Günter Netzer Günter Netzer: Porsche, Playboy und lange Pässe
Doppelpass mit Rainer Bonhof, Schuss aus 14 Metern. Günter Netzer trifft den Ball nicht perfekt, die Kugel rutscht ihm ein wenig über den Spann und schlägt dann im linken Torwinkel ein. Gerd Welz, der Keeper des 1. FC Köln, hat keine Chance. 2:1 für Gladbach, so endet das Spiel auch.
Günter Theodor Netzer erzielt sein letztes Tor im Trikot von Borussia Mönchengladbach im DFB-Pokalfinale 1973 in Düsseldorf nicht mit der üblichen Rückennummer 10, sondern mit der 12. Erst mit Beginn der Verlängerung betritt er mit wehenden Haaren den Platz, nachdem ihn Hennes Weisweiler auf der Bank hat schmoren lassen und der beleidigte Netzer eine Einwechslung in der Halbzeit verweigert. Hintergrund ist der bevorstehende Wechsel des Spielmachers zu Real Madrid („Ich fand mich chronisch unterbezahlt in Mönchengladbach“). Als Teamkollege Christian Kulik nach der regulären Spielzeit entkräftet am Boden liegt, entledigt sich Netzer seines Trainingsanzugs – „rein instinktiv“, wie er heute sagt – und teilt Weisweiler lapidar mit: „Ich spiele dann jetzt.“
Günter Netzer, der an diesem Sonntag seinen 70. Geburtstag feiert, hat trotz dieser singulären Selbsteinwechslung nie verhehlt, wie viel er seinem langjährigen Trainer verdankt. 1963 unterschreibt er den ersten Profivertrag in seiner Geburtsstadt Mönchengladbach – Salär 160 Mark pro Monat. Weisweiler kommt ein Jahr später und baut um Netzer herum jene Fohlenelf auf, die 1965 in die Bundesliga aufsteigt, spektakulären Offensivfußball zelebriert und mit dem Strategen 1970 und 1971 Deutscher Meister wird.
Prototyp des rebellischen Fußballers
Der Porsche-, Ferrari- und Jaguar-Fahrer mit den langen Haaren und dem betonierten Seitenscheitel ist aber nicht nur der Star dieser Mannschaft, sondern auch Prototyp des individualistischen – oder, wenn man es eine Nummer größer haben möchte – rebellischen Fußballers, für den es ein Leben abseits des Rasens gibt. In Mönchengladbach eröffnet er eine Diskothek und hält oft selbst Hof in der „Lovers Lane“, wo auch viele Halbweltgrößen verkehren. Netzer pflegt dieses Playboy-Image und sagt in der Rückschau:„Zu meinem Leben gehörte eine gehörige Portion Unvernunft.“
Nach Mönchengladbach und Madrid lässt Netzer seine aktive Karriere in Zürich ausklingen und startet dann als Manager beim Hamburger SV noch mal richtig durch. Dreimal wird der HSV während seiner Amtszeit mit den Trainern Branko Zebec und Ernst Happel Deutscher Meister und holt 1983 den Europapokal der Landesmeister. „Ich bin Weltmeister im Delegieren“, hat Netzer einmal das Geheimnis seines Erfolgs beschrieben. „Ich sammele Leute um mich herum, die sehr vieles besser können als ich. Aber ich halte den Laden zusammen.“ Nach seinem Abschied beim HSV gelingt ihm das auch im Geschäftsleben. Seine Schweizer Agentur Infront handelt mit Sport-Übertragungsrechten und ist einer der größten Player auf diesem millionenschweren Markt.
Bei einem seiner besten Kunden, der ARD, macht Netzer noch eine Karriere vor der Kamera. 13 Jahre lang, bis zur WM 2010, kultiviert er zusammen mit Gerhard Delling bei Spielen der Nationalmannschaft eine preisgekrönte Melange aus Halbzeit-Analyse und Slapstick. So darf er sich zugute halten, 2003 die berühmte Mist/Käse/Scheißdreck-Wutrede von Rudi Völler provoziert zu haben.
Netzers eigene Karriere im DFB-Dress – Höhepunkt der EM-Triumph 1972 – bleibt indes unvollendet. Bei der WM im eigenen Land 1974 spielt er nur 21 Minuten, beim 0:1 gegen die DDR. Nicht jede Einwechslung ist von Erfolg gekrönt.