RB Leipzig im Trainingslager in Leogang RB Leipzig im Trainingslager in Leogang: Das steckt hinter der Red Bull-Philosophie

Leogang - Überraschung am Donnerstag im Trainingslager von RB Leipzig in Leogang: Neben einigen Zuschauern und der Presse fanden sich zum Morgentraining auch einige Vertreter des brasilianischen Clubs Red Bull Brasil auf der Tribüne des Trainingsstadions ein. Der südamerikanische Schwesterclub der Leipziger wurde 2007 gegründet und stieg in der vergangenen Saison in die Série D, die vierte brasilianische Liga auf, spielt zudem in der Staatsmeisterschaft von São Paulo mit. Doch was genau führte die Delegation nach Leogang? Kommt gar ein weiterer Neuzugang aus der südamerikanischen Millionenstadt nach Leipzig?
"Red Bull Brasil ist unsere eigene Akademie“, erklärt RB-Teamchef Ralf Rangnick. „Wir haben in den letzten zwei Jahren die Kontakte intensiviert, vor allem seit Thiago Scuro dort Sportdirektor ist. Thiago war mehrere Male bei uns, und auch von uns waren bereits einige Mitarbeiter in Brasilien.“ Und warum wurden die Kontakte intensiviert? „Es ist das klare Ansinnen, dass in der dortigen Jugendakademie nach der gleichen Spielidee ausgebildet wird, die auch wir in Leipzig und Salzburg verfolgen. Deswegen haben wir gesagt, dass es sinnvoll wäre, wenn ihre sechs Jugendtrainer einfach mal eine Woche zu uns kommen.“ Dabei beobachteten die Brasilianer nicht nur die Leipziger. „Sie waren erst drei Tage in Schladming im Trainingslager von Red Bull Salzburg, nun sind sie drei Tage bei uns. Wir haben auch einige gemeinsame Schulungsgespräche gemacht.“, berichtet Rangnick.
"Wo RB draufsteht, muss auch RB drinstecken"
Die Erklärung des Teamchefs der Leipziger offenbart eine Tatsache, die bei aller Kritik an RB Leipzig und dem Netzwerk der Red Bull-Vereine regelmäßig vergessen wird: Man verfolgt eine klar festgelegte Philosophie, die weit über die üblichen Vereinsstrategien anderer Clubs hinausgeht. Und man nutzt die vorhandenen finanziellen Mittel, um die verheißungsvollsten Talente zu fördern - seien es Spieler oder auch Trainer. „Es geht nur über die Trainerausbildung.“, bekräftigt Rangnick. „Die Spieler können unsere Philosophie nur verinnerlichen, wenn die Trainer auch wissen, wie man sie vermittelt.“ Diese Philosophie gilt nicht nur für die Red Bull-Profiteams. „Wir wollen ganz klar so spielen, dass man in jeder Altersklasse anhand der Spielweise sofort erkennt, dass nicht nur RB draufsteht, sondern auch RB drinsteckt."
Auch in diesem Zusammenhang ist die Trainerausbildung von höchster Bedeutung für RB. Als Ex-Coach Alexander Zorniger im vergangenen Winter Leipzig verließ, nahm U17-Trainer Achim Beierlorzer nur Tage später nahtlos seinen Platz ein. Die Philosophie blieb dieselbe. Gleiches gilt für Rangnick selbst, der die Aufgabe des Cheftrainers in diesem Sommer kurzerhand selbst übernahm. RB-Spieler Tim Sebastian bemerkte dazu im Gespräch mit der MZ: "Es ist nicht so, dass wir uns beim Wechsel von Alexander Zorniger auf Achim Beierlorzer oder von Beierlorzer auf Ralf Rangnick groß umstellen mussten. Wir alle kennen die Philosophie von RB und diese wurde auch von allen Trainern an uns weitergegeben." So konnte Achim Beierlorzer auch nach der Amtsübernahme von Rangnick ohne weiteres im Trainerteam bleiben.
"Spielweise entspricht nicht dem Naturell des Menschen"
Doch was kennzeichnet diese RB-Philosophie? Taktische Elemente, natürlich. „Wir praktizieren eine ziemlich aufwendige Art Fußball zu spielen.“, versucht Rangnick zu verdeutlichen. Am Mittwoch nach dem Testspiel gegen Southampton fand er noch drastischere Worte. Die Spielweise von RB Leipzig entspreche nicht dem Naturell des Menschen, erklärte er. Konkret meint er das aggressive Dauerpressing, viele Sprints, viel Tempo. Pausenlosigkeit, eine Variante des Pressings, die kein Verschnaufen zulässt und den in der Theorie unfitteren Gegner mitreist, bis dieser völlig ausgelaugt ist. So kamen gegen Southampton in der zweiten Hälfte plötzlich vier Tore in 25 Minuten zustande, in denen sich die Briten nicht ein einziges Mal aus der eigenen Hälfte befreien konnten.
