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Fußballer-Idol Klaus Urbanczyk Fußballer-Idol Klaus Urbanczyk: "Banne" wird 75

03.06.2015, 18:32
Klaus Urbanczyk sitzt auf der Haupttribüne im Erdgas Sportpark. Dort verfolgt der Berater des Klubs fast jedes Heimspiel des Halleschen FC.
Klaus Urbanczyk sitzt auf der Haupttribüne im Erdgas Sportpark. Dort verfolgt der Berater des Klubs fast jedes Heimspiel des Halleschen FC. E. Schulz Lizenz

Halle (Saale) - Klaus Urbanczyk hat sich das Stadion als Treffpunkt ausgesucht. Hier, beim HFC, wo er eine Größe ist, wo er das vielleicht bekannteste Gesicht der Vereinsgeschichte ist, will er erzählen. Er sitzt an einem Tisch im recht kahlen Foyer zum Presseraum. Die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. Klaus Urbanczyk, Halles Fußball-Ikone, wird heute 75 Jahre alt. Der Mann hat viel zu erzählen. Doch auf einmal wird er ganz still. Die Worte stocken, er kämpft mit einem Klos im Hals. „Das war noch schlimmer als Eindhoven“, sagt er und überwindet sich.

Eindhoven, der Hotelbrand im „Silbernen Seepferd“, bei dem er 1971 mit der Mannschaft des HFC Chemie fast sein Leben verloren hätte, spielt jetzt nur noch eine Nebenrolle. Erstmals will er über die schlimmste Tragödie seines Lebens reden. „Jeden Tag gehe ich in meinen Keller. Dort hängt ein Poster an der Wand. Darauf ist Christopher abgebildet, neun Jahre alt, im HFC-Trikot. Ein fröhlicher blond gelockter Junge. Ich grüße ihn dann immer, meist mit ,Hallo, Chrissi‘“, erzählt Klaus Urbanczyk.

Chrissi, sein Enkel. Vor zwölf Jahren ist er gestorben. An Leukämie, diesem heimtückischen Blutkrebs, „gegen den es kein Mittel gibt“, wie Urbanczyk fest glaubt. Ganz aus der Erfahrung der Familientragödie. „Christopher war neun, dann bekam er Schnupfen, plötzlich Nasenbluten. In der Klinik hieß es dann: Er muss dableiben. Diagnose: Leukämie.“

Ein Schock, der so lebenslustige Junge, der bei HFC-Trainer Conradi übte und „bestimmt ein richtig guter Fußballer geworden wäre“, wie sich der Opa sicher ist, muss plötzlich um sein Leben kämpfen. Eine Chemotherapie soll helfen. Der Junge wird dick, ihm fallen die Haare aus. „Mutti, ich bin so hässlich. Was ist, wenn alles nichts hilft? Werde ich sterben“, fragt das verzweifelte Kind, das die den Medikamenten geschuldeten Veränderungen an seinem Körper nur schwer ertragen kann. Und Christopher hat einen Wunsch: „Ich war noch nie an der Ostsee.“ Also schnappt sich Klaus Urbanczyk seinen Enkel, um ihm diese Sehnsucht nach dem Meer zu erfüllen. „Dort ist er dann richtig aufgeblüht. Es sah so aus, als würde er es schaffen.“

„Die Trauer kommt immer wieder“

Die Hoffnung zerstob. Zurück in Halle gab es den Rückfall. Zwar fand sich ein Knochenmarkspender, doch die Transplantation half nicht mehr. „Und dann stehst du am Grab, fragst dich, warum es keine Rettung gab und möchtest am liebsten hinterherspringen“, sagt Klaus Urbanczyk. Er ist den Tränen nahe. „Es geht nie weg, die Trauer kommt immer wieder.“

Es ist die Geschichte des Klaus Urbanczyk, die kaum bekannt ist. Also Thema-Wechsel, zurück zum Fußball, der Leidenschaft, die ihn bekannt gemacht hat. Da gibt es viel zu erzählen. Von der Aufregung vor seinem ersten Länderspiel 1961 in Marokko, von der Einladung für eine von Bundestrainer Sepp Herberger betreute Europa-Auswahl 1964. „Ich war stolz. Doch man ließ mich nicht hin. Angeblich stand ein wichtiger Test im Vorfeld von Olympia an“, sagt Urbanczyk, den schon damals alle nur „Banne“ nannten. „Dann ging es in Straußberg gegen Vorwärts Berlin. Furchtbar wichtig. Die Stasi hatte nur Angst, dass ich in den Westen abqualme, um dort mehr zu verdienen.“ Zwar bekam der gelernte Schlosser damals bei Chemie Halle nur 800 Mark monatlich, weit weniger als etwa die Kollegen aus Jena, doch eine Flucht „kam für mich nie in Frage“. Er wollte seiner Frau Karin Repressalien ersparen, Westmark im Tausch für Leiden der Familie - niemals.

