1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Leichtathletik in Sachsen-Anhalt: Leichtathletik in Sachsen-Anhalt: Wolfgang Kühne ist der Zen-Meister

Leichtathletik in Sachsen-Anhalt Leichtathletik in Sachsen-Anhalt: Wolfgang Kühne ist der Zen-Meister

Von Christoph Karpe 30.12.2015, 20:59
Wolfgang Kühne bei der WM in Peking: Der Trainer möchte am liebsten mitspringen.
Wolfgang Kühne bei der WM in Peking: Der Trainer möchte am liebsten mitspringen. Imago Lizenz

Halle - Zen ist einfach nur ein Weg. Ein Weg zum wahren Kern eines jeden Menschen, zu seinem ureigensten Selbst. Diese kleine Definition hat Thorsten Margis wohl im Kopf, jetzt da er auf der Hochsprung-Matte in der Sporthalle Brandberge sitzt, kurz überlegt und dann über seinen Trainer voller Hochachtung sagt: „Er ist der Zen Master.“ Gemeint ist Wolfgang Kühne. „Er schafft es auf den Punkt, die Stärken eines jeden Sportlers zu formen, Spitzenleistungen herauszukitzeln“, präzisiert Margis, der Bob-Anschieber, seine Master-These.

Neben ihm sitzt Cindy Roleder, ihres Zeichens Hürdensprinterin sowie Siebenkämpferin, und nickt. „Er mixt in seinem Training perfekt Althergebrachtes mit hochmodernen Einflüssen. Er setzt viel auf Eigenverantwortung, lässt uns Sportlern viel Freiraum. Das zeugt von Vertrauen“, sagt die Leipzigerin, die vor zwei Jahren nach Halle in die Kühne-Trainingsgruppe gewechselt war, weil sie in ihrer Spezialdisziplin stagnierte. Sie suchte neue Reize im Mehrkampf und ist inzwischen über die Hürden so schnell wie nie: 12,59 Sekunden. Dazu knackte sie im Siebenkampf in diesem Jahr die 6 000-Punkte-Marke. Immerhin. „Seine Kompetenz, Erfahrung und Gelassenheit sind unglaublich“, fügt die 26-Jährige noch an.

Kühne, über den da voller Inbrunst gelobhudelt wird, steht in dieser kurzen Trainingspause gerade etwas abseits. Große Worte über ihn sind dem 59-Jährigen sichtlich unangenehm. „Ich mag es nicht, im Mittelpunkt zu stehen“, sagt er. „Dort gehören die Athleten hin.“ Reden über sich selbst? Will er nicht. Nur zögerlich gibt er kleine Randepisoden preis: Dass Kater Willy, den er einst aus dem Tierheim holte, gerade richtig krank ist. Und dass sein so großes wie altes Auto nun weit über 200 000 Kilometer auf dem Tacho hat, zwar immer noch gut fährt, aber es jetzt langsam mal ein neues werden könnte. „Vielleicht findet sich ja ein Sponsor“, sagt er lachend.

Zwei Medaillen in Peking

Wenn er nur ungern redet - hier die Erfolge seiner Fünfer-Trainings-Gruppe in diesem zu Ende gehenden Jahr: drei WM-Medaillen. Thorsten Margis, der einst Zehnkampf bei Kühne trainierte und sich heute immer noch unter seiner Anleitung in Form bringt, wurde als Bobfahrer und Anschieber von Pilot Francesco Friedrich erster Weltmeister in diesem Metier aus Halle. Gleich vier Kühne-Athleten starten in diesem Jahr bei den Welttitelkämpfen in Peking: Cindy Roleder gewann sensationell Hürden-Silber. Rico Freimuth eroberte im Wettkampf seines Lebens Zehnkampf-Bronze. Michael Schrader gelang nach langwierigen Verletzungen ein unglaubliches Comeback. Nach dem Wechsel aus Leverkusen zu Kühne vor drei Jahren wurde er 2013 Vizeweltmeister der Zehnkämpfer, diesmal Siebter. Siebenkämpferin Jennifer Oeser kam nach ihrer Babypause im „Vogelnest“ der chinesischen Hauptstadt auf dem zehnten Rang ein. Kein Leichtathletik-Trainer kann deutschlandweit mehr Erfolge vorweisen. Nicht zuletzt deshalb wurde Wolfgang Kühne in Sachsen-Anhalt zum „Trainer des Jahres“ gekürt. Und im Vorausblick: Alle vier Leichtathleten sind deutsche Hoffnungsträger, wenn es im kommenden Jahr nach Rio geht.

