffe Balleroberungs- und Umschaltfußball zu bedienen?

Wie viel Rotation ist angesichts von englischen Wochen am Fließband nötig und wie viele Personalwechsel bremsen Spielfluss und Automatismen? Verfolgen noch alle Spieler das gemeinsame Teamziel oder gibt es welche, deren Interessen über denen der Mannschaft stehen? Befindet sich Rasenballsport auf dem Weg zum Spitzenklub mit Titelambitionen oder mutiert der Entwicklungsklub zum Verkaufsverein? Und überhaupt: Was ist in der zweiten Bundesliga-Saison ein Erfolg, beziehungsweise: Was fühlt sich auch nach einem Erfolg an?

Ralph Hasenhüttl: RB hat viel erreicht in der Saison

Trainer Ralph Hasenhüttl plädiert medial ebenso wie in klubinternen Debatten vehement dafür, das bisher Erreichte richtig einzuordnen und zu schätzen – auch wenn es im Vergleich mit der überragenden Vorsaison nicht standhalten kann. Tenor des Trainers: Betrachtet man die Spielzeit unter der Prämisse des Lernens, hat RB bereits jetzt viel erreicht in dieser Saison. Ein 1:2 gegen Köln oder ein 0:0 beim VfB Stuttgart muss man aushalten können, so die Denke des Trainers, wenn man es ernst meint mit dem Markenkern des Klubs, junge Spieler entwickeln zu wollen.

Da RB gerade aus den Europapokalrängen zu rutschen droht, stellt sich acht Spieltage vor Schluss die Frage: Ist Hasenhüttls Verweigerungshaltung, den Kampf um die erneute Champions-League-Teilnahme formulieren zu wollen, förderlich, um Druck vom Team zu nehmen, oder fahrlässig für Ziele und Entwicklung von RB?

Können Star-Spieler ohne Champions League gehalten werden?

Schließlich geht es um nicht weniger als die Perspektive, dank der Droge Champions League im kommenden Jahr eventuell Spieler wie Emil Forsberg, Timo Werner und Marcel Sabitzer halten zu können und neue Jungstars nach Leipzig zu locken, um sich dauerhaft in der „Königsklasse” festzusetzen.  

Nun ist es keineswegs das Ansinnen, das junge Team mit unverhältnismäßigen öffentlichen Ansprüchen zu beladen, denen es aktuell gar nicht gerecht werden kann. Doch in den jüngsten Europapokalspielen sowie in der Liga gegen Schalke, Augsburg oder auch Mönchengladbach, als RB nicht nur einen Lucky Punch setzte, sondern in der zweiten Hälfte deutlich mehr Offensivdruck und Wucht entwickelte als gegen Stuttgart, gute Balance im Spiel hatte und taktisch clever agierte, hat das Team bewiesen, wozu es zu leisten im Stande ist.

Konkurrenten wie Schalke oder der BVB schwächeln

Dazu bekleckert sich die Konkurrenz in diesen Wochen keineswegs mit Ruhm: Schalke agiert effizient, aber bieder. Frankfurt surft als Überraschungsteam der Saison auf einer Erfolgswelle, die eigentlich zu hoch für den Entwicklungsstand des Teams ist. Und Dortmund hatte in dieser Saison mehr mit sich selbst und seiner Sinnkrise zu tun als mit den Gegnern.

Bis auf Leverkusen, das aufgrund der Qualität des Kaders und der Konstanz völlig logisch vor RB steht, sind das allessamt keine Mannschaften, die vor den Leipzigern rangieren müssten.

So dürfte Hasenhüttl die enttäuschende Leistung gegen Stuttgart ruhig auch als enttäuschend benennen, anstatt dem Team den uninspirierten Vortrag als „kontrollierten und souveränen Auftritt” durchgehen zu lassen. Der Österreicher rechtfertigte sich am Montag, dass er sich schützend vor seine Truppe stellen werde, solange er das Gefühl habe, dass das Team alles aus sich heraushole, was es im Tank habe. Doch war das gegen Stuttgart oder Köln tatsächlich der Fall? Hat jeder auf dem Platz alles, wirklich alles gegeben, um Siege für die Champions-League-Qualifikation zu erarbeiten?

Kapitän Willi Orban äußerte sich kritischer als der Trainer

Selbst einige Führungsspieler wie Kapitän Willi Orban hatten ebenso wie viele Fans und Beobachter nicht das Gefühl. Orban oder auch Demme äußerten sich nach der Partie kritischer als es der Trainer tat.

Hasenhüttl antwortete nur, er werde seinen Spielern dabei helfen, die Saison richtig einzuordnen – aus seiner Perspektive. Dabei wäre es an ihm – so, wie man das normalerweise von ihm kennt –, die Schwachstellen präzise zu benennen (auch öffentlich), seinen Spielern Lösungsmöglichkeiten für die Offensivratlosigkeit an die Hand zu geben statt Alibis und die Kicker für die Schlussphase der Saison einzuschwören.

Ralph Hasenhüttl macht es sich zu einfach

Mit dem ständigen Verweis auf das schwere zweite und zähe Bundesliga-Jahr macht es der Trainer sich und dem Team allerdings gerade zu einfach, die auch in dieser Spielzeit durchaus realistische Chance auf die Champions League zu verpassen. Es wäre vielmehr genau jetzt die richtige Zeit, das bisher unter anderem gegen europäische Topgegner Gelernte, auch vom Team einzufordern, ohne es zu überfordern.

Dazu braucht das Team freilich konkrete taktische Vorgaben, klare Struktur sowie funktionierende Automatismen durch das Trainerteam.

Dass das auch eine Frage der Motivation ist, zeigt die Tatsache, dass die Europa League anders als die Pflichtaufgaben in der Bundesliga gerade bei Spielern und Trainer noch jenes Feuer entfachen, das sie im vergangenen Jahr in der Liga entzündet haben. Eine Saison im Zwiespalt eben. (mz)