Aber bei RB spricht man von einer Philosophie und nicht nur von einer Taktik. Rangnick gilt beispielsweise als höchst akribisch, wenn es um die Ernährung seiner Spieler geht. Seit Längerem beschäftigen die Leipziger eigene Köche. „Du bist, was du isst“, erinnert Rangnick und ergänzt: „Unsere Spielweise benötigt optimale Energiebereitstellung, aber auch optimale Regeneration, die wir uns auch und besonders über die Ernährung holen.“ Doch trägt diese Philosophie überhaupt Früchte? Rangnick ist davon überzeugt: „Ohne sie wären wir nicht da, wo wir sind. Wir haben vor einigen Tagen in Leipzig die höchstmögliche Bewertung für unsere Jugendakademie bekommen – im ersten Anlauf. Dazu kommen natürlich noch die zwei Aufstiege in zwei Jahren, die wir anders wahrscheinlich nicht so bewerkstelligt hätten."
Diese Vorstellung von Fußball und Leistungssport überstrahlt dabei sogar ihre Protagonisten. Während der Spiele dirigiert nicht nur Teamchef Rangnick. Das ganze Coaching-Team gibt Anweisungen an die Spieler. Man könnte sagen: Die Philosophie ist der wahre RB-Trainer. Doch nicht jeder Trainer ist wiederum in der Lage, sie optimal zu verinnerlichen. Deswegen übernahm Rangnick mangels ernsthafter Optionen im Sommer kurzerhand selbst das Amt des Teamchefs. Und deswegen sollen auch Talente auf der Trainerbank möglichst umfangreich gefördert werden. Ob in Deutschland, Österreich oder eben in Brasilien.
Roger Schmidt - vom Unbekannten zum Hauptgewinn
Bisher populärstes Beispiel: Roger Schmidt. Der 48-jährige Coach von Bayer 04 Leverkusen war, als er vom SC Paderborn zu Red Bull Salzburg wechselte, ein relativ unbekannter Trainer, trainierte zuvor Preußen Münster und eben den SC Paderborn, mit denen er 2011/2012 in der 2. Bundesliga als Fünftplatzierter einen Achtungserfolg erzielte. In seinen zwei Jahren bei Red Bull Salzburg wurde Schmidt österreichischer Meister und Pokalsieger, erhöhte zudem seine Punktequote um fast 0,5 Punkte pro Spiel. Als Schmidt 2014 zur Werkself wechselte, war die Freude in Leverkusen groß, dass man so einen talentierten Trainer verpflichtet hatte.
Der Weg zum Erfolg der europäischen RB-Clubs interessiert nun auch die RB-Vereine jenseits des Atlantiks zunehmend. Rangnick über Red Bull Brasil: „Sie wollen einfach wissen, was es mit dieser Art Fußball zu spielen auf sich hat und wie man sie vermittelt. So können sie in Brasilien ihre eigenen Jungs nach einer ähnlichen Spielidee ausbilden.“ Auch zum Wohl von RB Leipzig: „Das hat für uns den Vorteil, dass ein talentierter Spieler von Red Bull Brasil, der vielleicht auch für uns interessant ist, gleich das Spielsystem verinnerlicht hat.“
New York Red Bulls ebenfalls integriert
Für die Brasilianer ist diese Praxis nicht weniger als eine Revolution ihrer Vorstellung von Profifußball. So erklärte der von Rangnick angesprochene Thiago Scuro in einem Interview mit dem Red Bull-Blog „The Red Bulletin“: „Nach der 7:1-Niederlage von uns gegen Deutschland bei der WM 2014 riefen alle in Brasilien nach Veränderung. Für uns war dieser Prozess längst im Gange. Wir arbeiten seit längerem mit absoluten Fachkräften daran, unsere Athleten bestmöglich zu entwickeln.“ Und nicht nur in Brasilien, auch in den USA arbeitet man intensiv daran, die RB-Philosophie zu verinnerlichen. „Bei den New York Red Bulls geht es in die gleiche Richtung. Man hat alle Designated Players (Anm. d. Verf.: Spieler, die außerhalb der Gehaltsobergrenze verpflichtet werden und dadurch meist überdurchschnittlich hohe Gehälter haben) abgegeben und arbeitet nur noch mit jungen, unbekannten Spielern oder Leuten aus der eigenen Akademie.“, weiß Rangnick. Der Cheftrainer der New Yorker war im Januar mit im RBL-Trainingslager in Doha.
Die Gäste aus Brasilien verließen nach dem Training übrigens zufrieden und gutgelaunt das Gelände. Der Aufsteiger startet am 19. Juli in die Série D-Saison. Vermutlich mit neuen Trainings-Inspirationen aus Leogang und Salzburg. Und wer weiß: Vielleicht erleben die Fans in Leipzig oder Österreich in einigen Jahren einen brasilianischen oder US-amerikanischen Trainer, der die RB-Philosophie an seine Schützlinge weitergibt. (mz)