„Wolfgang Kühne ist es zu verdanken, dass Halles Leichtathletik wieder einen exzellenten Ruf hat“, freut sich Hardy Gnewuch, der Leiter des Olympiastützpunktes in Halle. Vor allem wegen Kühne setzt man hier neben den Wurfdisziplinen zuvorderst auf den Mehrkampf, der an der Saale Tradition hat.

Natürlich lockt inzwischen allein die Aussicht, einmal unter Kühne zu trainieren, zahlreiche Athleten an. Roleder, Oeser, Schrader kam schon. Einst hat auch Pascal Behrenbruch, der Zehnkampf-Europameister von 2012, dessen Karriere inzwischen einen steten Abwärtstrend zeigt, angefragt. „Doch für mehr Sportler ist in der Gruppe einfach kein Platz. Ich will schließlich niemanden vernachlässigen“, sagt Wolfgang Kühne, der ja auch verantwortlicher Bundestrainer für die deutschen Siebenkämpferinnen ist.

Der Mehrkampf bestimmt sein Leben seit dem 13. Lebensjahr. Vizemeister der DDR war Wolfgang Kühne 1979, über 8 000 Punkte hat er einst selbst als Zehnkämpfer geschafft. Er weiß, welche Schinderei vor jedem Erfolg steht. Als Coach betreute er früher Siebenkämpferin Astrid Retzke, die es zu den Olympischen Spielen nach Sydney 2000 schaffte. Oder auch die Zehnkämpfer Sebastian Knabe und Norman Müller, den zweifachen WM-Starter (2007 und 2009). Marc, einer von zwei Kühne-Söhnen, wurde bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin Fünfter im Zweierbob und Team-Weltmeister.

Ganz speziell ist Kühnes Beziehung zu Rico Freimuth (27), den er inzwischen seit fast zwölf Jahren trainiert. Er bekam den einstigen Hallodri mit jeder Menge Fingerspitzengefühl und Engelsgeduld in die Spur. Er zeigte dem jungen Heißsporn den Weg zum Erfolg, sozusagen als Zen Meister. Kein Wunder also, dass Freimuth gern die lauteste Stimme bei den Sängern von Lobeshymnen übernimmt. „Was ich bin, verdanke ich Herrn Kühne. Ohne ihn hätte ich niemals eine WM-Medaille gewonnen“, sagt Freimuth, der in Moskau 8 561 Punkte schaffte und vor wenigen Wochen zu Sachsen-Anhalts Sportler des Jahres gekürt wurde. Freimuth erinnerte sich schon während der WM: „Ich habe mit ungefähr 6 000 Punkten im Jugendbereich bei ihm angefangen. Er hat mich menschlich geformt, er hat mich körperlich geformt, ich bin seine Ziehpflanze“, sagte er da. „Das ist wie eine Vater-Sohn-Beziehung. Wir haben uns gehasst, wir haben uns geliebt. Ich freue mich, dass ich ihm etwas wiedergeben konnte. Ein schönes Gefühl“, meinte er voller Dankbarkeit.

Roleder hat am meisten überrascht

Für Kühne kam die Bronzemedaille seines Ziehsohns allerdings im Rückblick keineswegs überraschend daher. „Rico hat über Jahre hinweg immer Leistungen über 8 300 Punkte abgeliefert. So konstant war niemand sonst. Ich wusste, dass der Tag kommen würde, an dem er dran ist. In Peking war er dran“, sagt der Coach. Als sensationell dagegen stuft er Roleders Silber ein: „Das konnte niemand erwarten, auch ich nicht. So einen Lauf zu wiederholen, wird schwer. Könnte sie in Rio das olympische Finale erreichen, wäre schon das großartig“, meint Kühne.

Bis dahin wird er sich wieder jede Menge Gedanken machen und Zeit investieren, wie er seinen Athleten den Weg zeigen kann, damit sie auf den Punkt genau am Tag X ihr Bestes zeigen können. (mz)

Vier von fünf: Rico Freimuth, Thorsten Margis, Michael Schrader und Jennifer Oeser (v. l.)
Vier von fünf: Rico Freimuth, Thorsten Margis, Michael Schrader und Jennifer Oeser (v. l.)
Eckehard Schulz Lizenz