Von seinem unschönen Abschied aus der Nationalelf und den tragischen Ereignissen in Eindhoven lesen Sie mehr auf Seite 2.

Bei den Sommerspielen 1964 in Tokio verpasste der Kapitän des Teams von Trainer Karoly Soos damals das Spiel um Bronze (3:1 gegen Ägypten). Und weil nur Plaketten für die elf Spieler auf dem Platz vorgesehen waren, bekam er dann spontan die vom Jenaer Peter Rock geschenkt. „Die Geste werde ich nie vergessen.“ Genauso wie ein Spiel gegen das große England.

„In der ersten Halbzeit spielte mir Bobby Charlton Knoten in die Beine. Soos wechselte mich trotzdem nicht aus. ,Zeig dein Sliding Tackling’, sagte er.“ Das Reinrutschen in den Gegner. Und Urbanczyk meldete den Star ab. Der erkundigte sich später auf dem Bankett, wer denn dieser bissige Verteidiger gewesen sei, der ihm so hartnäckig zugesetzt habe. Charlton fand, auf der Insel wäre für Urbanczyk in jeder Top-Mannschaft Platz. „Banne“ fühlte sich geehrt, doch weg wollte er ja nicht. Irgendwann wurde auch sein Gehalt auf 1 200 Mark aufgestockt.

Unschön war der Abschied aus der Nationalelf. Immer wieder hatte sich Urbanczyk nach Verletzungen zurückgekämpft, war voran marschiert - und eigentlich unverzichtbar. Dann folgte Georg Buschner auf Soos. „Der hat dann meinen Kumpel Bernd Bransch und mich gegeneinander ausgespielt.“ Buschner wollte den vier Jahre jüngeren Bransch, ebenfalls HFC-Spieler, als Libero und Kapitän. Urbanczyk war zu stolz, um sich von einem Trainer abservieren zu lassen, er trat lieber zurück.

Und dann war da noch Eindhoven. 1971. Das Uefa-Pokal-Rückspiel beim PSV, das nie stattfand, weil das Hotel in der Nacht abbrannte. Klaus Urbanczyk zeigt auf die riesigen Narben an seinen Unterarmen. „War alles zerschnitten. Ich habe Scheiben zerschlagen, um aus dem lodernden Haus zu kommen, nachdem wir dummerweise zunächst mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren und dadurch beinahe drauf gegangen wären“, erzählt „Banne“.

Aus sechs Meter Höhe war er dann auf ein Vordach und danach in einen Scherben-Container gesprungen. Nachdem er sogar noch einige Menschen gerettet hatte, brach er auf der Straße zusammen. „Das letzte woran ich mich erinnere, war, dass ich meine Blutgruppe gebrüllt haben: ,Null, Rhesusfaktor positiv‘.“

Das hörte ein Arzt, der dem Inferno ebenfalls entkommen war. Urbanczyk erwachte im Krankenhaus und erfuhr: Sein HFC-Teamkollege Wolfgang Hoffmann hatte in der Flammenhölle das Leben verloren. „Er hatte schon den richtigen Weg gefunden, wollte aber noch ein paar West-Klamotten holen, die er sich gerade in Ungarn gekauft hatte“, so Urbanczyk.

Heute, bei der kleinen Feier im engsten Familienkreis, erzählen sie vielleicht über all die Ereignisse. Aber auf jeden Fall wird „Banne“ in den Keller des Hauses gehen, traurig auf das Bild schauen und mit einem „Hallo, Chrissi“ des Enkels gedenken.

DDR-Verteidiger Klaus Urbanczyk (links) kann den Flankenball des italienischen Abwehrspielers und Kapitäns Giacinto Facchetti (dahinter) nicht abblocken, aufgenommen beim 2:2-Unentschieden im WM-Qualifikationsspiel der Fußball-Nationalmannschaft der DDR im Berliner Walter-Ulbricht-Stadion gegen Italien.
DDR-Verteidiger Klaus Urbanczyk (links) kann den Flankenball des italienischen Abwehrspielers und Kapitäns Giacinto Facchetti (dahinter) nicht abblocken, aufgenommen beim 2:2-Unentschieden im WM-Qualifikationsspiel der Fußball-Nationalmannschaft der DDR im Berliner Walter-Ulbricht-Stadion gegen Italien.
dpa Lizenz
Fußball-Urgestein Klaus "Banne" Urbanczyk steht am 13.05.2015 im Stadion des Halleschen FC in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). Als Spieler, als Trainer, als Chefscout diente er dem Verein. Jetzt feiert er seinen 75. Geburtstag.
Fußball-Urgestein Klaus "Banne" Urbanczyk steht am 13.05.2015 im Stadion des Halleschen FC in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). Als Spieler, als Trainer, als Chefscout diente er dem Verein. Jetzt feiert er seinen 75. Geburtstag.
dpa Lizenz