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FC Bayern vs. RB Leipzig FC Bayern vs. RB Leipzig: Taktik-Professor Memmert: "Duell der Gegensätze"

21.12.2016, 10:01

Leipzig/Köln - Professor Daniel Memmert beschäftigt sich an der Deutschen Sport-Hochschule Köln (DSHS) sowohl mit Taktik als auch mit Sportpsychologie im Fußball. Im Gespräch mit der MZ erklärt der Sportwissenschaftler, welche Strategie er von Leipzig und Bayern erwartet, wie er die Ausgangslager aus mentaler Sicht bewertet und weshalb das Topduell zwischen Rekordmeister und Rekordaufsteiger eine Partie der Gegensätze ist.

Herr Professor Memmert, erkennen Sie irgendeinen Grund, der dafür spricht, dass sich RB Leipzig in München von seiner bislang so erfolgreichen Spielphilosophie abbringen lässt?
Prof. Daniel Memmert: Nein. Leipzig spielt sein gewohntes 4-2-2-2, wird wie gehabt früh angreifen, in der eigenen Hälfte mit hoch stehender Viererkette verteidigen, um nach Balleroberungen rasant und bisweilen chaotisch in die Spitze umzuschalten. Darauf haben sie Bock, das beherrschen sie perfekt. Darüberhinaus haben Ralf Rangnick und Ralph Hasenhüttl die Aufgabe aus motivationaler Sicht sehr gut vorbereitet.

Inwiefern?
Memmert: Die Spieler werden sich unfassbar auf dieses Match freuen. Es ist für sie der Höhepunkt der Hinrunde, so etwas wie ein Endspiel für die Leipziger. RB Leipzig wird alles raushauen, das wird man sehen. Wenn nötig, werden sie 95 Minuten laufen und kämpfen. Die große Frage ist, wie effektiv sie vor dem Tor sein können.

Wie betrachten Sie die psychologische Ausgangssituation für die Münchner?
Memmert: Die Erwartungshaltung beim FC Bayern ist völlig konträr zu der der Leipziger. Alle Verantwortlichen haben der Mannschaft signalisiert, dass sie in diesem Heimspiel gewinnen und die Tabellenführung verteidigen muss. Das ist eine klare Pflichtaufgabe.

Welche Lösungen hat der FC Bayern gegen das Leipziger Pressing-Gegenpressing anzubieten?
Memmert: Die Münchner wissen genau, dass sie in dieser Saison gegen Mannschaften, die aggressiv gepresst haben, nicht gut ausgesehen haben: Hoffenheim – unentschieden, Dortmund – verloren, Leverkusen – glücklich gewonnen. Die Bayern haben in dieser Saison noch nicht erkennen lassen, welche Lösungen sie gegen extremen Druck gegen ihr Aufbauspiel parat haben. Nur mit Chipbällen über den Leipziger Pressingverbund hinweg zu agieren, entspräche nicht dem Münchner Ballbesitzspiel, das Ancelotti angekündigt hat.

Können Sie eine Handschrift von Ancelotti erkennen? Was macht Bayern München unter dem Italiener aus?
Memmert: Ich sehe leider noch keine Handschrift von Ancelotti. Falls er eine Idee hat, hat er sie noch nicht ausreichend vermitteln können. Die Spieler äußern sich ja auch nicht gerade euphorisch.

Was vermissen Sie am Spiel des FC Bayern unter Trainer Ancelotti?
Memmert: Das Positionsspiel, aus dem die schnellen vertikalen Bälle oder die klaren Eins-gegen-Eins-Situationen der schnellen Außenbahnspieler entstehen, ist nicht mehr so klar wie noch unter Pep Guardiola. Somit leidet das Ballbesitzspiel, wodurch ich auch keine klaren Laufwege und eintrainierte Passkombinationen sehe, um Raumkontrolle in den gefährlichen Bereichen zu generieren. Auch die Rolle der Außenverteidiger, die unter Pep extrem wichtig war, scheint an Bedeutung verloren zu haben.

Wie also kann sich der FC Bayern dem Leipziger Druck entziehen?
Memmert: Matchplan von München kann es sein, die individuelle Überlegenheit im Eins-gegen-Eins auszuspielen. Sie sind auf nahezu jeder Position stärker besetzt, dann müssen sie beispielsweise Arjen Robben möglichst oft in Eins-gegen-Eins-Situationen gegen den Außenverteidiger bringen. Es ist für die Münchner sehr wichtig, dass Robben dabei ist. Übrigens: Aus meiner Sicht ist dieses Spiel ein Duell der Gegensätze.

Inwiefern?
Memmert: Ich sehe vor allem drei konträre Punkte zwischen Bayern und Leipzig. Erstens: Der individuellen Stärke und dem auf individuelle Qualität ausgelegten Spiel der Münchner begegnen die Leipziger als Kollektiv im Team. In diesem Spiel tritt das System Kollektivfußball gegen Individualfußball an. Zweitens: Bayern München agiert mit extrem viel Ballbesitz in dieser Saison, baut eher langsam bedächtig auf. Leipzig dagegen spielt wenn möglich Hochgeschwindigkeits-Fußball durch schnelles Umschalten. Und drittens: die bereits angesprochene motivationale Ausgangslage. Leipzig kann die Herausforderung als Hoffnungsaufgabe betrachten, für München ist es ein Muss zu gewinnen. All das macht diese Partie zu einer höchst spannenden mit völlig offenem Ausgang.

Professor Daniel Memmert leitet das Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Sportspielforschung, hier geht es um Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz und Motivation. Er besitzt Trainerlizenzen in den Sportarten Fußball, Tennis, Snowboard sowie Ski-Alpin und ist Autor von zahlreichen Fußballbüchern ("Der Fußball. Die Wahrheit. Fußballspiele werden im Kopf entschieden"). Seine neuesten, populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen sind „Revolution im Profifußball. Mit Big Data zur Spielanalyse 4.0“ sowie „Elfmeter. Die Psychologie des Strafstoßes“. Sein Institut kooperiert mit verschiedenen Fußball-Bundesligisten, der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft sowie DAX-Unternehmen und organisiert den ersten internationalen Weiterbildungs-Masterstudiengang „Spielanalyse“.   (mz)