Held mit kaputtem Knie Held mit kaputtem Knie: Wie Klaus Urbanczyk vor 55 Jahren zur HFC-Legende wurde

Halle (Saale) - Der Schalk sitzt ihm immer noch im Nacken. „Es geht mir wirklich gut“, erklärt Klaus Urbanczyk auf Nachfrage. „Ich bin stolzer Besitzer zweier neuer Kniegelenke. Und die funktionieren wirklich prima“, sagt Halles Fußball-Legende und lacht.
Für ein Comeback als Kicker würde es zwar nicht mehr reichen, „aber ich habe das weggesteckt, wie früher Verletzungen“, meint der heute 79-Jährige, der auf den Straßen der Stadt immer noch als das Idol aus vergangenen Tagen erkannt und angesprochen wird.
Auch auf ein Ereignis von vor 55 Jahren, das mit seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten als Kicker - und auch einer Verletzung zu tun hat. Das Jahr 1964 nimmt im Leben von Klaus Urbanczyk, der Legende des Halleschen FC, einen besonderen Platz ein.
Er war mit 24 Jahren im Zenit seiner Laufbahn. Und zugleich fast am Ende seiner Karriere. Der Abwehrspieler, der das „Sliding Tackling“, also „die seitliche Grätsche mit Schwung“, wie er diese technische Einlage beschreibt, perfekt beherrschte, schaffte 1964 etwas, was keinem anderen DDR-Fußballer gelang:
Der HFC-Ausnahmespieler wurde „Sportler des Jahres“. Und das in einem Land, das Weltmeister und Olympiasieger zu bieten hatte und in dem der Fußball nie diesen Stellenwert genoss wie Rudern, Schwimmen, Leichtathletik, Skispringen und Radsport.
Das Unglück von Tokio
Bei der traditionellen Leserumfrage der „Jungen Welt“ landete der 1,75 Meter große Fußballer vor 55 Jahren vor Ingrid Krämer-Gulbin, der Olympiasiegerin im Wasserspringen (die später in Halle als Trainerin arbeitet). Er gewann mit der Fußball-Auswahl, die 1964 in Tokio die Bronzemedaille holte, auch die Mannschaftswertung.
Bei jenem Turnier in Japan war „Banne“ als Kapitän der DDR-Elf auch zur tragischen Figur geworden. Im Viertelfinale gegen die Tschechoslowakei war der Hallenser unglücklich mit dem eigenen, schwergewichtigen Torwart und dem Linksaußen der gegnerischen Mannschaft zusammengeprallt. „Alles, was im rechten Knie kaputt gehen konnte, war es auch. Der Unterschenkel wurde nur noch von Fleisch und Muskeln gehalten“, erinnert sich Klaus Urbanczyk mit Grausen.
Er verpasste dadurch das Spiel um Platz drei, das die DDR-Elf unter dem ungarischen Trainer Karoly Soos mit 3:1 gegen Ägypten für sich entschied. Der Jenenser Peter Rock, der für „Banne“ spielte, überreichte ihm nach dem Spiel seine Bronzemedaille. Sonst wäre Klaus Urbanczyk leer ausgegangen.
Eine große Geste, für die er sehr dankbar war und es immer noch ist. Die Medaille ist ebenso wie die Siegesschale von der Sportlerumfrage heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund ausgestellt. „Ich habe sie als Leihgabe zur Verfügung gestellt“, sagt der 79-Jährige nicht ohne Stolz.
Klaus Urbanczyk sorgte schon 1963 international für Furore
Zwar steht mit Peter Ducke noch ein Fußballer in der Liste der „Sportler des Jahres“ der DDR. Doch der Stürmer aus Jena war 1965 nur zweite Wahl. Er kam 1967 als Nachrücker auf den Spitzenplatz, nachdem der Erfurter Mittelstreckenläufer Jürgen May, der bei der Umfrage vorn gelegen hatte, 1967 in den Westen geflüchtet war. Nach dem Mauerfall wurde May wieder Erster.
Klaus Urbanczyk sorgte schon 1963 international für Furore. Er hatte dem englischen Fußball-Idol Bobby Charlton beim Länderspiel in Leipzig den Schneid abgekauft. „In der zweiten Hälfte hat er keinen Stich mehr gesehen“, erzählt „Banne“ und strahlt dabei. Die DDR-Auswahl unterlag zwar durch ein Tor von Charlton mit 1:2. Doch bei Englands späterem WM-Spielmacher von 1966 hatte der junge Fußballer aus Ostdeutschland mit seinen fairen Grätschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen und erhielt eine Einladung zur Europaauswahl - und durfte nicht hinfahren.
Der Straßenfußballer aus dem halleschen Süden, der als vierjähriger Steppke bei Turbine Halle mit dem Kicken begonnen hatte, gewann 1962 mit dem SC Chemie Halle den FDGB-Pokal. Als Grün-Weißer wurde er 1964 auch noch zum „Fußballer des Jahres“ in der DDR gekürt.
Doch nach seinem schmerzhaften „Olympia-Crash“ stand seine Karriere in den Sternen. Im Februar 1966, nur wenige Tage nach der Gründung des HFC Chemie, kehrte Urbanczyk beim Oberligaspiel des HFC bei Lok Leipzig wieder auf den Rasen zurück. Dank seines eisernen Willens und dank der Ärzte in der Berliner Charité, die ihn operiert hatten. Auch die Anteilnahme von Fußballfans in aller Welt hat ihm dabei geholfen. „Sogar Pele hat mir Genesungswünsche geschickt“, so Klaus Urbanczyk, der als zäher Bursche galt.
Hoffnung auf den Aufstieg
Das sollte ihm auch bei der Brandkatastrophe vor dem Rückrundenspiel im Europapokal in Eindhoven im September 1971 zugute kommen. „Banne“ rettete unter Einsatz seines Lebens mehrere Menschen aus der Flammenhölle. Damit war der 34-fache Nationalspieler endgültig zum Helden einer ganzen Generation nicht nur von Fußball-Anhängern geworden. Diese Saison sollte seine letzte als Fußballer sein.
Die Fans in Halle verziehen ihm wohl deswegen auch, dass er später als Trainer beim Erzrivalen in Magdeburg anheuerte. Da hatte er sich schon lange in seiner Heimatstadt Halle sein eigenes Denkmal gesetzt. Kein einziger HFC-Spieler hat jemals das Prädikat „Weltklasse“ so verkörpert - wie es „Banne“ als rechter Außenverteidiger damals für sich in Anspruch nehmen konnte.
Und jetzt schaut er wohlwollend von der Tribüne im Erdgas Sportpark seinen „Erben“ zu. Kaum ein Heimspiel der Rot-Weißen verpasst er. „Die Jungs auf dem Rasen geben sich wirklich Mühe - aber manchmal ist es eben wirklich nur Drittliga-Fußball, den sie bieten“, sagt Urbanczyk, der drei Mal HFC-Mannschaften als Trainer geleitet hatte - zuletzt für zwei Spielzeiten nach dem Zweitliga-Abstieg 1992.
Und so gern würde er den HFC wieder in der zweiten Liga sehen. „Ich habe immer die Hoffnung, dass sie aufsteigen. Ich möchte das unbedingt noch erleben - und viel Zeit habe ich wohl nicht mehr dafür“, sagt er lachend. „Möglich ist das in dieser Saison immer noch. Aber die Mannschaft ist so schwankend“, sagt er. Was ihm gefällt: Viele der HFC-Spieler gehen dorthin, wo es weh tut. Da erkennt er sich selbst. (mz)

